Medial stellt Syrien anscheinend ein Hintergrundrauschen dar, dass immer dann hör- und sichtbar wird, wenn die anderen Nachrichten leiser werden, wie aktuell über in der nachrichtenarmen Zeit über die Weihnachtsfeiertage. Apropos Weihnachten: In seinem Weihnachtssegen Urbi et Orbi hat auch der Papst zum wiederholten Male dazu aufgerufen, dass sich die Situation bessern müsse, dass die Hoffnung auf eine Lösung nicht sterben dürfe.
Dass die Hoffnung auf eine friedliche, diplomatische Lösung aktuell eher schwach ist, musste auch Lahdar Brahimi feststellen: Um sich am 24. Dezember mit Bashar al Assad in Damaskus treffen zu können musste er nicht nur mit dem Auto aus Beirut anreisen, weil die Landung auf dem Flughafen der syrischen Hauptstadt wohl als zu gefährlich eingeschätzt wurde; sein Besuch wurde auch von einem folgenreichen Angriff der syrischen Luftwaffe auf das Städtchen Halfaya überschattet. Dabei wurde die Schlage vor einer Bäckerei getroffen, was zu mindestens 94 Todesopfern geführt hat, wie AktivistInnen inzwischen berichteten.
Nach dem Treffen zwischen Brahimi und Assad sehen die meisten Beobachter Assad inzwischen mit dem Rücken zur Wand. Nach Informationen aus westlichen Botschaften soll das die letzte Reise von Brahimi nach Damaskus gewesen sein, wenn sich nicht schnell etwas bewege. Der aktuelle Vermittlungsversuch sei also eine letzte Chance. Forderung Brahimis soll gewesen sein, dass Assad Vertreter des Regimes für eine Übergangsregierung benennen solle. Ob dies erfolgt ist, wird nicht berichtet – aber der Vize-Außenminister des Assad-Regimes ist nach Russland gereist, um dort Gespräche über ein Ende der militärischen Auseinandersetzungen zu führen. Zumindest könnte er einen persönlichen Dank für zwei Schiffsladungen Diesel überbringen, die Russland nach Syrien verschifft hat. Fragt sich nur, warum eine italienische Reederei solche Aufträge noch ausführt.
Eine ähnliche Frage stellt sich nach einem Interview, das die ARD mit Assad direkt geführt hat: Warum bietet die Sendeanstalt – nach dem Todenhöfer-Interview im Juli – dem Diktator abermals eine Bühne? Noch ist nicht der volle Beitrag erhältlich, aber Assad scheint die Bühne zu nutzen zu wissen. Laut Vorberichterstattung kündigt er darin einen “nationalen Dialog” an, an dessen Ende es auch möglich sein könnte, dass er als Präsident abtrete. Bislang ist jedoch kein Versprechen zum politischen Dialog bekannt, das Assad auch gehalten hätte. Aber vielleicht wird jetzt ja alles anders.
Auch ob das Versprechen hält, die Armee werde keine Giftgase einsetzen, steht wieder einmal in Frage. Zwar hat neben dem Iran und den USA inzwischen auch Russland das Regime davor gewarnt, Giftgase einzusetzen. Trotzdem berichtete die Freie Syrische Armee, sechs Kämpfer seien gestorben, nachdem sie weißen Rauch aus einer explodierten Granate eingeatmet hätten. Die Berichte lassen sich nicht bestätigen, doch der israelische Vize-Premier Mosche Yaalon ist im israelischen Militärradio zitiert worden, dass aus dem Bildmaterial nicht bestätigt werden könne, dass es sich um chemische Kampfstoffe gehandelt habe. Damit dürften die Einsatzdrohungen ausländischer Militärs im Fall des Einsatzes chemischer Waffen erst einmal Drohungen bleiben.
Trotzdem setzten sich jüngst wieder zwei bedeutendere Offizielle vom Assad-Regime ab. Bereits vor Wochen hatte der Sprecher des syrischen Außenministeriums Jihad Makdissi seinen Posten verlassen. Das war damals als Anzeichen dafür gewertet worden, dass sich auch die Beamten des Staatsapparats inzwischen nicht mehr darauf verlassen würden, dass es einfach zu einem Führungswechsel kommt. Stattdessen wird befürchtet, wer in welcher Funktion auch immer für die Regierung (und damit Assad) gearbeitet hat, könnte nach einem Sturz des Regimes bestraft werden. Inzwischen ist Makdissi in den USA eingetroffen, wo er über die Abläufe im inneren des Clans rund um Bashar al Assad berichten könnte. Außerdem im selben Artikel interessant: Offenbar haben Kämpfer der FSA ihre Strategie verändert und versuchen inzwischen verstärkt, Kasernen zu umzingeln und zu erstürmen, statt den Kampf in den Städten zu suchen. Auch des Chef der Militärpolizei Abdelaziz al Shalalhat jüngst dem Regime den Rücken gekehrt und sich in die Türkei abgesetzt.
Nach der teilweise wenig sachlichen Debatte um den von medico international und adopt a revolution initiierten Aufruf “Freiheit braucht Beistand” schreibt Tom Strohschneider im Neues Deutschland: “Wir müssen reden.” Gemeint ist damit eine Linke, die sich nicht in politischen Gräben einrichten dürfe: “Denn ohne eine selbstkritische, an der jeweils anderen Sichtweise wirklich interessierte Auseinandersetzung über den Syrienkonflikt würde die Linke hierzulande einen oft gemachten Fehler wiederholen: es sich in politischen Gräben eingerichtet zu haben. Das aber bringt weder der Linken etwas noch, und das ist viel wichtiger, den Menschen in Syrien und anderswo, die das Recht haben, dass man ihr Streben nach Befreiung, nach Selbstermächtigung, Demokratie, sozialer Sicherheit ernst nimmt und nicht sogleich in den Rastern der großen Weltinterpretationen verschwinden lässt.”
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