In den sozialen Medien kocht die Wut über die Ermordung der ägyptischen Studentin Naira hoch. Und prallt auf die Verfechter der patriarchalen Denkweise, die solche Femizide überhaupt erst möglich macht. Der bekannte ägyptische Fernsehmoderator und einer der wichtigsten geistlichen Führer Mabrouk Attia nutzte beispielsweise eine Live-Sendung für eine Täter-Opfer-Umkehr:„Lass dein Haar offen und trage enge Kleidung. Männer werden dich jagen und töten. […] Eine Frau sollte verschleiert sein, um zu leben. Sie sollte lockere Kleidung tragen, um nicht zu provozieren […] Ihr seid inmitten von Monstern. Wenn dir dein Leben lieb und teuer ist, dann verlasse dein Haus wie in einem Jutesack.“
Diese und ähnliche Sichtweisen treiben die Zahl der Femizide in der Region immer weiter in die Höhe. Aufgrund des männlichen Besitzanspruchs an die Frau, darf sie sich ihm nicht wiedersetzen, sein Ego nicht verletzen. Wenn sie das dennoch tut, beispielsweise durch eine Zurückweisung, dann suchen Männer nach Wegen, um ihr verletztes Ego wiederherzustellen. Für manche Männer besteht der Weg darin, “ungehorsame” Frauen zu töten. So die krude Logik.
Femizide führen zu weiteren Femiziden – auch über Landesgrenzen hinaus
„Morgen werde ich mit dir reden und wenn du dich weigerst, werde ich dich ùmbringen, so wie dieser Mann heute diese Frau in Ägypten getötet hat.“ Diese Drohung bekam die junge Krankenpflege-Studentin Iman in Jordanien per Nachricht von einem Mann, dessen Heiratsantrag sie, wie zuvor Naira in Ägypten, zurückgewiesen hatte. Bereits am nächsten Tag war sie tot – erschossen vor den Türen ihrer Universität.
Auch in Syrien ist die Tötung von Frauen aufgrund ihres Geschlechts ein großes gesellschaftliches Problem, wie unsere Partnerinnen vom Frauenzentrum Sawiska in Qamishli (Nordost-Syrien) bestätigen. “Die Anzahl der Frauenmorde ist in den vergangenen Jahren massiv angestiegen. Das liegt auch daran, dass es keine effektive Justiz zur Verfolgung der Täter gibt. Es fehlen zudem Gesetze, die sich speziell auf Femizide, oder wie sie hier irreführenderweise bezeichnet werden, auf Ehrenmorde*, beziehen.
„Ehrenmorde sind ein Ungeheuer, das uns Frauen in allen Regionen bedroht. Wir werden der Ehre geopfert und um Schande wegzuwaschen. Männer in meinem Land glauben, dass Ehre ein Attribut ist, das ihren Frauen zugeschrieben wird, einschließlich Töchtern, Schwestern, Ehefrauen und sogar ihre Mütter.
Rechtlich wurde die Kategorie Ehrenmord unter der Selbstverwaltung vor einigen Jahren abgeschafft. Die Taten werden als Mord eingestuft, eine Strafmilderung bei sogenannten Ehrenmorden gibt es damit nicht mehr. Das ist gut, weil Mord unter Vowand der Ehre seitdem als Verbrechen mit vollständigen materiellen, moralischen und rechtlichen Konsequenzen betrachtet und geahndet wird. Aber diese Handhabung verdeckt wiederum die spezifische Gewalt von Männern an Frauen”, erzählt Najla von Sawiska.
Eine überregionale Frauenbewegung entsteht
Auch deshalb versuchen einige Frauenorganisation die Femizide in der Region zu dokumentieren. Eine davon ist die Organisation “Sara”. Sie hat im vergangenen Jahr 67 Mordfälle gegen Frauen in der Region dokumentiert. Die Dunkelziffer dürfte aber deutlich höher liegen. Zudem lässt sich derzeit ein drastischer Anstieg an Femiziden in der gesamten Region beobachten. Und: Der Mord an einer Frau ist “nur” die Spitze des Eisbergs. Auch körperliche Misshandlungen, Todesdrohungen, Vergewaltigungen und Belästigungen sind als spezifische Gewalt gegen Frauen weit verbreitet.
Viele Frauen wollen das aber nicht mehr stillschweigend hinnehmen. Frauenrechtlerinnen im ganzen Nahen Osten riefen nach dem Femizid an Naira zu einem überregionalen Streik auf. Lautstarker Protest ist sehr wichtig, reicht aber allein nicht aus, um das strukturelle Problem anzugehen. Frauenorganisationen wie Sawiska spielen deshalb eine wichtige Rolle. Sie organisieren neben Mahnwachen und Demos auch sogenannte Awareness-Sessions, in denen sie sich mit Femiziden und Frauenrechten auseinandersetzen. “Ehrlicherweise müssen wir auch sagen, dass es natürlich auch Frauen gibt, die patriarchalen Vorstellungen und starren Weltbildern anhängen und in den stereotypen Rollen verharren wollen, die ihnen anerzogen wurden. Sie sind nicht hilfreich und tragen nicht zur Verbesserung bei. Gleichzeitig gibt es Männer, die an unseren Veranstaltungen teilnehmen, weil sie das alte patriarchale Bild ablehnen und anerkennen, dass die Ehre eines Mannes nicht von der Sittlichkeit der Frau abhängt”, so Najla.
“In unserer Zentrumsarbeit sind diese Themen zentral, denn es geht um die Verteidigung des Rechts auf Leben und Selbstbestimmung. Deshalb machen wir diese Veranstaltungen und lassen alle Teilnehmenden zu Wort kommen. Aus diesen Diskussionsveranstaltungen haben wir Handlungsempfehlungen entwickelt, um diese Verbrechen gegen Frauen und die Menschenwürde zu stoppen”, erklärt Najla.
“Wir sind viele und wir hören nicht auf, bis ihr aufhört”
Die Sichtbarkeit der Frauenbewegung ist nicht nur auf den Straßen, sondern auch online in den sozialen Medien wichtig und nimmt immer mehr zu. Ob Syrien, Ägypten oder Jordanien: Immer öfter werden Fälle von Femiziden und anderer geschlechtsspezifischer Verbrechen in den sozialen Medien öffentlich gemacht und angeprangert. Die Botschaft: Wir nehmen Femizide nicht länger hin und kämpfen für Gerechtigkeit. Personen des öffentlichen Lebens, die Verbrechen gegen Frauen unterstützen und Frauen diffamieren, werden hier öffentlich ”geoutet”. Die Luft wird damit enger für die Täter und Frauen sehen, dass sie nicht allein sind. Erste Erfolge sind sichtbar: Mabrouk Attia wurde nach seiner frauenfeindlichen Fernsehansprache angezeigt, der staatliche Frauenrat erklärte, “dass der Scheich mit seinen Aussagen zur Gewalt und zum Mord an Frauen aufgerufen und sich damit strafbar gemacht habe“. In der Öffentlichkeit wird er erstmal nicht mehr auftreten – er hat sich beurlauben lassen.
Die Frauenbewegungen in den sozialen Medien und Frauenzentren wie Sawiska sind der Beweis dafür, dass es in der Region keinen Platz mehr für Femizide gibt und geben darf. Patriarchale Strukturen, die das Leben von Frauen bedrohen, werden nicht mehr akzeptiert und aktiv bekämpft. Der Weg mag noch weit sein, aber der Stein ist ins Rollen gekommen. Dank des Zusammenhalts starker Frauen in der ganzen Region.
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