Nour Kelze ist eine syrische Fotografin aus Aleppo. Vor Beginn der Revolution arbeitete sie als Englischlehrerin an einer Grundschule. Nachdem sie immer wieder Zeugin wurde, wie auf Demonstrationen Menschen erschossen wurden, beschloss sie, die Angriffe zu dokumentieren – auch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Armee und Aufständischen. Heute ist sie eine angesehene Berichterstatterin. Bekannt wurde Nour Kelze durch die Dokumentation „Not anymore – A story of revolution“ des Journalisten Matthew van Dyke. Im Interview erzählt sie, warum sie zur Kamera griff und weiterhin inmitten all der Gewalt das Geschehen dokumentiert.
Zuher: Wie kamst du zu dem Entschluss, Fotografin in Syrien zu werden? Was war deine Motivation?
Nour: Ich wollte ein aktiver Teil der Revolution werden und habe an den Demonstrationen teilgenommen. Dort sah ich jede Menge Jugendliche, die aufgrund der staatlichen Repression entweder verschwanden oder erschossen wurden. Deshalb war ich zunächst begeistert, als die bewaffneten Rebellen in Aleppo eintrafen. Ich fühlte mich in den Vierteln, die vom Regime kontrolliert waren, erstickt. Somit zog ich direkt dahin, wo die Rebellen wohnten. Ich wollte helfen, also schnappte ich mir mein Telefon und fing an, Fotos zu machen und zu dokumentieren. Ich wollte verhindern, dass das Regime weiter mit seinen Medien falsche Nachrichten verbreitet. Diese Lügen zu hören, motivierte mich, zu berichten, was wirklich in Syrien geschieht.
Zuher: Heute bist du eine bekannte und angesehene Fotografin. Was hast du getan, um dich zu verbessern und auf den heutigen Stand zu kommen? Hast du Hilfe von anderen FotografInnen erhalten, oder hast du dir alles selbst beigebracht?
Nour: Ich hoffe, immer noch tagtäglich besser zu werden. Ich hätte niemals gedacht, dass meine Fotos so beliebt werden würden. Ich habe einfach meine Fotos gemacht und sie ins Internet hochgeladen. Dann sagten mir KollegInnen, dass ich Potenzial hätte und weitermachen solle. Also schaute ich mir die Fotos genauer an und versuchte, mich immer weiter zu verbessern.
Zuher: War es schwierig für dich, von KollegInnen akzeptiert zu werden?
Nour: Nein, niemals! Am Anfang war ich noch sehr schüchtern und habe mich von der Szene abgeschottet. Doch nach einiger Zeit kam ich mit anderen FotografInnen in Kontakt. Daraus sind auch wunderbare Freundschaften entstanden.
Zuher: Wie ist die Arbeit als Frau für dich? Erlebst du Probleme, die deine männlichen Kollegen nicht erfahren?
Nour: Am Anfang war mein Geschlecht gar kein Thema. Manchmal sagten manche Männer zwar, dass es schon so viele andere Fotografen gibt und meine Arbeit deshalb irrelevant sei. Aber dagegen konnte ich mich gut zur Wehr setzen. Jetzt jedoch – seit es die Dschihadisten von ISIS gibt – ist die Arbeit als Fotografin schwieriger geworden. Sie machen mir deutlich, dass ich als Frau nicht willkommen bin und nicht fotografieren darf. Alles, was man da machen kann, ist zu gehorchen. Doch ernsthafte Probleme gab es bisher keine.
Zuher: Welche Motive versuchst du zu zeigen?
Nour: Zu Beginn wollte ich der Welt zeigen, was die Assad-Milizen anrichten. Das Töten, das Sterben, das Leid der ZivilistInnen, die Zerstörung, der Beschuss, etc. Danach fokussierte ich mich mehr und mehr auf die Aktivitäten der FSA-KämpferInnen. Ich wollte aufzeigen, dass die meisten dieser KämpferInnen eigentlich ZivilistInnen waren bzw. es immer noch sind. Daran beeindruckt mich, dass es SyrerInnen gibt, die eher bereit sind, zu sterben, als ihre Würde als freie Menschen aufzugeben.
Zuher: Aber du hast dich für einen friedlichen Weg des Widerstands entschieden. Wie passt das zusammen?
Nour: Ich glaube, das ist nur natürlich. Alle SyrerInnen wollten einen friedlichen Weg einschlagen, um die Diktatur loszuwerden. Gegen die Unterdrückung wehrten sie sich, indem sie ihre Stimme erhoben und die friedlichen Demonstrationen filmten. Doch das Regime hat von Anfang an auf Waffen gesetzt, um die Rufe nach Freiheit zu übertönen und mit immer mehr Gewalt geantwortet. Acht Monate lang haben die Menschen diese Gewalt einfach hingenommen und haben erst dann verstanden, dass das Regime nie genug Gewalt bekommen konnte. Die FSA hat die Waffen nicht zum Töten aufgenommen, sondern, um sich selbst und die Bevölkerung zu verteidigen. Ich finde das legitim, aber es ist nicht mein Weg.
Nour Kelze wohnt und arbeitet immer noch in Aleppo. Das Interview zu führen, gestaltete sich schwierig, da fortwährend die Strom- und damit auch die Internetleitungen während des Gespräches zusammengebrochen sind. Das Gespräch führte der Adopt a Revolution-Aktivist Zuher.
Anm.: 2013 wurde Nour Kelze von der Organisation „International Women’s Media Foundation“ (IWMF) mit dem „Courage in Journalism“-Preis ausgezeichnet. Ein kurzer Videobeitrag der IWMF zu Nour Kelze ist hier auf Youtube verfügbar.