Hintergründe zur Diskussion über Abschiebungen nach Syrien

Auch wenn der Abschiebestopp bis Ende 2019 verlängert wurde: Die Diskussion auf der Innenministerkonferenz über Abschiebungen nach Syrien war von Populismus und erschreckender Ahnungslosigkeit gekennzeichnet. Einige Hinweise, Klarstellungen und Hintergründe zur Debatte.

Schon länger träumen die Innenminister von Bayern, Sachsen und anderer Länder davon, zumindest Straftäter und sogenannte „Gefährder“ nach Syrien abschieben zu können. Zwischenzeitlich war auch davon die Rede, Assad-Anhänger nach Syrien abschieben zu wollen oder den Abschiebungsstopp gar für all jene aufzuweichen, die „subsidiären Schutz“ erhalten haben

Kurz vor der aktuellen Innenministerkonferenz forderten insbesondere der bayerische Innenminister Herrmann (CSU) den Abschiebungsstopp nicht oder nur unter Vorbehalten zu verlängern. Wie ahnungslos die Innenpolitiker in der Sache Syrien sind, bewies vor allem der Innenminister Herbert Reul (NRW, CDU) in einem ZDF-Interview, für das er sich zumindest in Teilen später entschuldigte

Am Ende wurde der Abschiebungsstopp auf der Innenministerkonferenz bis Ende 2019 verlängert. Das ist zwar positiv, aber wird dafür sorgen, dass schon in einem halben Jahr Innenpolitiker wieder faktenfrei über Syrien sprechen. Daher einige Argumente und Klarstellungen zu dieser Debatte:

„Aber es geht doch nur um Straftäter“

Die Innenminister haben zwei Motive, den Abschiebungsstopp aufzuweichen. Zum einen geht es Ihnen darum, Straftäter und „Gefährder“ abschieben zu können, denn wann immer Ausländer Verbrechen begehen, fordern Populisten deren Abschiebung – nach dem Motto: „Wer sein Gastrecht verwirkt, muss gehen“. 

Tatsächlich aber haben Flüchtlinge in Deutschland kein „Gastrecht“, sondern sie haben Rechte, und zwar mindestens die im Grundgesetz verbürgten Menschenrechte – und die gelten sogar für Schwerverbrecher: Auch sie dürfen nicht Folter oder erniedrigender Behandlung ausgeliefert werden. Leider halten die Innenminister diese Grundsätze des deutschen und internationalen Rechts offenbar für „politisch nicht vermittelbar“ – statt die Öffentlichkeit an geltendes Recht zu erinnern, versuchen sie lieber, Straftäter irgendwie loszuwerden.

Vor allem aber geht es den Innenministern darum, endlich nach Syrien abschieben zu können, um syrische Flüchtlinge abzuschrecken, die noch erwägen, nach Deutschland zu fliehen. Abschiebungen sind stets als Teil der Abschreckungspolitik zu sehen.

Insbesondere die Erfahrung mit den Afghanistan-Abschiebungen zeigt, dass die Abschiebung von Straftätern und Gefährdern nur ein Wegbereiter sind, um generell wieder in ein Land abschieben zu können: Erst werden Straftäter abgeschoben, denn die erhalten meist von niemandem Unterstützung. Dann trifft es Menschen, die etwa angeblich über ihre Identität täuschen. Und hat sich sich die Öffentlichkeit schließlich an die Abschiebungen gewöhnt, trifft es irgendwann alle. Daher ist es wichtig, auch bereits gegen die Abschiebung von Straftätern zu protestieren.

„Aber Assad-Anhänger kann man doch abschieben“

Auf den ersten Blick scheint es plausibel, dass Menschen, die das Assad-Regime unterstützen, abgeschoben werden können, nachdem das Assad-Regime den größten Teil Syriens wieder kontrolliert. Aber näher betrachtet sprechen viele Argumente dagegen. Erstens: Wenn es zu Abschiebungen von Assad-Anhängern kommt, dann wird sich die Öffentlichkeit an Syrien-Abschiebungen gewöhnen. Es wird dann leichter sein, auch andere SyrerInnen abzuschieben. 

Zweitens: Wer weiß denn genau, wer Assad-Anhänger ist und wer nicht? Gibt es eine Gesinnungsprüfung? Wer entscheidet darüber? Werden am Ende Menschen abgeschoben, weil sie z.B. bei der Anhörung angegeben haben, dass sie vor dem IS geflohen sind? Tatsächlich droht vielen Menschen, die vor dem IS oder oppositionellen Milizen geflohen sind, auch Verfolgung durch das Assad-Regime.

Drittens: Der Repressionsapparat des Regime besteht aus vielen Geheimdiensten und unterschiedlichen regime-loyalen Milizen, die teils mafiöse Züge haben. Daher ist die Verfolgung durch das Regime von Willkür geprägt und sehr unberechenbar. Selbst manche Assad-Anhänger können unter Umständen bei der Rückkehr inhaftiert werden, gefoltert werden oder verschwinden.

Zahlreiche Berichte zeigen, dass der bloße Verdacht für eine Verfolgung ausreicht. Und zahlreiche Berichte zeigen, dass Menschen, die in der Annahme, dass ihnen in Syrien keine Verfolgung drohe, zurückgekehrt sind, trotzdem inhaftiert wurden oder gar verschwunden sind.

„Die Verfolgung hat doch nachgelassen“

Manche Innenpolitiker behaupten, die Verfolgung der Opposition in Syrien habe nachgelassen – vielleicht weil sie davon ausgehen, dass das Regime nun wieder fest im Sattel sitze und daher Verfolgung nicht mehr so nötig habe, oder weil sie unterstellen, das Regime habe keine Kapazitäten, um so viele Menschen zu verfolgen.

Tatsächlich aber hat die Verfolgung eher zugenommen, uns wird von unseren Kontakten in Syrien ständig über willkürliche Festnahmen und Zwangsrekrutierungen berichtet. Das bestätigt auch der Lagebericht des Auswärtigen Amtes.

“Durch den langsamen Rückgang der Kampfhandlungen steigt auch der Einfluss und Zugriff der Sicherheitsbehörden und Geheimdienste wieder.”

Lagebericht des Auswärtigen Amtes, November 2018, S. 23

Im Lagebericht des Auswärtigen Amtes heißt es weiter: “Übergriffe durch nicht-staatliche Akteure haben stark zugenommen. Dabei handelte es sich zunächst vor allem um Übergriffe regimetreuer Milizen, bei denen der Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebaren fließend ist.”

“Es kehren doch Flüchtlinge zurück”

Der bayerische Innenminister Herrmann begründet seinen Vorstoß für Syrien-Abschiebungen damit, dass Flüchtlinge aus dem Libanon nach Syrien zurückkehrten – daher könne die Lage nicht so schlimm sein. Legt man die Zahlen des UNHCR zugrunde, kehren tatsächlich bislang jedoch nur relativ wenige Geflüchtete aus dem Libanon nach Syrien zurück, und wenn, dann in der Regel, weil sie massiv unter Druck gesetzt werden.

Geflüchtete aus dem Libanon stehen oft vor der Wahl zwischen einem perspektivlosen Leben im Elend im Libanon oder lebensbedrohlichen Sicherheitsrisiken in Syrien. Eine Studie der Weltbank, die das Rückkehrverhalten untersucht hat, kommt zum Schluss, dass der überwiegende Teil syrischer Geflüchteter aufgrund der Sicherheitslage nicht zurückkehrt, und dass sich ihre Befürchtungen nicht einfach nur auf das Kriegsgeschehen beziehen, sondern auf die willkürliche Gewalt durch das Regime.

SyrerInnen brauchen verlässlichen Schutz

Der Lagebericht des Auswärtigen Amtes von November 2018 stellt die Lage in Syrien ungeschönt und präzise dar. Dort findet sich weder ein Hinweis darauf, dass sich die Lage in Syrien verbessert hat, noch dass sie sich in naher Zukunft verbessern könnte –  und auch stützt dort nichts die Behauptung, dass es sichere Gebiete in Syrien gebe – ganz im Gegenteil. 

Vor diesem Hintergrund reicht die von der Innenministerkonferenz beschlossene Verlängerung des Abschiebungsstopps nicht aus: SyrerInnen in Deutschland, die sich hier oft unter großen Mühen ein neues Leben aufbauen, brauchen endlich Gewissheit, dass sie bleiben können. Debatten um Syrien-Abschiebungen und die ständigen Gesetzesänderungen (wie etwa die Verlängerung der Widerrufsfrist) verunsichern die syrische  Community in Deutschland massiv. 

Drohende Rehabilitation des Assad-Regimes

Die innenpolitischen Diskussionen um den Abschiebungsstopp haben nicht zuletzt auch eine außenpolitische Dimension: Russlands Präsident Wladimir Putin, der seine schützende Hand über das Assad-Regime hält, will die Frage nach der Rückkehr von Geflüchteten als Hebel nutzen, um das Assad-Regime international zu rehabilitieren. Das Regime würde sich mit Sicherheit freuen, wenn deutsche Kooperationsanfragen zur Durchführung von Abschiebung bei seinen Behörden eingingen.

Interessant ist die Frage, mit welchen syrischen Behörden die Bundesregierung denn kooperieren würde, sollte sie denn tatsächlich Abschiebungen einfädeln wollen. Deutschland unterhält zum Regime offiziell keine diplomatischen Beziehungen. Viele hochranginge Vertreter des Assad-Regimes stehen auf den Sanktionslisten der EU. Die Generalbundesanwaltschaft ermittelt gegen hochrangige Funktionäre der Sicherheitsapparate des Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.