Heute hat die Innenministerkonferenz in Lübeck (IMK) über den Abschiebungsstopp nach Syrien entschieden. Gestern hieß es bereits, die Landesinnenminister von Union und SPD hätten sich darauf geeinigt, „schwere Straftäter“ und „Gefährder“ künftig nach Syrien abzuschieben.
Am Abend wurde dies durch mehrere Wortmeldungen relativiert: Am Freitag haben die Innenminister den Abschiebungsstopp schließlich doch uneingeschränkt bis Juni 2020 verlängert. Allerdings sieht der Beschluss vor, dass die Bundesregierung bereits die Voraussetzungen für die Abschiebung von „Gefährdern“ „schweren Straftätern“ und Menschen schaffen soll, die für Heimatbesuche nach Syrien zurückkehrten. Das lässt befürchten, dass der Abschiebungsstopp im Juni 2020 nicht uneingeschränkt verlängert wird.
IMK leistet Beitrag zur Rehabilitierung des Assad-Regimes
Doch bereits die nun getroffene Entscheidung ist unverantwortlich. Denn im Klartext heißt der Beschluss der IMK vermutlich, dass die Innenminister die Bundesregierung auffordern, Kontakte zum Assad-Regime einzufädeln, um Abschiebungen zu ermöglichen.
Die Bundesregierung hat 2012 die diplomatischen Beziehungen zum Assad-Regime beendet aus Protest gegen dessen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Schleswig-Holsteins Innenminister und Vorsitzender der IMK 2019, Hans-Joachim Grote (CDU) sieht dies allein als technisches Problem: „Es gibt momentan in Syrien für uns keine Ansprechpartner, das ist die Schwierigkeit.“
Geht es nach den Innenministern, muss die Bundesregierung wieder Kontakt zum Assad-Regime aufnehmen, obwohl dessen Verbrechen unverändert andauern und obwohl die Bundesgeneralanwaltschaft gegen mehrere Vertreter des Assad-Regimes Ermittlungsverfahren eröffnet und mittlerweile auch Anklagen erhoben hat, und zwar wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
Selbst wenn kurzfristig noch niemand abgeschoben wird, trägt die Innenministerkonferenz somit zur Rehabilitierung des Assad-Regimes bei. Schon lange setzt die russische Regierung als Schutzmacht des Assad-Regimes darauf , dass Abschiebungen dazu führen, dass das Regime auch in der EU wieder als Kooperationspartner angesehen wird. Putin und Assad dürften sich über den IMK-Beschluss freuen.
Lagebericht des Auswärtigen Amtes ist klar
Vor wenigen Tagen erschien ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Syrien, der bestätigte, dass sämtliche Sicherheitsorgane des syrischen Staaten systematisch foltern, dass es keinen effektiven Schutz vor Folter und anderen Repressionen gibt und dass selbst regimeloyale Syrer*innen Opfer on Repressionen werden können.
Ein paar Zitate aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes zur Frage, was abgeschobenen Straftätern in #Syrien droht, wenn die #IMK morgen tatsächlich den Abschiebungsstopp aufweicht:
— Adopt a Revolution (@AdoptRevolution) December 5, 2019
Die Innenminister kennen den Bericht. Dass angesichts der vorliegenden Fakten dennoch überhaupt über den Abschiebungsstopp diskutiert wird, zeigt, dass die Innenminister bereit sind, schwerste Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention und die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte in Kauf zu nehmen, um wieder abschieben zu können.
Menschenrechte? Leider nicht vermittelbar
Fundamentale Menschenrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gelten für alle Menschen, auch für Straftäter und Gefährder. Wer die Menschenrechte nur dann achtet, wenn es bequem und opportun ist, hat das Konzept der Menschenrechte nicht verstanden.
Doch die Innenminister halten Menschenrechte offenbar für politisch nicht vermittelbar. Der Vorsitzende der Innenmisterkonferenz Hans-Joachim Grotesagte auf der Pressekonferenz: „Ich glaube, anders wäre es auch den Menschen hier nicht zu vermitteln, dass jemand, der schwere Straftaten begeht, dennoch den Schutzstatus des Flüchtlings hat. Irgendwann werden diese Rechte, die wir gewähren, verwirkt.“
Tatsächlich kann etwa ein Flüchtlingsschutz entzogen werden. Für grundlegende Menschenrechte wie das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gilt das nicht, und genau um diese Rechte geht es, wenn Straftäter in einen Folterstaat abgeschoben werden.
Vorbild Afghanistan: Von wegen „nur Straftäter“
Bei der gestrigen Pressekonferenz brachte Schleswig-Holsteins Innenminister Grote zudem Afghanistan ins Spiel – er betonte, „der Wille, auch Straftäter nach Syrien wie nach Afghanistan abzuschieben“, sei vorhanden.
Nach Afghanistan werden allerdings längst nicht mehr nur Straftäter und Gefährder abgeschoben. Manche Abgeschobenen wurden wegen Lappalien verurteilt (etwa Einreise mit einem gefälschten Dokument), andere haben sich gar nichts zu schulden kommen lassen. Oft trifft es Menschen, die Arbeit haben und gut integriert sind.
Die Strategie der Innenminister ist daher vorgezeichnet: Wie im Falle Afghanistans werden am Anfang Straftäter abgeschoben, für die sich niemand einsetzt. Und wenn die Abschiebungsflüge erst Routine sind und sich die Öffentlichkeit an Abschiebungen nach Syrien gewöhnt hat, wird die Zielgruppe erweitert. Straftäter, Gefährder und Syrien-Reisende abzuschieben wird nur der Anfang sein.
Entscheidung fällt im Juni
Im Juni wird die IMK in Thüringen stattfinden. Dort droht, dass dann auch der Schritt vollzogen wird, vor dem die Innenminister dieses Mal offenbar noch zurückschrecken: Die Aufweichung des Abschiebungsstopps für bestimmte Gruppen. Sollte dies eintreffen, ist zu erwarten, dass bald darauf ebenso der generelle Abschiebungsstopp fällt.
Konsequenzen für syrische Geflüchtete
Endet der Abschiebungsstopp, heißt dies nicht, dass sämtliche syrischen Geflüchteten sofort abgeschoben werden können. Das zu betonen ist wichtig, da die Diskussion über den Abschiebungsstopp viele syrische Geflüchtete massiv verunsichert.
Wer über einen gültigen Aufenthaltstitel bzw. einen Schutzstatus verfügt, kann nicht einfach abgeschoben werden. Zunächst müsste der Schutzstatus vom BAMF widerrufen oder zurückgenommen werden – und hiergegen kann geklagt werden. Bislang wird der Schutzstatus syrischer Geflüchteter in der Regel nicht widerrufen. Geflüchtete, bei denen dies doch der Fall ist, sollten sich rechtlich beraten lassen. Dasselbe gilt für syrische Geflüchtete, die nur „geduldet“ werden.