In einem sehr empfehlenswerten Essay geht Karim el-Gawhary für die taz auf das Phänomen IS ein. Fazit des Artikels ist, dass der „Islamische Staat“ in der gegenwärtigen arabischen Welt nur eine Erscheinung unter vielen ausmache. Neben der Radikalisierung von Gruppen wie IS finde auch ein Wiedererstarken der repressiven arabischen Diktaturen statt, seien diese nun säkular geprägt wie in Sisis Ägypten – in gewissem Maße gilt dies ebenso für Assads Syrien – oder religiös-begründet wie in Saudi-Arabien. Hier werden nun zentrale Argumente El-Gawharys dargelegt und mit Kommentaren zur Situation in Syrien ergänzt.
Der „Islamische Staat“ sei v.a. durch drei Faktoren großgeworden, argumentiert el-Gawhary. Erstens hätten die repressiven arabischen Regime der Jugend in der Region keinerlei Perspektiven aufgeboten. In Syrien zeigt(e) sich dies in Korruption, Vetternwirtschaft und omnipräsenter politischer Repression. Die repressive Politik der Regime habe gerade auch jenen Extremismus hervorgebracht, den die arabischen Regime zu kämpfen vorgeben. El-Gawhary unterstreicht daher:
Das alles darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Repression durch arabische (Militär)regime und die islamistische Militanz sich gegenseitig bedingen und hochschaukeln. Die arabischen Despoten sind der wichtigste Wegbereiter des IS.
Als zweiten Faktor für das Erstarken des IS habe man die Auswirkungen des westlichen Kolonialismus sowie die gegenwärtige westliche Politik in der Region zu betrachten. El-Gawhary spricht hier von einer Demütigung der Region, die das Selbstbewusstsein vieler Menschen gebrochen habe. Genau hier verfange die Rhetorik von IS, die die Menschen auf die vormalige Größe des „Goldenen Zeitalters“ einschwöre. Indem der Westen jedoch im Kampf gegen IS auf repressive arabische Regime setze, kalkuliere er völlig falsch:
Jahrelang hat der Westen die arabischen Diktatoren im Namen der Stabilität hofiert und sieht sie trotz des von ihnen ausgehenden Terrors weiterhin als Partner in der Terrorbekämpfung. Dabei sind genau diese Regime nicht Teil der Lösung, sondern Teil des (Terror)problems.
Diese beiden Schlussfolgerungen el-Gawharys sind in der derzeitigen Debatte um Syrien von immenser Bedeutung. Versteigen sich doch viele derzeit auch in Deutschland auf die These „Assad muss unser Partner im Kampf gegen IS sein“ bzw. „Assad ist das geringere Übel“. Jedoch zeigt al-Gawharys Essay, dass eben dies nicht der Fall sein darf. Das repressive Regime Assads ist Wurzel des Konflikts in Syrien – und kann daher nicht Teil der Lösung sein! Die „Stabilität der Diktatur“ bleibt somit eine Mär.
Als dritten Faktor für das Erstarken des IS sieht el-Gawhary den seit Jahrzehnten vorangetriebenen religiösen Diskurs v.a. der repressiven Golfmonarchien, die sich mittels der Religion zu legitimieren versuchen. Auch für Syrien unter den „säkularen Assads“ haben Aufsätze vielfach dargelegt, wie Religion ganz bewusst zur Legitimation eingesetzt wurde. Dies gilt bei weitem nicht nur für die Mehrheitsreligion des sunnitischen Islam – dessen sich die Assads bei öffentlichen Auftritten gern bedienten -, sondern z.B. auch für die diversen christlichen Konfessionen. Ganz zu schweigen davon, dass wohl sämtliche religiöse Amtsträger in Syrien auch von der Gnade des Regimes abhängen. Die politische Verflechtung von Religion und Staat ist in Syrien vielfach dokumentiert. Um die Kontrolle über Syrien zu behalten, gehörte die Inkorporation und Kontrolle der verschiedenen Konfessionen ganz selbstverständlich ins Herrschaftsrepertoire der Assads.
Abschließend lässt sich sagen, dass el-Gawharys Essay prägnant das Erstarken des „Islamischen Staates“ herleitet – wie auch die Feststellung, dass dem IS in der derzeitig praktizierten Form weder durch die repressiven Regime der Region noch durch die Bombardements des Westens beizukommen ist. Auf Kräfte wie Sisi, Assad – aber auch die reichen Ölscheichs am Golf – zu setzen, kann daher nicht der große Wurf sein.