“Frauen werden zerrieben zwischen den Greifern einer Zange!”

In Syrien verteidigt unsere Partnerin Souad al-Aswad Frauenrechte. Dazu organisiert sie Hygienemaßnahmen in Flüchtlingslagern, um die Verbreitung des Corona-Virus’ einzudämmen. Bei der internationalen Syrien-Geberkonferenz in Brüssel erklärte sie, warum Frauen eine zentrale Rolle bei der Lösung des Konflikts in Syrien spielen müssen.

“Herzliche Grüße an alle Teilnehmer*innen und vielen Dank an die Europäische Union für die Einladung!

Ich bin heute hier, um über das Leid der Frauen in Idlib zu sprechen. Idlib ist ein kleines Gebiet in Nordwest-Syrien, in dem vier Millionen Menschen leben, die sich aufgrund der heftigen Militäroffensiven des Assad-Regimes ein Schicksal: Sie leiden unter Vertreibung, Armut, Obdachlosigkeit und anhaltenden Menschenrechtsverletzungen.

Ich bin vor mehr als einem Jahr zusammen mit meiner Familie aus der Stadt Kafranbel geflohen. Alle Menschen mussten aus der Stadt fliehen. Aufgrund der anhaltenden Vertreibung habe ich bis heute keinen stabilen Lebensmittelpunkt finden können. Ich habe während der Flucht meine kleine Tochter geboren und sie ist nun weit weg von meiner Heimatstadt und unseren Verwandten.

Die Vertreibung hat all unsere sozialen Bindungen abgeschnitten. Sie hält mich von den Frauen fern, die mit mir das zivilgesellschaftliche Zentrum in unserer Stadt mitbegründet haben. Das Zentrum, das uns zusammengebracht hat, damit wir uns gegenseitig unterstützen, uns Ratschläge geben und andere Frauen schulen können, um so eines Tages politische Entscheidungspositionen zu erreichen.

Trotz all dieser Herausforderungen hoffen wir immer noch, uns wieder zu treffen. Diese Veränderungen, in denen wir leben, sind Teil der Veränderungen, die alle syrischen Frauen trotz der Schmerzen erleben. Die syrischen Frauen haben es geschafft etwas Positives zu bewirken. Sie verfügen über mehr (politisches) Wissen und sind sich ihrer Fähigkeiten bewusst geworden. Außerdem wissen wir nun sehr genau, was Krieg bedeutet und wie Frauen ausgebeutet werden. Wir waren auf einmal auf uns allein gestellt und Alleinversorgerinnen der Familie. Wir verstehen nun ganz genau wie wir Frauen vor und nach der Revolution von Gesetzen diskriminiert werden. Deshalb haben wir begonnen, unsere Rechte einzufordern.

Bilder vom kreativen Widerstand aus Souads Heimatstadt Kafranbel gingen regelmäßig um die Welt.

Ich habe das Glück heute bei Ihnen zu sein. Ich hoffe, dass Sie mir gut zuhören, weil ich die Stimme der syrischen Frauen mitbringe. Ich vertrete mich hier heute nicht selbst oder die syrische feministische Bewegung. Ich vertrete viel mehr: Viele Frauen, die an ihre Rechte glauben und die davon überzeugt sind, dass es keinen nachhaltigen Frieden geben kann ohne die Präsenz von Frauen auf allen Ebenen der Entscheidungsfindung.

Wir haben unsere Arbeit aus dem Nichts erschaffen und von ganz unten aufgebaut. Wir haben verschiedene politische und kulturelle Programme als auch Schulungen für Frauen angeboten, aber all dies bleibt weit unter dem erforderlichen Niveau. Das Leiden ist groß und der Schmerz ist größer.

Ich werde die verschiedenen Arten von Leiden und Herausforderungen, nicht detailliert beschreiben. Aber ich kann all das, worunter die Frauen zu leiden haben aufgrund der Vertreibung und Besetzung durch das Regime und der Anwesenheit despotischer De-facto-Kräfte zusammenfassen: Frauen werden zerrieben zwischen den Greifern einer Zange – sie leiden unter den schwierigen Lebensbedingungen und der unsicheren Lage. Aber auch unter der Instabilität und der immer wiederkehrenden Flucht von Region zu Region.

Dies wirkt sich zum einen auf die Zukunft unserer Kinder aus, zum anderen wird die Rolle der Frauen aufgrund von bewaffneten Konflikten und chaotischen Eskalationen untergraben. Und dennoch haben die Frauen ihre Präsenz in Idlib bewiesen – trotz der vielen Hindernisse vor Ort. Aber die Frauen in Idlib brauchen noch mehr Möglichkeiten ihre Stimme der Welt mitzuteilen, damit ihre Stimmen nicht hinter den Mauern der Realität ersticken und ihr Sprechvermögen in der Dunkelheit verloren geht. Deswegen darf die Zivilbevölkerung nicht unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung bestraft werden.

Wir Frauen sind in Zusammenarbeit mit den Männern bemüht eine politische Lösung zu finden, weil wir den Krieg, die Vertreibung und Obdachlosigkeit satt haben. Weil wir eine glänzende Zukunft für unsere Kinder wollen. Wir wollen nicht, dass sie aufgrund des Konflikts in der Region zu Zeitbomben werden. Wenn ich die Lager und Unterkünfte der Flüchtlinge in den verschiedenen Gebieten besuche, treffe ich viele Kinder und spreche mit ihnen. Ich muss immer wieder feststellen, dass sie weder lesen noch schreiben können. Hier liegt der wahre Schmerz: Wir sind doch auf diese Kinder angewiesen, denn sie sollen Syrien wieder aufbauen. Aber wie sollte Syrien von Generationen von Analphabet*innen aufgebaut werden? Ebenso sehe ich viele Frauen mit ihren Kindern in so kleinen Zelten, denen auch nur das Minimum zum Überleben fehlt, seit sie auf der Flucht sind, weil das Regime und der Iran ihre Städte besetzt haben.

Lasst uns alle helfen, eine politische Lösung im Einklang mit internationalen Resolutionen zu finden. Eine gerechte politische Lösung, die mit der Rechenschaftspflicht der Täter auf allen Seiten verbunden ist, damit niemand der Bestrafung entgeht.

Es ist die Pflicht der Internationalen Gemeinschaft sich zu einigen und eine politische Lösung für einen umfassenden Waffenstillstand zu finden, diesen vorübergehenden Waffenstillstand zu stabilisieren und den in Sotchi zwischen der türkischen und der russischen Seite vereinbarten Schritt zu bekräftigen.

Außerdem besteht die moralische und humanitäre Pflicht der internationalen Gemeinschaft darin Syrien zu stabilisieren, um so eine freiwillige und sichere Rückkehr der Flüchtlinge und die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Herkunftsgebiete zu gewährleisten.

Das Schicksal der Inhaftierten und der Verschwundenen muss aufgeklärt werden. Frauen müssen unterstützt werden, weil sie der Garant sind für einen nachhaltigen Frieden. Denn sie sind es, die Widerstand gegen alle Arten von Tyrannei und Ungerechtigkeit innerhalb Syriens leisten.

Vielen Dank!”

Adopt a Revolution unterstützt Projekte von Souad al-Aswad in Nordsyrien zur Stärkung von Frauenrechten. Helfen Sie mit, stärken Sie diese Arbeit mit Ihrer Spende!