Es gibt andere und bessere Möglichkeiten, die Aufständischen zu unterstützen, als ihnen Waffen zu liefern.
Die Lage in Syrien ist militärisch festgefahren. Die mittlerweile offene Einmischung der libanesischen Hizbollah im Kampf um die Kleinstadt Qusayr an der Grenze zum Libanon bringt dem syrischen Regime leichte Vorteile. Gleichzeitig verliert es in den Vororten von Damaskus an Boden. In Aleppo, wo vor fast einem Jahr die Entscheidung über den Fortbestand des Assad-Regimes fallen sollte, bewegt sich die Front trotz schwerer Gefechte so gut wie gar nicht mehr. Der Bundesnachrichtendienst schätzt, dass das Assad-Regime nicht so schnell fallen wird wie noch im vorigen Jahr angenommen. Angesichts der Nachrichtenlage überrascht das nicht.
Überraschend ist auch nicht, dass Großbritannien und Frankreich den Aufständischen ab August Waffen liefern wollen. Aber selbst wenn sie – anders als die Bedenkenträger unter den EU-Staaten – wenigstens in drei Monaten handeln wollen, begehen sie einen fundamentalen Fehler: Die britische und die französische Regierung halten an dem Glauben fest, es gebe eine “große Lösung” für das Syrien-Problem. Doch die Situation in den verschiedenen Gebieten ist längst so unterschiedlich und komplex, dass eine differenzierte Betrachtung notwendig wäre. Und wer genauer hinschaut, muss eigentlich sofort handeln, um angesichts der katastrophalen Lage nicht zynisch zu wirken.
Grundsätzlich stehen noch zwei “große Lösungen” zur Debatte. Womöglich würde der volle diplomatische Druck auf Russland helfen, Waffenlieferungen an Assad zu stoppen, und eine Einladung an den Iran die Chancen auf eine Verhandlungslösung in Genf steigern. Doch diese Option wird genauso wenig verfolgt wie eine militärische Intervention. Beides ist mit viel zu hohen Kosten verbunden – zumindest politisch. Für Syrien geht diese Risiken niemand ein. Vor allem aber steht in Frage, ob das eine oder das andere überhaupt Erfolg zeitigen würde.
Der genauere Blick offenbart, dass das Land in verschiedene Teile zersplittert ist und sich vielerorts das Post-Assad-Syrien bereits manifestiert. Weniger in den vom Regime kontrollierten Gebieten, wo Zeitungen noch im Geheimen gedruckt und verteilt werden müssen. Doch in den sogenannten befreiten Gebieten existiert das neue Syrien längst. Hier organisieren die Menschen das zivile Leben selbst: In den ausgebombten Vorstädten von Damaskus bauen die Aktivistinnen und Aktivisten Schulen für die Kinder der zurückkehrenden Familien wieder auf. Im Norden, entlang der türkischen Grenze, etablieren sie lokale Räte, die mit eigenen Polizeikräften den Hunderten bewaffneten Gruppen eine zivile Kontrolle entgegenstellen wollen. Und im Osten, in den Städtchen und Dörfern entlang des Euphrat, bilden kleine Kollektivbetriebe den Nukleus des wirtschaftlichen Wiederaufbaus. Doch alle diese Projekte müssen weitgehend in Eigenregie entstehen, weil es keine Unterstützung von außen gibt.
Dabei schränkt die humanitäre Katastrophe, die sich derzeit noch einmal verschärft, den Handlungsspielraum noch weiter ein. Denn während die wirtschaftlich stabile Türkei ihre ökonomische Belastungsgrenze mit mehr als 500 000 syrischen Flüchtlingen erreicht sieht, sind in den befreiten Gebieten Syriens bereits etwa zehn Mal so viele untergekommen. Es fehlt der Strom, um Wasser aufzubereiten oder herbeizupumpen, Lebensmittel sind knapp, Medikamente gibt es so gut wie keine, Treibstoffe für Generatoren oder Gas zum Kochen sind unerschwinglich.
Es sollte für die europäischen Staaten ein Leichtes sein, humanitäre Hilfe über die türkisch-syrische Grenze zu bringen. Doch die großen Hilfsorganisationen, die im Auftrag der Staaten ihre Büros im Süden der Türkei eröffnet haben, schaffen es nicht, die grundlegendsten Bedürfnisse jenseits der Grenze zu stillen, geschweige denn, zu Sicherheit und Stabilität in den befreiten Gebieten beizutragen. Während al-Qaida-nahe Kämpfer, die eine mindestens ebenso große Gefahr für den Aufstand der emanzipatorischen Kräfte darstellen wie Assad, im Kampf um die Herzen auf Lebensmittelspenden setzen, liefern Frankreich und Großbritannien wohl lieber Waffen an die heillos zersplitterte und unorganisierte Freie Syrische Armee. Worauf die Bundesregierung eigentlich setzt, bleibt undurchsichtig.
Jetzt Waffen zu liefern, statt mit Generatoren und Treibstoff, Mikrokrediten und Gehältern für Polizisten das neue Syrien zu stabilisieren, lenkt die Aufmerksamkeit auf das Problem statt auf die Lösung. Mit einer ernst gemeinten politischen und humanitären Unterstützung könnte das Post-Assad-Syrien zu einer echten Alternative werden. Möglich wäre das alles sofort, ohne monatelang über Waffenlieferungen zu streiten. Die erfolgen möglicherweise ohnehin nicht – was den bisherigen Erfahrungen der Syrerinnen und Syrern mit den Ankündigungen westlicher Staaten entspräche.
Jetzt RevolutionspatIn werden!
Dieser Beitrag erschien auch in der Jungle World 23/13 als Antwort auf den Kommentar von Oliver M. Piecha “Wer sich raushält, stützt Assad”.