Juhuu, Obama zögert

„Mehr als zwei Jahre lang wollten wir keine Intervention von außen“, berichtet ein Aktivist aus Syrien, „aber nach den Angriffen mit Chemiewaffen muss etwas passieren. Und eine andere Option als einen Militärschlag sehe ich nicht mehr.“ Auch viele weitere AktivistInnen äußerten sich in dem Sinne, als Ende letzter Woche ein Militärschlag seitens der USA als […]

„Mehr als zwei Jahre lang wollten wir keine Intervention von außen“, berichtet ein Aktivist aus Syrien, „aber nach den Angriffen mit Chemiewaffen muss etwas passieren. Und eine andere Option als einen Militärschlag sehe ich nicht mehr.“ Auch viele weitere AktivistInnen äußerten sich in dem Sinne, als Ende letzter Woche ein Militärschlag seitens der USA als Bestrafung gegen das Assad-Regime fast nur noch eine Sache von Stunden zu sein schien.

Entsprechend lautete der Kommentar des selben Aktivisten, nachdem US-Präsident Obama angekündigt hatte, er wolle zunächst den Kongress befragen: „Man kann keine Bestrafung androhen, dann aber dem Täter Zeit lassen, davonzulaufen.“ Er berichtete, die schweren Waffen würden in Sicherheit gebracht, Kasernen mit Gefangenen gefüllt und Soldaten dafür in Studentenwohnheimen untergebracht. Ein beschränkter Angriff mit Cruise Missiles, wie er von US-Medien ins Gespräch gebracht worden war, würde in so einem Fall zahlreiche zivile Todesopfer fordern, die Militärmacht Assads aber nur beschränkt treffen. Doch selbst wenn es schwerer wird, kritische Waffensystem der syrischen Armee zu zerstören, so hat das Zögern Obamas doch auch zahlreiche starke Vorteile – ganz abgesehen von den Fragen nach der demokratischen Legitimation eines Kriegseinsatzes und der Ausarbeitung einer geeigneten Strategie.

Denn schon die Spekulation über einen bevorstehenden Angriff von außen hat in Damaskus für Verunsicherung gesorgt: Das ohnehin schwächelnde syrische Pfund befand sich im freien Fall, was es für die Regierung Assad immer teurer macht, sich Waffen zu kaufen und den Krieg zu finanzieren. So kündigte die russische Regierung etwa an, eine Bestellung von Kampfjets und Raketen nicht nach Syrien zu liefern, weil das Regime seine Anzahlung nicht beglichen habe. Es wurde viel spekuliert, ob dahinter nicht auch eine leise Abkehr des Kremls vom syrischen Diktator stehen könnte.

Darüber hinaus ist zu erwarten, dass nun viele noch regime-treue SyrerInnen an ihrer Loyalität zweifeln. AktivistInnen berichteten von Soldaten, die sich darauf vorbereiteten, zu desertieren, um nicht bei einem US-Angriff ums Leben zu kommen. Doch selbst bei denjenigen, die keinen Gedanken an einen Seitenwechsel verlieren, herrscht Unsicherheit. Die Familien von hochrangigen Militärs wohnen oft in der Nähe der Kasernen, so dass eine Großzahl von Familienmitgliedern der Staatselite Damaskus verlassen hat – entweder in Richtung der vom Regime dominierten Küstenregion, oder gleich ganz ins Ausland. Ob sie von dort in absehbarer Zeit zurückkehren werden, ist ungewiss. Damit bricht aber auch endgültig die Parallelwelt zusammen, in der Teile der syrischen Machtelite bis vor Kurzem noch gelebt haben.

Letztlich muss sich das syrische Militär trotzdem auf einen Angriff gefasst machen und vorbereiten, was ein erheblicher logistischer und organisatorischer Aufwand ist. Werden schwere Waffen versteckt, dann an Stellen, vor wo aus sie kaum direkt einsetzbar sind. Und werden die Kasernen geräumt, weil die Soldaten an anderen Orten untergebracht werden, entstehen Lücken und Möglichkeiten für die Opposition – für bewaffneten Rebellen, genauso wie für die Zivilbevölkerung, die nicht mehr die Willkür der Militärs fürchten muss.

Schließlich gibt Obama durch den Aufschub auch der Diplomatie noch eine Chance, eine andere Antwort als eine militärische auf den Einsatz von Chemiewaffen in den Vororten von Damaskus zu finden. Es könnte doch immerhin noch sein, dass er sich beim bevorstehenden G20-Gipfeltreffen mit seinem russischen Amtskollegen einigt und der UN-Sicherheitsrat ein Waffenembargo verhängt – und etwa auch gegenüber dem Iran durchsetzt – sowie die Türkei verpflichtet, den Zustrom an radikalen Islamisten zu stoppen.