Frauentag in Syrien, Spaltung in Kafranbel? und warum der Kern des Militärs weiterhin stabil bleibt- Netzschau vom 09. März

An diesem Freitag war internationaler Frauentag, von den syrischen Aktivisten in Übereinstimmung „Tag der rebellischen syrischen Frau“ genannt. Trotzdem gibt es nicht sonderlich viele Medienbeiträge, die sich mit „der Frau“ in Syrien beschäftigen. Die Plakate aus Syrien machen jedoch deutlich, was ihnen der Tag bedeutet, so heißt es auf einem Plakat aus Zabadani: „Märtyrerinnen der […]

An diesem Freitag war internationaler Frauentag, von den syrischen Aktivisten in Übereinstimmung „Tag der rebellischen syrischen Frau“ genannt. Trotzdem gibt es nicht sonderlich viele Medienbeiträge, die sich mit „der Frau“ in Syrien beschäftigen. Die Plakate aus Syrien machen jedoch deutlich, was ihnen der Tag bedeutet, so heißt es auf einem Plakat aus Zabadani: „Märtyrerinnen der syrischen Revolution: Mutter, Ehefrau, Schwester und Tochter. Ihr beweist der Welt, wer die syrische Frau ist“. Auf einem anderen Plakat aus Aleppo heißt es: „Das Regime hat mir den heutigen Tag gestohlen. Nach der Revolution erlaube ich euch nicht, ihn zu stehlen. 8. März- Tag der syrischen Frau“.

Ein etwas älterer Artikel von Rania Abouzeid gibt dennoch Einblick in die Rolle der kämpfenden syrischen Frauen, die eine Rarität blieben und um welche sich viele Mythen und Gerüchte tummelten. So kursierten kuriose Gerüchte von reinen Frauenbatallionen und Frauen, die in Dair az-Zur High Heels tragend kämpften. Abouzeid erzählt die persönliche Geschichte von Em Joseph, einer ehemaligen Darstellerin der berühmten Serie Bab al Hara. Heute kämpft sie mit einem islamistischen Batallion, ein Vorbild, welches sie im Koran zu finden glaubt. Ihre Rolle scheint dennoch nicht klar definiert zu sein: „She says she spends most of her time at the front, a short drive away, returning to this base only to cook something for her men”. Ihre Mitkämpfer versicherten, dass die Stärke einer kämpfenden Frau, die Kampfmoral der gesamten Truppe stärke. Diese Geschichte gibt jedoch auch Zeugnis darüber, wie sich inzwischen ganze Familien (Bruder und Neffe von Em Joseph) den kämpfenden Rebellentruppen angeschlossen haben und diese inzwischen eben zum Großteil aus Zivilisten und nicht Desertierten bestehen.

Al-Jazeera erzählt die Geschichte der syrischen Revolution in „Bürger-Videos“, jener geheimen Waffe, die seit März 2011 vielen Syrern das Leben gekostet hat. Sehenswert ist zu dem Thema auch die Komposition verschiedener Werke des in Homs getöteten Filmemachers Bassel Shahade. Hierzu passt auch die Einschätzung eines in The Economist zitierten Syrers: „True, there is fighting between people but this is war and death is the blood tax in order to reach a better future. […]As Abu al-Kacem Chebbi [a Tunisian poet] said: ‘If, one day, a people want to live, then fate must respond to them’.”

Was für eine Ironie sei es, fragt Megan Bradley in The Daily Beast, dass der heutige international Frauentag, an welchem sexuelle Gewalt bereits lange zur Kriegswaffe geworden ist, auch ein öffentlicher Feiertag in Syrien ist: Jahrestag des Militärputsches von 1963. Syrien sei heute zu einer „lebendigen Hölle“ für syrische Frauen geworden, insbesondere für jene innerhalb der zwei Millionen syrischen Binnenflüchtlinge. Der internationale Frauentag sollte eine Chance sein, auf die Konsequenzen dieser gefährlichen Entwicklung aufmerksam zu machen. Hierbei handele es sich vor allem um genderbezogene Gewalt, wie Vergewaltigungen, die gezielt an Frauen und Kindern verübt werden. Dies geschähe oft öffentlich und zielt auf die Erniedrigung und erfolgende Stigmatisierung der Opfer ab. Aufgrund dessen haben viele Familien bereits mehrmals eine neue Zuflucht suchen müssen. Der Status-quo ist erdrückend: „Inadequate assistance and growing impoverishment have led to a vicious cycle in which women and girls who have fled sexual and gender-based violence are exposed to exploitation as they struggle to find food and fuel to survive.” Als Gegenmaßnahme schlägt Bradley Aufmerksamkeit und Bewusstsein für die Thematik sowie verstärkte Hilfe durch internationale NGOs vor: „International Women’s Day is the ideal moment to mark a turning point from the impunity and neglect that has characterized responses to violations of the rights and needs of displaced women in Syria to date”.

Ist Kafranbel, die Stadt, die mit ihrem scharfen Witz und Kommentaren zur syrischen Revolution Kultstatus erreicht hat, gespalten? Unterstützer eines islamischen Staates stünden Verfechtern einer Demokratie gegenüber, schreibt Mohammed Sergie auf Syria Deeply. Nachdem Fares, einer der kreativen Protestorganisatoren, das Hissen der Flagge Jabhat al-Nusras, als sektiererisches Zeichen,  ablehnte, spaltete sich die Stadt. Nun fänden jede Woche zwei getrennte Demonstrationszüge statt. Jabhat al-Nusra verstehe, was in Syrien passiert, als Jihad nicht als Revolution, so Fares. Er lehnt diese Sicht ab: „Ich bin kein Jihadist- ich bin ein Revolutionär“. Faris hat jedoch Vertrauen in seine Mitstreiter und bleibt optimistisch: „[T]he secular movement in Kafranbel will resist the Islamist in the same way they faced the Assad regime, using nonviolent action.“

Duncan Thomas erklärt in einem Gastbeitrag auf der Nahost-Plattform alsharq, warum trotz der seit zwei Jahren kursierenden Behauptung, dass das syrische Regime sich „am Abgrund“ befindet, sein innerer Kern stabil bleibt. Entscheidend seien hierbei die Methoden des Regimes, den Zusammenhalt in den Streitkräften zu gewährleisten. Auch wenn wir täglich von desertierenden Soldaten hören, so sei dies scheinbar keine Massenerscheinung. Thomas untersucht die Persistenz der syrischen Armee auf drei Aspekte hin: wirtschaftliche Anreize, parallele Militärstrukturen und selektive Rekrutierung von Soldaten. Im Gegensatz zu Ägypten, wo sich das Militär wirtschaftlicher Autonomie sicher war und gegen Mubarak putschte, sei das syrische Militär nicht unabhängig: „Durch eine ganze Kette […] persönlicher Verbindungen lösten sich die Grenzen zwischen den zivilen und militärischen Zweigen der Regierung auf. Konsequenter Weise blieben die wirtschaftlichen Anreize abhängig vom Überleben des Regimes und nicht losgelöst von selbigem. Als Ergebnis ähnelte die syrische Elite einer sich zankenden Familie voller Zwiespalte, Konkurrenz und Verschwörungen, die aber zusammenhält, wenn sie in Gefahr gerät.“ Die Loyalität der unteren Dienstgrade müssen jedoch durch andere Mechanismen erklärt werden, etwa durch die Struktur des Sicherheitsapparates. Besonders erschreckend hierbei: „Jede Armeeeinheit wurde darüber hinaus von einem „Schattenkommandeur“ überwacht, der die Autorität besaß, auch den ranghöchsten Kommandeur hinzurichten, wenn er ihn der Verschwörung verdächtigte.“ Thomas führt aus, dass aus der Natur des Sicherheits- und Militärapparats hervor geht, dass er für die Niederschlagung interner Revolten gedacht war und sich eben nicht gegen den „äußeren Feind“ richtete. Darüber hinaus habe das Regime gezielt Alawiten für bestimmte Funktionen im Sicherheitsapparat rekrutiert, um somit eine „soziale Distanz“ zu anderen Gesellschaftsgruppen zu schaffen. Thomas macht jedoch deutlich, was bei der Analyse Syriens oft untergeht: „[K]onfessionelle Argumente [sind] lediglich beschreibende Beobachtungen, die als Ausgangspunkt und nicht als Schlussfolgerung einer Untersuchung dienen sollten. Das „Band“ zwischen Alawiten und dem Regime […] hat fast nichts mit konfessioneller Identität per se zu tun. Vielmehr unterliegt es einer sorgfältig genährten Angst, für die das Regime die Hauptverantwortung trägt. Diese Angst wurde dazu missbraucht, Alawiten praktisch als Geiseln des Regimes zu nehmen.“ Mit dieser Art von „Geiselnahme“ habe sich eine gezwungene Loyalität bei vielen Alawiten entwickelt, die wie ein Teufelskreis wirke. Trotzdem schließt Thomas fast optimistisch: „Loyalität ist niemals unbegrenzt und es mag eine Zeit kommen, in der die bewaffneten Kräfte ihre Posten aufgeben. Auch wenn diese zum schnellen Sturz Assads führen würde, wäre dieser Schritt bedeutungslos, wenn ihm keine politische Versöhnung folgte. Die materielle Macht des Regimes, so langlebig sie auch sein mag, wird wahrscheinlich vor dem ideologischen Gerüst fallen, das sie stützt. Und auf dem Gebiet der Ideologie wird der wichtigere Machtkampf ausgetragen.“

Zu dem Thema passt auch die Frage, die sich im The Economist gestellt wird: „Die Asad-Familie, wo hält sie sich zurzeit auf?“ Eine berechtigte Frage, scheint doch inzwischen ganz Syrien von Kämpfen betroffen zu sein. Dennoch wird aus den Ausführungen klar, dass keiner so Recht weiß, wo sich die verbleibenden Köpfe des Regimes aufhalten. So scheint Bashar al Assad sich dementsprechend noch in Damaskus zu befinden. Entgegen der Annahme, dass sich seine Frau in London aufhalten würde, scheint The Economist davon auszugehen, dass auch sie sich weiterhin in Damaskus befindet. Die Mutter Bashar al-Assads halte sich in Dubai auf, einige wie Maher al-Asad und Hafez Makhlouf scheinen verletzt zu sein und befinden sich entweder noch im stark umkämpften Damaskus oder sind von der Bildfläche verschwunden.


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