Innerhalb von zwei Tagen, in weniger als 24 Stunden, seien mehr als 6.400 syrische Flüchtlinge im jordanischen Flüchtlingscamp Zaatari angekommen. Damit steigt die offiziellen Zahl der Flüchtlinge im Camp auf 30.000 Menschen, in ganz Jordanien auf 300.000, berichtet die UN. Jordaniens König Abdullah II warnte dann auch, dass den Flüchtlingen mehr internationale Hilfe zukommen müsste, nicht nur wegen ihrer humanitären Lage, sondern auch weil, wie sich in anderen Ländern gezeigt habe, sonst der Boden für Radikalismus geebnet werde.
“Fund Syria´s Moderates” lautet Robin Yassin-Kassabs Überschrift und Forderung in Foreign Policy. „Wir können nicht sagen, dass die Unterstützung der Rebellen in Syrien nicht geklappt hätte, sie wurde ja nie richtig versucht“, so Kassab. Die Protestbewegung in Syrien, sei inzwischen zwar teilweise bewaffnete, tue aber ihr Bestes, um das Blutvergießen zurückzuschrauben und das Regime, welches die Gewalt losgetreten habe, zu beseitigen. Die Annahme jeder, die sich für eine Bewaffnung der Bewegung eingesetzt haben, konnten nie richtig getestet werden. Die Bewaffnung, die stattgefunden habe, sei auf geringem Level verlaufen. In Aleppo etwa hat ein Munitionsengpass, den Vorsprung den die Rebellen gegenüber dem weitaus besser bewaffneten Regime gehabt hatten, zu Nichte gemacht. Die USA hätten die Golf-Staaten davon abgehalten, die bewaffneten Kämpfer mit schweren Waffen, die einen deutlichen Unterschied gemacht hätten, zu versorgen. Auf der anderen Seite verfolgt Saudi-Arabien auch eher die Taktik, Iran in Syrien „ausbluten“ zu lassen, und bevorzugt deswegen ein langes gegenüber einem kurzen Ende der Kämpfe. Eine gut koordinierte Versorgung mit Flugabwehrwaffen hätte Teile Nordsyriens befreien können. Flüchtlinge hätten aus der Türkei zurückkehren können. Die Nationale Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte hätte diese Gebiete versorgen können und alternative Regierungsstrukturen aufbauen können. Das Gegenteil ist eingetroffen: “[T]there was no supply [of weaponry], and as a result northern Syria is dying.”
Nachdem die öffentlichen Auftritte Bashar al-Asads immer seltener werden, zeigt er sich am Donnerstag, zum Feiertag der Geburt des islamischen Propheten Muhammad, mit mehreren religiösen Autoritäten zum Gebet in einer Moschee im Norden Damaskus. Die ganze Zeremonie wurde medienwirksam vom syrischen Staatsfernsehen übertragen.
Wie sich Krieg und Gewalt in besonders diskriminatorischer Weise auf Frauen auswirken, wurde in der vergangenen Woche von den britischen The Telegraph und The Independent besprochen.
Charlotte Proudman räsoniert in The Independent, dass Kriegsvergewaltigung eine Waffe, genauso üblich wie jede andere – leider und trotz medialem Desinteresse – inzwischen auch nach Syrien gekommen sei. Sie stellt berechtigten Fragen: Hat irgendwer das Desinteresse in Kriegsvergewaltigungen in Syrien bemerkt? Wie vielen Menschen ist überhaupt bewusst, dass diese Vergewaltigungen eine weitverbreitete und vor allem systematische Praktik in Syrien sind? Sind solche schrecklichen Sexakte nicht der Berichterstattung wert? Oder bleibt Kriegsvergewaltigung in Syrien unbeachtet, da sie nicht auf dem gleichen Level wie die Massenvergewaltigungen im Bürgerkrieg in der Demokratischen Republik Kongo, wo 40 Frauen täglich vergewaltigt wurden, stattfinden?
Auch wenn nicht klar sei, wie viele Frauen, diesem Gewaltakt in Syrien bereits zum Opfer gefallen sind, ist klar, dass es einer der Hauptgründe für die mehr als 600.000 syrischen Flüchtlinge war, Syrien zu verlassen. Verschlimmert wird die Situation der Frauen durch befürchtete gesellschaftliche Sanktionierung und dem Fehlen einer ernstzunehmenden polizeilichen Meldungsinstanz, weswegen die wenigsten Fälle, berichtet werden. Als Kriegswaffe werde Vergewaltigung in Syrien eingesetzt, um Gebiet zu besetzen, den „Feind“ zu vertreiben, Netzwerke zu zerbrechen und Krankheiten zu verbreiten. Raten und Mäuse sollen dabei von den Vergewaltigern in den weiblichen Intimbereich eingeführt worden seien. Für diese Frauen gebe es keine medizinische Versorgung, der Aufenthalt in den Flüchtlingslagern verschlimmere ihre Situation zusätzlich.
Ruth Sherlock berichtet für The Telegraph aus dem Flüchtlingscamp Zaatari in Jordanien. Vor der Revolution in Syrien, so berichtet ein Jordanier, sei es sehr teuer gewesen, ein syrisches Mädchen zu heiraten. Die Situation habe sich nun drastisch geändert: „Now it has become the running joke in Jordan that if you are running low on cash or finding it hard to get married, you should marry a Syrian girl. It has become a business transaction.” Tatsächlich hat sich eine Art „informeller Handel” entwickelt mit Agenturen, die bis nach Libyen reichen. Oft wird es unter dem Deckmantel der Kurzehe legitimiert Das Brautgeld wird somit zur Bezahlung für Sex, die Ehe dauert meist nur einige Stunden. Oft werde den Mädchen versprochen, dass sie dann außerhalb des Camp leben dürften, tatsächlich werden viele Mädchen nach dem sie sexuell ausgebeutet wurden, wieder ins Camp zurückgeschickt. Viele Familien willigen trotzdem ein, ihre Töchter zu verheiraten, mit der Hoffnung, sie würde somit eine bessere Zukunft haben. Im vergangenen Jahr seien alleine 500 Minderjährige so verheiratet wurden. Die Preise für einige Stunden mit den Mädchen schwanken von 50JD bis 100JD (=ca. 50 – 100 Euro), je nachdem, wann das Mädchen ihre Jungfräulichkeit verloren habe. Die Praktik ist leider nicht neu, nach dem Irakkrieg 2003 ist Tausende von irakischen Mädchen ein ähnliches Schicksal zuteil geworden.
Nachdem es Berichte gab, denen zu Folge die Syrische Islamische Front die Stadt Shoghr im Governerat Idlib am Freitag befreit habe, berichtet Lebanon Now am Freitagabend, dass das Gefängnis von Idlib von Rebellen befreit worden sei und ca. 300 Gefangene herausgeholt werden konnten. Ähnliches soll sich am Donnerstag ebenfalls in der Stadt Saasaa (Governerat Quneitra) zugetragen haben.
Unter dem Titel „Syria’s Kurds: A Struggle Within a Struggle“ hat die umstrittene Politikberatung International Crisis Group (ICG) diese Woche einen neuen Bericht veröffentlicht, der Licht auf die komplexe Situation in den kurdische Gebiete Syriens wirft. Der Report macht zu Anfang gleich klar, dass die Terminologie „kurdische Gebiete“ für Syrien, anders als für den Irak, zutiefst inakkurat sei. Zum einen gibt es historisch gewachsene überwiegend von Kurden bewohnte Gebiete in Damaskus als auch in Aleppo, zum anderen sind die Gebiete im Nordosten des Landes keinesfalls homogen, sondern historisch bewohnt von sunnitischen Arabern, Assyrern, Armeniern, Turkmenen etc. Der Bericht wirft Licht auf die komplexe politische Landschaft, die sich mit dem Rückzug von Asad-Truppen im Juli 2012 aus diesen Gebieten ergeben haben: „If, when Syrians rose up in 2011, many young Kurds joined in, echoing calls for the downfall of the regime, traditional Kurdish political parties took a somewhat different view.“ So habe die Partiya Yekîtiya Demokrat (Democratic Union Party, PYD) anschließend zwar an den Regierungsgebäuden, die syrische Flagge durch ihre eigene ersetzt und sich somit offen als Autorität zu emanzipieren versucht, dies blieb aber nicht unangefochten von der irakischen Kurdistan Democratic Party (KDP), als auch vom Kurdistan National Council (KNC). Viele Kurden, insbesondere die Unterstützer der PYD, seien zudem von den Narrativen der Syrischen Revolution, wie dem islamistischen sowie arabische-nationalen Narrativ und der engen Beziehung zwischen syrischer Opposition und Türkei entfremdet. Wie bereits von Adopt a Revolution wiederholt berichtet, kam es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Kurdischer Opposition und anderen oppositionellen Gruppierungen, die ICG räsoniert dazu: „So far these essentially have been turf battles, but they could escalate into a broader conflict over the Kurds’ future status.“ Der syrische Konflikt, so heißt es, habe den unerklärten Krieg um das Herz und die Seele der kurdischen Nationalbewegung in den vier Ländern (Syrien, Türkei, Irak, Iran), über welche sie verteilt ist, verschärft. Abschließend spricht der Bericht folgende Empfehlung aus: „Syria’s Kurds should do their best to avoid both over-entanglement in this broader regional battle and overreach in their quest for greater autonomy. Their fate at present rests in Syria, and thus it is with Syrians that they must negotiate their role in the coming order and ensure, at long last, respect for their basic rights.”
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