+++ Dieser Artikel stammt aus unserer neuen Zeitung +++
Sie haben im Namen von Folterüberlebenden beim Generalbundesanwalt Strafanzeige gegen hochrangige Mitglieder der syrischen Geheimdienste eingereicht. Wie haben Sie die Fälle dieser Folteropfer recherchiert?
In Syrien habe ich mein ganzes Leben der Verteidigung politischer Gefangener gewidmet. Die Fälle zusammenzutragen war daher einfach – fast jeder, der in Syrien aus politischen Gründen inhaftiert war, hat schon einmal von mir gehört. Und ich traf hier in Deutschland viele ehemalige Gefangene. Als ich Folterüberlebende dazu aufrief, sich bei mir als Zeugen zu melden, schrieben mir mehr als 100 Menschen. Viele von ihnen waren von Geheimdiensten inhaftiert worden, die ich sehr gut aus eigener Erfahrung kenne.
Eigentlich gehört die Ahndung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in den Verantwortungsbereich der UN. Wie bewerten Sie die Rolle der internationalen Gemeinschaft, wenn es um die Verfolgung der Verbrechen in Syrien geht?
Die internationale Gemeinschaft hat immer nur von einer politischen Lösung gesprochen und dabei die Frage der Gerechtigkeit völlig ausgeblendet. Bei den Verhandlungen in Genf sagten sie uns, dass wir die Frage der Gerechtigkeit ausklammern sollten, da diese einer politischen Lösung schaden würde. Diese Geringschätzung für Gerechtigkeit hat dem Regime signalisiert, dass es brutalstmöglich vorgehen kann, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen.
Warum ist Gerechtigkeit für die Zukunft Syriens aus Ihrer Sicht so zentral?
Gerechtigkeit ist lebensnotwendig wie Freiheit oder Nahrung. Gerechtigkeit bedeutet, dass Menschen Frieden finden können. Und die Verbrechen in Syrien können nur begangen werden, weil die Täter keine Strafe zu befürchten haben, solange das Assad-Regime sie mit seinen Gesetzen deckt. Aber wenn wir von Gerechtigkeit sprechen, geht es nicht nur um Syrien, sondern um die ganze Welt: Menschenrechte sind nur hohle Worte, wenn man nicht für sie eintritt. Das ist der Fehler des Westens – er hat die Menschenrechte zu Worthülsen verkommen lassen. Damit hat er all den Diktatoren da draußen signalisiert, dass sie tun und lassen können, was sie wollen.
Sie kümmern sich um jene, deren Schicksal geklärt ist: Sie sind tot oder haben überlebt. Es gibt aber auch viele ungeklärte Fälle: Verschwundene, von denen man nicht einmal weiß, ob sie noch leben. Unter ihnen ist auch Khalil Ma’touq, der Anwalt, der Sie 2007 vor Gericht verteidigte, als Sie selbst im Gefängnis waren. Was lässt sich für solche Menschen tun?
Diese Menschen sind Geiseln des Regimes. Sie sind eine mächtige Waffe in Assads Hand, die er nicht aufgeben wird. Solange dieses Regime existiert, wird es Gefangene und Verschwundene geben. Doch keine Macht der Welt setzt sich für sie ein. Assad lacht über die internationale Gemeinschaft, weil sie so zahnlos auftritt. Wir können nur darauf aufmerksam machen und versuchen zu bewirken, dass Menschen den Ernst der Lage begreifen: Jede Stunde stirbt ein Mensch in syrischer Haft.
Haben Sie dennoch Hoffnung für die Zukunft?
Was mir Hoffnung macht, ist, dass sich die Menschen in Syrien nicht unterkriegen lassen, obwohl seit sieben Jahren die ganze Welt gegen sie zu sein scheint. Was unsere eigene Arbeit angeht, hoffe ich, dass die deutsche Regierung uns keine Steine in den Weg legt, sondern eine konstruktive Rolle dabei spielt, den Opfern der in Syrien begangenen Menschenrechtsverbrechen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Immerhin waren die Nürnberger Prozesse einst der Präzedenzfall für das, was wir heute mit dem Begriff »Übergangsjustiz« bezeichnen. So wenig die Nürnberger Prozesse perfekt waren – sie haben ein Mindestmaß an Gerechtigkeit wiederhergestellt. Das wünsche ich mir auch für Syrien.
Der syrische Anwalt Anwar Al-Bunni setzt sich zusammen mit dem Anwalt Mazen Darwish und dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) für Ermittlungen gegen syrische Kriegsverbrecher ein.
Interview: Jan-Niklas Kniewel