Eindrücke aus dem gespaltenen Tartous – Presseschau 27. Januar 2014

Aron Lund beschreibt für Carnegie Endowment das Auftauchen der sogenannten Baath-Bataillone in Damaskus. Die Bataillone sind leicht bewaffnete Milizen, die von der regierenden Sozialistischen Baath-Partei kontrolliert werden und sich im Jahr 2012 in Aleppo formiert haben. Sie unterstützen die staatliche Syrische Armee in leichten logistischen Aufgaben, würden bei Bedarf dem Militär jedoch auch bei größeren […]

Aron Lund beschreibt für Carnegie Endowment das Auftauchen der sogenannten Baath-Bataillone in Damaskus. Die Bataillone sind leicht bewaffnete Milizen, die von der regierenden Sozialistischen Baath-Partei kontrolliert werden und sich im Jahr 2012 in Aleppo formiert haben. Sie unterstützen die staatliche Syrische Armee in leichten logistischen Aufgaben, würden bei Bedarf dem Militär jedoch auch bei größeren Einsätzen zur Seite stehen. Die Milizen sind anhand eines Aufnähers zu erkennen, welcher das Logo der Baath-Partei darstellt. Gemäß einer Partei-nahen Quelle würden in Damaskus gerade Rekrutierungsbemühungen für die Bataillone Fahrt aufnehmen. Seit Annahme der neuen Verfassung im Jahr 2012 sollten die Syrische Armee und die Syrische Regierung institutionell von der regierenden Baath-Partei getrennt sein. Das Auftauchen der Milizen an Militärstützpunkten legt jedoch die Vermutung nahe, dass diese Reformen lediglich kosmetischer Natur waren, um über anhaltende Verflechtungen hinwegzutäuschen.

Ebenfalls für Carnegie Endowment geht Aron Lund auf die Islamische Front ein, welche eine neue militärische Allianz in Syrien darstellt. Er beschreibt in vier Teilen die politischen und strukturellen Hintergründe der Gruppierung. Die Islamische Front wurde im November 2013 formiert, besteht aus mindestens 12 der größten Rebellengruppen und umfasst ca. 70.000 Mitglieder. Es besteht kein Zweifel, dass die Islamische Front den mächtigsten aufständischen Block darstellt. Seit ihrer Formierung hat sie eine bedeutende Rolle im Kampf gegen das Regime eingenommen, steht jedoch auch mit anderen Rebellengruppen im Konflikt.  Ideologisch und politisch positioniert sich die Islamische Front zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA) und den mit Al-Qaida in Verbindung stehenden Gruppierungen Nusra-Front und ISIS. Diese Positionierung macht die Islamische Front zu einem Schlüsselakteur der Rebellion, da sie sozusagen einen Wechselwähler darstellt. Sie hat die Möglichkeit entweder den FSA-nahen oder den jihadistisch-ideologisierten Gruppen Gewicht zu verleihen. Das Manifest der Islamischen Front beschreibt einen Staat, in dem die politische Souveränität Gottes über jegliche menschliche Begehrlichkeiten gestellt wird. Damit würde für das syrische Volk die Wahl, ob Sharia-Gesetzgebung die Grundlage des Staates bilden soll, ausfallen.

Aboud Dandachi hingegen beschreibt auf Syria Comment seine Zeit in der Stadt Tartous, deren Bewohner versuchen, den bestehenden Staat zu erhalten. Der aus Homs geflohene Dandachi verbrachte 18 Monate in Tartous, welches von außen gesehen als Bastion loyaler Unterstützung des Regimes, des Staates und Assads gesehen wird. Dandachi beschreibt jedoch, dass er trotz seiner Herkunft – sein Dorf nahe Homs galt als oppositionell gegen das Regime – in keiner Weise Anfeindungen erleben musste. Dies auch, obwohl im März 2013 bereits die Hälfte der Bevölkerung von Tartous Flüchtlinge waren, deren Verwandte und Freunde sich häufig im Krieg gegen Assad befanden. Dandachi beschreibt das Paradox von zwei Bevölkerungsteilen, die in Tartous miteinander leben, aber sich kaum 150km entfernt doch im Krieg befänden. Die mangelnde Diskriminierung der „Fremden“ in Tartous führt Dandachi jedoch auf die Beobachtung zurück, dass in Tartous, anders als in Homs, zwischen dem Präsidenten, dem Regime und dem Staat unterschieden werde. Während Assad in der Regel keine Unterstützung erfährt, wird das Regime als Notwendigkeit betrachtet. Die Tartousianer hätten für sich begriffen, dass sie eingeschlossen sind – zwischen den Extremisten Assads und denen von Al-Qaida. Die Bevölkerung möchte nicht unter den radikalen Islamisten leben, sie möchte auch nicht in einem gescheiterten Staat leben oder staatenlos sein. Aus diesem Grund ist jeder einzelne Bewohner Tartous’ Teil eines verzweifelten Kampfes zum Erhalt des Staates und dessen Institutionen.

Dandachi selbst verließ nach dem Chemiewaffenangriff auf Vororte von Damaskus Ende August 2013 Syrien und Tartous. Für ihn war mit diesem Angriff ein Leben in Syrien unmöglich geworden, aus der Erkenntnis, dass Assad in Syrien ungesühnt jegliche Verbrechen begehen könne. Die Atmosphäre in Tartous wechselte nach dem Chemiewaffenangriff zwischen Angst und Euphorie, als klar war, dass Tartous und Syrien nicht Ziel eines amerikanischen Angriffs werden.

Weit mehr Aufmerksamkeit, gar zweifelhafte Berühmtheit erlangte in den letzten Wochen das palästinensische Flüchtlingskamp Yarmouk in der Nähe von Damaskus. Der linke Politiker Stefan Liebich greift auf seiner Homepage die Thematik des Flüchtlingslagers auf, welches vor dem Beginn des Bürgerkrieges zwischen 160.000 und 180.000 Menschen beherbergte und die größte palästinensische Siedlung in Syrien darstellte. Liebich verweist darauf, dass die Tore des Camps – welches vielmehr einem städtischen Quartier glich – im Juli vergangenen Jahres von Assads Truppen geschlossen wurden.  Seither werden jegliche Hilfsmaßnahmen, wie z.B. Nahrungsmitteltransporte, abgewehrt und beschossen. Derzeit sind noch 20.000 Menschen in Yarmouk eingeschlossen, wovon allein in den letzten Wochen 40 Menschen aufgrund von Unterernährung oder Unterversorgung mit Medikamenten starben. Laut den Vereinten Nationen schlachten die Bewohner ihre Haustiere und versuchen, sich mit Gras und Tierfutter zu ernähren. Laut der UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay komme dies einer Bestrafung der gesamten Bevölkerung des Camps durch die Truppen Assads gleich. Für Liebich ist die Blockade ganz eindeutig ein Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung. Er macht sich dafür stark, dass internationalen Hilfsorganisationen der Zugang zu allen belagerten Regionen gewährt werden müsse, um die Zivilbevölkerung versorgen zu können. Ebenfalls spricht Liebich sich dafür aus, die Kriegsverbrechen auf die Tagesordnung von Genf ll zu setzen.

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