Sehr geehrte Frau Bundesinnenministerin Faeser,
sehr geehrte Minister*innen und Senator*innen der Länder,
auf der bevorstehenden Innenministerkonferenz (IMK) vom 19. bis 21. Juni in Potsdam werden Sie über die Abschiebung von Straftäter*innen nach Syrien und Afghanistan mitentscheiden. Ich appelliere an Sie: Setzen Sie sich dafür ein, dass rechter Populismus nicht weiter gestärkt wird. Und berücksichtigen Sie auch die Sicherheitslage der Menschen in Syrien, die in diesem Brief zu Wort kommen.
Es ist das Fundament demokratischer Gesellschaften, nicht in Länder abzuschieben, in denen Folter droht. In Deutschland haben wir die Möglichkeit, mit rechtsstaatlichen Mitteln auf Straf- und Gewalttaten zu reagieren. Die Abschiebung von Straftäter*innen in Kriegsgebiete verstößt gegen fundamentale Menschenrechte und bedeutet eine Doppelbestrafung, die in unserem Rechtssystem rechtswidrig ist.
Das Assad-Regime und andere Kriegsakteur*innen in Syrien sowie die Taliban in Afghanistan stellen sich ausgesprochen gegen demokratische Werte und Menschenrechte. Außerdem ist nur in einem funktionierenden Rechtssystem wie in Deutschland Opferschutz möglich, der sicherstellt, dass Straftäter*innen keine weiteren Verbrechen begehen können.
“Ganz Syrien ist instabil und unsicher. Überall treiben Milizen und Kriegsakteure ihr Unwesen. Zivilist*innen, besonders Frauen, leiden unter der unkontrollierten Verbreitung von Waffen. Wir sind ihnen schutzlos ausgeliefert.”
Safa Kamel, Vertriebene in Nordsyrien
Es gibt gute Gründe, warum Abschiebungen nach Syrien nicht möglich sind:
Der Krieg ist nicht vorbei. Das syrische Regime bombardiert weiterhin den Nordwesten, die Türkei greift den Nordosten an, und es kommt regelmäßig zu Angriffen durch IS-Terrorist*innen in allen Landesteilen. Seit Anfang des Jahres gab es bereits mehr als 250 Terroranschläge.
Rückkehrer*innen werden verfolgt, gefoltert und getötet. Das UN-Menschenrechtsbüro und das Auswärtige Amt berichten von schweren Übergriffen, willkürlicher Haft, Folter und sexualisierter Gewalt gegen Rückkehrer*innen. Haupttäter ist das Assad-Regime. Mehr als 100.000 Menschen sind verschwunden, über 60.000 sind in Regimegefängnissen ums Leben gekommen.
Die Lebensbedingungen verschlechtern sich. 13 Millionen Menschen leiden an Hunger, die Hilfen schwinden, mehr Menschen leben in Zeltstädten, und Krankheiten wie Cholera breiten sich aus.
Auch „sichere“ Drittstaaten sind nicht sicher für Syrer*innen. Im Libanon werden Geflüchtete von Bürgerwehren und Milizen drangsaliert, leben ohne Arbeitserlaubnis und in ständiger Angst vor Abschiebung. Premierminister Najib Mikati behauptete in einem Interview, dass bereits “Zehntausende” seit Anfang des Jahres abgeschoben wurden und durch den EU-Flüchtlingsdeal sollen es noch mehr werden. Auch in der Türkei schlagen Menschenrechtsorganisationen Alarm. Unsere Partner*innen berichten immer wieder, dass Syrer*innen gegen ihren Willen und unter Gewaltandrohung abgeschoben werden.
Auch wir verurteilen die Attacke in Mannheim und den Mord an dem Polizisten Rouven L. aufs Schärfste. Radikaler Islamismus ist eine große Gefahr, ebenso wie Rechtsfundamentalismus. Gewalttäter müssen gemäß den geltenden strafrechtlichen Bestimmungen in Deutschland verurteilt werden. Wir können aber nicht einfach die Verantwortung auf diejenigen abschieben, die der Bevölkerung in den Ländern keinen angemessenen Schutz vor ihnen bieten. Schlimmer noch, dort finden Gefährder zurück in ein Netzwerk, dass sie zu weiteren Gräueltaten befähigt.
Bundeskanzler Scholz behauptet, dass Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan möglich seien. Dies soll angeblich nur „Schwerstkriminelle und terroristische Gefährder“ betreffen. Doch wenn internationale Menschenrechtsstandards ignoriert werden, können Abschiebungen für weitere Personengruppen normalisiert werden. Das Auswärtige Amt sieht keine sichere Rückkehr nach Syrien gewährleistet. Auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat erst im März festgestellt, dass Abschiebungen praktisch nicht durchführbar sind. Auch die EU und die UN sehen keine Bedingungen für eine sichere und würdevolle Rückkehr.
“Ich weiß nicht, welchen Teil von Syrien Deutschland als sicher betrachten könnte. Das ist eine furchtbare Überlegung. Selbst wenn es in Syrien eine sichere Zone gäbe, würde man sie durch die Rückführung von terroristischen Gefährdern zerstören.”
Anas, Nordsyrien
Daher bitte ich Sie dringend, sich gegen Abschiebungen in Folterstaaten wie Syrien und Afghanistan zu entscheiden. Lassen Sie nicht zu, dass unser Rechtsstaat untergraben wird und folgen Sie nicht dem rechten Populismus. Abschiebungen in diese Länder sind derzeit nicht möglich und werden es auf absehbare Zeit nicht sein.
Mit freundlichen Grüßen
[Ihr Name]
Adressen:
Bundesinnenministerin Nancy Faeser
Bayern: Innenminister Joachim Herrmann
Baden-Württemberg: Innenminister Thomas Strobl
Berlin: Innensenatorin Iris Spranger
Brandenburg: Innenminister Michael Stübgen
Bremen: Innensenator Ulrich Mäurer
Hamburg: Innensenator Andy Grote
Hessen: Innenminister Roman Poseck
Mecklenburg-Vorpommern: Innenminister Christian Pegel
Niedersachsen: Innenministerin Daniela Behrens
Nordrhein-Westfalen: Innenminister Herbert Reul
Rheinland-Pfalz: Innenminister Michael Ebling
Saarland: Innenminister Reinhold Jost
Sachsen: Innenminister Armin Schuster
Sachsen-Anhalt: Innenministerin Dr. Tamara Zieschang
Schleswig-Holstein: Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack
Thüringen: Innenminister Georg Maier