Geflüchtete an der polnischen Grenze
Geflüchtete an der polnischen Grenze

Es sind Menschen, keine Waffen

Immer wieder lässt sich die EU von Diktatoren und Autokraten mit Geflüchteten erpressen. Daran ist sie selbst schuld – weil sie einem Wahn erlegen ist: Rassismus.

Geflüchtete an der polnischen Grenze
Geflüchtete an der polnischen Grenze

Auf den ersten Blick erinnern die Bilder von der belarusisch-polnischen Grenze dieser Tage an jene vom Herbst 2015 in Ungarn. Hunderte Menschen sammeln sich auf einer Landstraße, um gemeinschaftlich eine Grenze zu überwinden. Wieder sehen die Betroffenen – hauptsächlich aus dem Irak, Syrien und Afghanistan – keine andere Möglichkeit, in Sicherheit zu gelangen, als zu Fuß das europäische Grenzregime herauszufordern.

Was sich in den letzten sechs Jahren nicht verändert hat: Viele Menschen in der Region sind so verzweifelt und hoffnungslos, dass sie ohne mit der Wimper zu zucken nach Belarus fliegen und an die europäische Außengrenze ziehen. Dass ihnen droht, im Niemandsland zu landen, eingepfercht zwischen polnischem Stacheldraht und prügelnden belarusischen Grenzmilizen, nehmen sie in Kauf. Ihre Hoffnung, ein Leben in Sicherheit, ohne Krieg, Diktatur und Korruption führen zu können, ist größer als die Angst.

Es ist Putins und Lukaschenkos Spiel

Was sich dagegen verändert hat: Die Fluchtroute über Belarus ist nicht selbstorganisiert aufgetan worden. Zwar gaben einige Flüchtende an, den Marsch auf die Grenze vor ein paar Tagen selbst geplant zu haben, um ein Zeichen zu setzen. Doch der belarusische Diktator Lukaschenko hat sie quasi eingeladen – um mit Hilfe der verzweifelten Flüchtlinge die EU zu destabilisieren.

Und das ist der zentrale Unterschied zu 2015. Die EU-Staaten haben so viel Angst vor neuen Flüchtlingen, vor einem neuen Erstarken des Rechtspopulismus, dass sie Zuwanderung mit allen Mitteln verhindern wollen – auch mit illegalen Pushbacks. Immer wieder wird berichtet, dass polnische Grenzschutzeinheiten Geflüchtete nach Belarus zurück prügeln und damit gegen europäisches und internationales Recht verstoßen.

Geflüchtete zu Fuß auf dem Weg von Budapest nach Wien im September 2015.

Lukaschenko und sein Beschützer Putin triumphieren angesichts dieser Bilder. Die Propagandamaschinen von RT bis Sputnik sind live dabei. Ihrem rechten europäischen Publikum trichtern sie das Märchen von der “Islamisierung” oder “Umvolkung” Europas ein. Und dem Publikum zuhause vermitteln sie: Vergesst das mit den Menschenrechten einfach. Denn seht her: Die europäischen Demokratien sind keinen Deut besser als wir.

Warum spielt die EU das Spiel mit?

Immer wieder lässt sich die EU von Diktatoren und Autokraten mit Geflüchteten erpressen – ob einst von Gaddafi, seit 2015 vor allem von Erdogan oder nun von Lukaschenko. Dass das so gut funktioniert, hat vor allem einen simplen Grund: Rassismus – oder genauer: die leider weit verbreitete wahnhafte Angst, schutzsuchende Menschen wären eine existenzielle Bedrohung für den Wohlstand, die Identität und die Zukunft Europas.

Was würde passieren, würde die Politik der EU sich statt an jenem Wahn an den realen Verhältnissen orientieren? Tatsächlich stehen ein paar hundert Menschen frierend und hungernd an der belarusisch-polnischen Grenze. Ein paar tausend sind in den letzten Monaten bereits über diese Route nach Europa gekommen. Ist das der “Untergang des Abendlands”?

Solange die EU dem Wahn folgt statt ihn zurückzuweisen, macht sie sich durch Autokraten und Diktatoren erpressbar, die Migration als Waffe nutzen. Je länger diese Bilder von der belarusisch-polnischen Grenze zu uns gelangen, desto eher kann Lukaschenko damit rechnen, einen ähnlichen Deal angeboten zu bekommen, wie Erdogan mit dem EU-Türkei-Deal: Politischen Zugeständnisse und EU-Milliarden für das Abhalten von Flüchtlingen.

Dabei wäre die Antwort, die Menschen an der Grenze als das anzusehen, was sie sind: Menschen, und keine Waffen. Statt neue Deals mit Diktatoren und stets neue Erpressungen braucht es endlich legale Fluchtwege in die EU – und klare Kante gegen Diktatoren und Autokraten.


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