Hungerstreik von inhaftierten Frauen, Porträts aus Homs, ISIS in Syrien – Netzschau 17. Juli

In der Stadt Daraa, die bei den Einwohnern als Wiege der syrischen Revolution gilt – schließlich fanden hier die ersten Massenproteste im März 2011 statt -,  halten die Infrastrukturmaßnahmen an. Die Public Commission for Civil Defense in Daraa (PCCD) besitzt mittlerweile auch schweres Gerät, um Schutt zu beseitigen oder Reparaturen am Wasser- oder Stromnetz durchzuführen. Aktuelle […]

In der Stadt Daraa, die bei den Einwohnern als Wiege der syrischen Revolution gilt – schließlich fanden hier die ersten Massenproteste im März 2011 statt -,  halten die Infrastrukturmaßnahmen an. Die Public Commission for Civil Defense in Daraa (PCCD) besitzt mittlerweile auch schweres Gerät, um Schutt zu beseitigen oder Reparaturen am Wasser- oder Stromnetz durchzuführen. Aktuelle Arbeiten werden mit Sorgfalt in Bildern dokumentiert. Die Public Commission finanziert sich über Spenden von Institutionen & Privatpersonen. Es gehen zwar einzelne Spenden aus Syrien ein, aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Situation ist die Organisation aber natürlich auf Spenden aus dem Ausland angewiesen. Die PCCD besteht schon seit einigen Monaten und scheint sowohl beim Mittelerwerb als auch der Durchführung von Projekten gut aufgestellt.

Syria Untold erinnert an den Hungerstreik inhaftierter Frauen im Adra-Gefängnis. Dieses liegt bei Damaskus und ist berüchtigt für seine Haftbedingungen, seit langem werden dort politische Gefangene untergebracht. Unter den Inhaftierten sind Ältere, Schwangere und Kranke, denen die Haftbedingungen sehr zusetzen. Verwandtenbesuche werden verweigert, Prozesse sind nicht abzusehen. Mit dem Hungerstreik wird eine faire Behandlung der Frauen gefordert, zudem die Beschleunigung der Prozesse anhand der geltenden Gesetze. Syria Untold erinnert an die große Rolle, die Frauen und Aktivistinnen in der syrischen Revolution spielen. Daher gilt: „As builders of a future society, it is imperative to ensure that their rights are protected, along with the rights of all Syrians suffering arbitrary detention and torture.“

Zwei Lebensgeschichten aus Homs sind ebenfalls bei Syria Untold zu lesen. Zwei Männer, deren Leben sehr unterschiedlich wirken, die jedoch beide den Traum hatten, die politische Repression und Ungerechtigkeit in Syrien zu durchbrechen. Der erste ist Firas Saied, der 2010 Weltmeister im Bodybuilding wurde. Er wurde in seinem Sport vom Staat nicht gefördert, hatte Schwierigkeiten einen Job zu finden, um sich und die Familie zu ernähren. Als die Revolution anfing, schloss er sich mit Freunden der friedlichen Bewegung an. Saied wurde 2011 festgenommen und gefoltert, sagte später: „My body was strong enough to take the torture, but the real problem remained in the humiliation that I couldn’t take.“ Als sich die Revolution bewaffnete, griff auch Firas Saied notgedrungen zur Waffe. Er wollte an seinem Traum eines neuen Syriens festhalten. Saied wurde in Homs am 04. Juli 2013 im Kampf mit Regimekräften getötet.

Für Sulaiman, einen Aktivisten aus Homs, bleibt weiterhin der friedliche Widerstand das persönliche Mittel zu einem neuen Syrien. Allerdings sieht er den bewaffneten Widerstand als einen Weg, der hilft, das Regime zu beseitigen: „Armed resistance will help topple the regime, while peaceful resistance will help bring about the alternative to the regime.“ Sulaiman betont die Unterschiede zwischen der alten politisch-aktiven Generation und den jungen AktivistInnen: „Now, it is important that each individual plays an active role within the group […] I offer what I can from my knowledge and experiences, and we exchange ideas and make suggestions to one another in any activity that we plan. It’s a team effort.“ Syria Untold porträtiert Sulaiman als einen weiterhin sehr engagiert arbeitenden Aktivisten, der mit vielen Gruppen vernetzt ist und auch in Städten wie Damaskus & Homs an politischen Aktionen – trotz Gefahr – festhält. Sulaimans Onkel war Mitglied der kommunistischen Partei und wurde Ende der 1980er Jahre festgenommen. Das Interesse an Politik entstand beim jungen Sulaiman, nach entsprechender Lektüre schloss auch er sich schließlich einer linken Bewegung an.

Syria Deeply berichtet über die explodierende Inflation in Syrien. Im Frühjahr 2011 betrug 1 US-Dollar ca. 45 Lira, mittlerweile ist der Wechselkurs (Schwarzmarkt) in den meisten Orten ca. 1 Dollar = 200 Lira und aufwärts. Am 10. Juli 2013 sank der Lira auf das bisherige Tief von 293 zum Dollar. Das syrische Regime versucht stets, mit Druck auf den Schwarzmarktsektor den Lira zu stabilisieren, eine Strategie, die bereits der Iran 2012 erfolglos anwandte. Die monatliche Inflation in Syrien liegt über 90% und ist somit als Hyperinflation zu klassifizieren.

Diese wirtschaftlichen Daten haben ein großes Ausmaß auf das tägliche Leben in Syrien. Aufgrund von Sanktionen, ausbleibendem Tourismus und großem Ausfall bei Industrie & Landwirtschaft – die Kämpfe haben viele Felder und Betriebe unbrauchbar gemacht – explodieren die Preise für Grundnahrungsmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Besonders bitter ist dies derzeit, da der Fastenmonat Ramadan vor einer Woche begonnen hat. Traditionell wird im Ramadan nach Sonnenuntergang groß gespeist. Viele Familien haben jedoch nun zu tun, überhaupt das Essen finanzieren zu können. Eine syrische Twitter-Nutzerin berichtet, der Dollarkurs sei aktuell in Damaskus günstiger geworden, doch die Preise stiegen weiterhin.

In der Stadt Raqqa hält der Protest gegen islamistische Gruppen an, die die Revolution für ihre Zwecke kapern wollen. Eine der derzeit zu Prominenz gelangenden Gruppen ist dabei der „Islamische Staat in Irak und der Levante“, auf Englisch ISIS (Islamic State in Iraq and Sham). Am Sonntag demonstrierten EinwohnerInnen Raqqas erneut vor dem Hauptquartier von ISIS, forderten die Freilassung der dort Inhaftierten. Dass ISIS im Namen der Religion unterdrückt, erzürnt die Demonstranten. Einer der Rufe: „Das syrische Volk lässt sich nicht demütigen“, was einst einer der ersten Slogans gegen das Regime war.

ISIS und weitere mit Al-Qaeda verbündete Gruppen gehen derzeit auch gegen FSA-Bataillone vor. Erst letzte Woche wurde ein hochrangiger FSA-Mann von islamistischen Kämpfern getötet. Die FSA gerät damit zunehmend unter Druck nicht nur vom Regime, sondern auch von jenen Gruppen, die Syrien als neues Schlachtfeld für ihre Zwecke auserkoren haben. Kafranbel kommentiert die Lage per Karikatur: Der FSA-Kämpfer erhält von ISIS per Axt einen Schlag in den Rücken. Assad kann sich derzeit freuen, dass der „Islamisten und Terroristen“-Diskurs für ihn langsam Früchte trägt. Eine Fragmentierung und weitere Schwächung der Opposition kommt letztlich ihm zu Gute.

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