Ein kurzer Moment der Freiheit

Wir zeigen auf der Kulturellen Landpartie im Wendland die Ausstellung „Wir bleiben trotzdem!“ SyrerInnen erzählen von 5 Jahren zivilem Aufstand. Noch bis zum 16. Mai 2016 kann die Ausstellung in Klein Witzeetze am Wunderpunkt 6 angesehen werden, die zivile AktivistInnen zu Wort kommen lässt. Für all jene, die es nicht dorthin schaffen, werden in den […]

Wir zeigen auf der Kulturellen Landpartie im Wendland die Ausstellung „Wir bleiben trotzdem!“ SyrerInnen erzählen von 5 Jahren zivilem Aufstand. Noch bis zum 16. Mai 2016 kann die Ausstellung in Klein Witzeetze am Wunderpunkt 6 angesehen werden, die zivile AktivistInnen zu Wort kommen lässt.
Für all jene, die es nicht dorthin schaffen, werden in den nächsten Tagen hier die vier Interview-Texte veröffentlicht. Im ersten Interview erzählt Mohammed aus Daraa wie er die ersten Demonstrationen erlebt hat und warum er weiterhin in Syrien bleibt.

Weil sie „Nieder mit dem Präsidenten“ auf Mauern geschrieben hatten, wurden mehrere Jungen tagelang gefoltert. Dass das syrische Regime nicht davor zurückschreckte, Jugendliche für ein Graffiti der Folter zu unterziehen, hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Am 18. März 2011 gehen die Menschen aus der Stadt Daraa im Süden Syriens auf die Straße, um friedlich zu demonstrierten. Doch die Situation eskaliert schnell. Der Aufstand breitet sich von Daraa über das ganze Land hinweg aus. Fünf Jahre später, als die täglichen Bombenangriffe im Zuge der Feuerpause ab dem 27. Februar 2016 nachlassen, gehen die Menschen in Daraa und anderen Städten Syriens wieder auf die Straße, um friedlich gegen das Assad-Regime zu demonstrieren. Unser Projektpartner aus dem zivilen Zentrum „Olivenzweig“ berichtet von dem Moment des Anfangs.

Wie heißt du, wie alt bist du, wo lebst du?
Ich heiße Mohammad Faris und lebe in der Stadt Jassim. Die Stadt liegt in der Provinz Daraa im Süden Syriens. Ich bin 34 Jahre alt, verheiratet und habe drei Kinder.

Was bestimmt deinen Alltag?
Ein normaler Tag beginnt mit meiner Familie. Morgens verfolge ich die lokalen und internationalen Nachrichten. Ich gehe zur zivilgesellschaftlichen Organisation „Olivenzweig“ im Zentrum von Jassim, wo ich arbeite. Wir organisieren verschiedene Projekte. Zum Beispiel den Aufbau von Schulen oder landwirtschaftlichen Projekten zur Versorgung der Schülerinnen und Schüler. Danach gehe ich zurück zu meiner Familie, zu meinen Kindern. Ich verbringe Zeit mit Freunden oder in den sozialen Netzwerken wie Facebook, um weitere Nachrichten und Neuigkeiten aus Daraa zu verfolgen.

Du warst bei den ersten Demonstrationen der Revolution mit dabei. Was passierte damals?

Die syrische Revolution begann am 18. März 2011 in der Altstadt von Daraa. Drei Tage nach Beginn nahm ich an den Demonstrationen teil. Noch hatte das Regime nicht auf die DemonstrantInnen geschossen. Es war ein wunderbarer Tag. Zum ersten Mal konnten wir öffentlich auf die Straßen gehen und „Nein“ zum Unterdrücker Assad sagen. Wir riefen die Worte Freiheit, Gerechtigkeit, Menschlichkeit. Aber das Gefühl der Freude hielt nicht lange an. Drei Tage danach belagerte die syrische Armee die ganze Stadt. Damit begann der Ausnahmezustand: Festnahmen, Razzien, und die Demonstrationen wurden seitdem mit scharfer Munition beschossen.

Was hat sich in deinem Leben nach dem Beginn der Revolution verändert? Wie gehst du mit dem Erlebten um?

Mein Leben hat sich seitdem um 180 Grad gedreht. Denn niemals hätten wir zu träumen gewagt, jemals gegen die Ungerechtigkeit der Assad-Diktatur auf öffentlichen Plätzen demonstrieren zu können. Deshalb war es ein außergewöhnlicher Moment. Wenn man einmal diesen Moment der Freiheit erlebt, seine Meinung über das, was wir unter Humanität verstehen, offen zum Ausdruck bringen kann und weiß, auf der richtigen Seite zu stehen, dann kann man nicht mehr zurück.
Unsere Entschlossenheit und Standfestigkeit, auch nach fünf Jahren syrischer Revolution weiter zu machen, ziehen wir aus dem Gedanken an all jene, die bereits ihr Leben lassen mussten. Wir wussten immer: der Preis für die Freiheit wird sehr hoch sein. Aber wir glauben an den Weg, den wir gehen. Das syrische Volk fordert nichts als Freiheit, Würde und Gerechtigkeit. Diesen Weg können wir nicht verlassen. Sobald keine Flugzeuge mehr am Himmel sind und mit Raketen auf uns schießen, demonstrieren wir friedlich weiter für unsere Rechte.

Was brauchst du, um in Syrien bleiben zu können?
Jeder Mensch braucht ein Minimum an menschenwürdigem Leben. Die Zahl der Geflüchteten ist in letzter Zeit enorm gestiegen, weil sich die Lage in Syrien so sehr verschlechtert. Um in Syrien bleiben zu können, brauchen wir ein Minimum an Würde. Wir möchten als Mensch gesehen werden, um uns als Mensch fühlen zu können. Doch niemand schützt hier unsere Menschenrechte, nicht die internationale Gemeinschaft, nicht die europäischen Staaten.
Ich war Lehrer bevor mich das Regime wegen meiner zivilen Aktivitäten von der Arbeit suspendierte. Deswegen wünsche ich mir, wieder meinen Beruf ausüben zu können. Ich möchte die Werte, die wir durch die Revolution begriffen haben, an die nächste Generation weitergeben. Damit sie lernen, Gerechtigkeit, Freiheit, Menschlichkeit und Demokratie zu schätzen.

Welche Zukunft wünscht du dir?
Für Syrien wünsche ich mir eine Zukunft, wie wir sie in einer unseren Forderungen der letzten Demonstrationen beschreiben: „Das syrische Blut hat uns vereint und das Land wird eine Einheit bleiben.“ Ich wünsche mir, dass Syrien eine große Familie bleibt. Dass es einen Rechtsstaat gibt, in dem jeder gleichviel wert ist und kein Machtmissbrauch ausgeübt wird, dass die Unterdrücker und Korrupten für ihr Handeln zur Rechenschaft gezogen werden.

Weiterlesen: Teil 2 | Teil 3 | Teil 4

Sie möchten die Ausstellung in Ihre Stadt holen? Sie kennen einen geeigneten Ort, der die Ausstellung präsentieren möchte? Dann schreiben Sie an info@adoptrevolution.org. Wir schicken Ihnen gerne eine Informationsbroschüre mit den Bildern und Interviews der Ausstellung zu.

Die Ausstellung und Veranstaltungen von Adopt a Revolution auf der Kulturellen Landpartie, Wendland.