Am 9. Mai 2013 hat eine internationale Delegation dem syrischen Justizminister eine Liste mit 72 Namen politischer Häftlinge – gewaltfreie AktivistInnen – überreicht, deren Freilassung erwirkt werden soll (Syrian Nonviolence Group). Prinzipiell signalisierte der Minister „Wohlwollen“ in der Sache. Unter den 72 Inhaftierten sind mit Anas Shughri (seit 14.05.11) und Yahya Shurbaji Symbolfiguren des gewaltfreien Widerstandes, mehrere Mitarbeiter des Zentrums für Meinungsfreiheit, die junge Bloggerin Tal al-Malouhi sowie Suhaib Zoaby und sein Bruder Zaidoun (erneut in Haft, hier ein früheres Interview mit CNN). Letztere sind Verwandte des Vizepräsidenten Faruq al-Sharaa.
Die syrische Bloggerin Razan Ghazzawi weiß um die Bedeutung von Öffentlichkeit für den Schutz von Inhaftierten, daher ihr Appell: „As someone who was detained, I know that we can save a detainee’s life once we mention their names on our stupid online accounts […] It’s media, it’s letting the regime know we can beat it together. It’s humanizing a detainee who’s becoming a number.“ Ihr aktueller Beitrag handelt vom Medizinstudenten Samih al-Bahra sowie ähnlichen Fällen, in denen die Opfer nicht überlebten.
Die Zahl der in Syrien Getöteten soll mittlerweile bei 94.000 Menschen liegen, berichtet der SPIEGEL und stützt sich auf Angaben der syrischen Beobachtungsgruppe für Menschenrechte. Gleichzeitig wird vermutet, dass die tatsächliche Zahl weit höher liegt. Die Beobachtungsstelle in London erfasst sowohl Opfer auf Regime- als auch Oppositionsseite. Die UN geht von ca. 80.000 Toten aus (UN News Centre). Heute wurde zum fünften Mal eine Resolution zu Syrien in der UN-Generalversammlung verabschiedet, die jedoch rein symbolischen Charakter hat. Der Text fordert u.a. dringende finanzielle Unterstützung für die vom syrischen Flüchtlingsstrom betroffenen Länder. In den Forderungen und im Abstimmungsverhalten ähnelt die Resolution vorherigen Texten.
Die NGO Geneva Call hat zusammen mit der Nationalen Koalition Videos und Booklets unter dem Motto „Kämpfer und nicht Mörder“ auf Arabisch herausgegeben (AJE). Allen syrischen Kriegsparteien sollen derart internationale Regeln in kriegerischen Konflikten nahegebracht werden. Es soll z.B. nicht auf Kindersoldaten zurückgegriffen werden, medizinisches Personal und Zivilisten sollen in den Kämpfen geachtet und verschont werden und ferner Gefangene human behandelt werden. Zunehmend werden auch Anti-Assad-Kräften Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Mehrere NGOs beklagten bereits eine Verrohung des syrischen Konfliktes.
Ein drastisches Beispiel für Verstöße stammt aktuell aus Raqqa, wo Anhänger von Jabhat al-Nusra nach Berichten oppositioneller Blogger diese Woche drei alawitische Regierungssoldaten öffentlich hinrichteten – angeblich aus Rache für die Massaker von Banyas. In Raqqa finden allerdings auch regelmäßige Demonstrationen gegen Jabhat al-Nusra und andere streng islamisch-orientierte Gruppen statt. Dieses Video zeigt einen Protest vom Dienstag, der sich auch gegen Konfessionalismus wendet.
Ein Artikel des Telegraph geht auf Raqqa und die dortige Herrschaft von Jabhat al-Nusra ein. Die Einnahme der Provinzhauptstadt Raqqa ist ein strategischer Erfolg für al-Nusra, der sich auch finanziell lohnt(e). Es gibt Berichte von Plünderungen, Öleinnahmen aus nahen Quellen sind zu verbuchen. Jabhat al-Nusra ist in der Stadt keinesfalls unumstritten, Widerstand regt sich von zivilen Aktivisten und anderen militärischen Gruppen. Al-Nusra will in Raqqa seine Glaubenshaltung überstülpen und ging zunächst auch gegen unverschleierte Frauen vor – bis sie auf Widerstand der Bewohner stießen. Manchen gilt die Jabhat als nicht korrupt, während andere in dem frömmelnden Auftreten nur reine Fassade sehen. Das Bekenntnis al-Nusras, zu Al-Qaida zu gehören, hat viele Syrer abgestoßen. Die meisten Interviewten in Raqqa sehen einen moderaten Islam als Wunsch für die Zukunft bzw. einfach eine Form des Zusammenlebens, die alle Religionen vor Ort mit einschließt. Der christlichen Minderheit in der Stadt sowie den vorhandenen Kirchen ist bislang nichts angedroht worden. Nach der erfolgreichen Revolution gegen Assad werde die zweite Revolution gegen al-Nusra folgen, meinen einige in Raqqa. Manche sehen die Allianz mit al-Nusra, aus der Not geboren, jedoch als Pakt mit dem Teufel, der sich rächen wird.
Einen aktuellen Eindruck aus dem Stadtviertel Yarmouk (Damaskus) bietet ITV. Yarmuk (oft auch nur „das Camp“) ist ein inoffizielles Flüchtlingscamp für 150.000 Palästinenser (UNRWA), das über die Jahre zu einem lebhaften Damaszener Stadtviertel wuchs. Yarmouk ist seit Sommer 2012 verstärkt zur Front zwischen FSA und staatlicher Armee geworden, auch Jabhat al-Nusra soll im Kampf mitmischen, wie ITV berichtet. Mittlerweile sind viele Einwohner aus Yarmouk geflohen, die verbliebenen Anwohner harren aus. Jeden Tag gilt eine einstündige „Waffenruhe“, in der Einwohner versuchen, Proviant ins Camp zu bringen. Die von ITV interviewten Frauen zeigen sich frustriert von der gewaltgeprägten Situation, die mit den Protesten vom Anfang nicht viel zu tun habe.
Palästinensische Stimmen mit starken Meinungen fängt ein Video aus Ägypten ein. Palästinenser aus Syrien haben in Ägypten keinen (Flüchtlings)Status, es zeigen sich zudem weder palästinensische noch syrische Stellen vor Ort zuständig. Die Männer entlarven die leere Palästina-Rhetorik Assads und der Hisbollah. Einer der Interviewten verlor seinen Sohn, Uni-Absolvent und humanitärer Aktivist, in Yarmouk im Sommer 2011 durch Regierungsscharfschützen. Anschließend sollte er einräumen, dass Terroristen seinen Sohn erschossen hätten. Syrische Palästinenser würden sich zugleich mit Syrien und Palästina identifizieren. 6.000 Palästinenser sollen bereits in Syrien gestorben sein.
Die Geschichte der syrischen Revolution vollzieht Khatoun Haidar am Beispiel von Suleiman, einem Handwerker aus Daraa. Dieser erledigt für ihn seit langem Gelegenheitsjobs in Beirut und war über das Entstehen einer Protestbewegung in Syrien zunächst mehr als pessimistisch – Bashar würde wie der Vater mit harter Hand vorgehen: „He will bomb us with planes and kill us all”. Haidar versicherte, im heutigen Medienzeitalter sie dies nicht mehr möglich. Als die Proteste in Daraa ausbrachen, wurde Suleiman euphorisch. Dann mehrten sich die Übergriffe auf Verwandte und Dörfer in Syrien, Suleiman wurde mit der Zeit verbittert und erwartet keine Hilfe mehr aus dem Ausland – eher schon von den anfangs ungeliebten Fundamentalisten. Haidar meint: „Suleiman personifies the Syrian tragedy and for me remains the symbol of my failure, and the failure of all those who believe in freedom and dignity. We failed the people of Syria.“ Ein Zitat von Albert Einstein rundet den Artikel ab.
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