Kampagnen gegen und Alltag in der Belagerung des Ghouta, Genf 2, Gefangenenaustausch, die syrische Revolution ist kein pseudo-struggle- Netzschau vom 27. Oktober

Während die Belagerung des Gebiets Ost-Ghouta sowie der Gebiete in Süd-Damaskus anhält, ist eine Kampagne zum Durchbrechen der Belagerung gestartet. Wie hier in Douma demonstrieren SyrerInnen solidarisch mit den betroffenen Gegenden gegen die Belagerung. Die Stadt Daraya etwa ist bereits seit zwei Monaten belagert. Dort befinden sich laut der „Nationalen Kampagne zur Durchbrechung der Belagerung“ […]

Während die Belagerung des Gebiets Ost-Ghouta sowie der Gebiete in Süd-Damaskus anhält, ist eine Kampagne zum Durchbrechen der Belagerung gestartet. Wie hier in Douma demonstrieren SyrerInnen solidarisch mit den betroffenen Gegenden gegen die Belagerung. Die Stadt Daraya etwa ist bereits seit zwei Monaten belagert. Dort befinden sich laut der „Nationalen Kampagne zur Durchbrechung der Belagerung“ noch 600 Familien. Da weder Nahrung noch Lebensmittel von der Armee des Regimes in die Stadt gelassen werden und gleichzeitig der Beschuss nicht aufhört, befänden sich derzeit 600 Kinder in akuter Gefahr.

Der Stadtteil Yarmuk steht bereits seit drei Monaten unter Belagerung. Trotzdem ist dort das Leben nicht zum Stillstand gekommen. Es gibt zahlreiche Schulen, die von der Zivilgesellschaft getragen werden. Diese Drittklässler erzählen in einem Video was sie sich von den Menschen außerhalb wünschen: „Dass man uns rausgehen lässt und essen und trinken lässt, so dass wir satt werden.“ Brot gibt es schon seit Wochen nicht mehr, aufgrund des Mangels an Ingredienzien. Versuche, die Belagerung mittels friedlicher Demonstrationen zu durchbrechen, wurden mit Gewalt beantwortet.

Letzte Woche veranstalteten AktivistInnen im gleichen Viertel einen Karneval, um „Kindern ein Lächeln ins Gesicht zu säen“. Mit Verkleidung marschierte man hierzu entlang der Straße Ja´una, in welcher im vergangenen Monat die meisten Menschen ums Leben gekommen seien. Zudem hielt man Bilder von Verstorbenen hoch und spielte Musik.

Über diese Kampagne des syrischen Militärs mit dem Namen „Hungert oder zieht euch zurück“ berichtet auch BBC. Im Hintergrund hört man eine Frau erzählen, dass es in Yarmuk außer Linsen nichts mehr zu essen gäbe. AktivistInnen berichten Adopt a Revolution, dass die Verhandlungen mit dem Regime zur Beendigung des Aushungerns ihrer Viertel immer wieder scheitern, da das Regime nicht den Rückzug der bewaffneten und der zivilen AktivistInnen wolle, sondern, dass sich diese selbst auslieferten; dies käme einem Todesurteil gleich.

All4Syria berichtet über ein Treffen vom 26. Oktober, auf welchem sich eine Gruppe von 19 Brigaden der Freien Syrischen Armee (FSA) getroffen hätte, um über „Genf 2“ zu diskutieren. Demnach sei die Konferenz nur als eine Folge in einer Serie von Konferenzen zu verstehen. Eine Lösung, die nicht Bashar al-Asads Abgang und die Auflösung der von Militär und dem Sicherheitsapparat zur Folge hat, sei abzulehnen, hieß es in einer gemeinsamen Erklärung.

Ibrahim al-Hamidi berichtet für al-Hayat – sich auf westliche Quellen auf Diplomatenkreisen stützend- dass sich angesichts „Genf 2“ die „London-Gruppe“ und die „Freunde Syriens“ bereits auf einen Zeitplan von 3 Monaten für Verhandlungen über eine Übergangsregierung geeinigt hätten. Selbst der Zeitplan der Konferenz stehe noch nicht einmal fest, und würde sich in den nächsten zwei Wochen konkretisieren.

Im Zuge eines Gefangenenaustauschs wurden vergangene Woche 10 weibliche Gefangene aus syrischen Gefängnissen entlassen. Im Gegenzug wurden neun Libanesen und zwei türkische Piloten, die seit 17 Monaten im Norden Syriens festgehalten worden, frei gelassen. Von staatlicher Seite habe es bisher keine Stellungnahme gegeben, sodass teilweise unklar ist, wer und wie viele Gefangene entlassen worden. Dieser ersten Phase des Austauschs sollen noch zwei weitere Phasen folgen, Details sind noch unklar und widersprüchlich. Die libanesische Zeitung al-Akhbar berichtet hingegen, dass die Freilassung von Frauen im Kontext einer Amnestie, nicht aber im Rahmen des Austauschs, stattgefunden habe. Noch unklar ist, ob die syrische Bloggerin Tal Malouhi nun endlich auch das Gefängnis verlassen durfte. Sie wurde bereits Ende 2009 im Alter von 17-Jahren für das Bloggen von arabischen Gedichten über Palästina, verhaftet. Al-Modon berichtet jedoch, dass Malouhi, die 2011 zu fünf Jahren Haft verurteilt wurde, ihre Reststrafe erlassen wird und sie sofort aus der Haft entlassen werde.

Im Kontext des Gefangenenaustauschs stellt die oppositionelle Gruppe „Alawites in the Syrian Revolution“ die Frage, warum es keine Initiative seitens des Regimes gibt, die entführten KüstenbewohnerInnen frei zu verhandeln. So würde sich das Regime eher dafür interessieren, seine Shabbiha (Milizen) frei zu bekommen, statt sich um entführte ZivilistInnen zu bemühen.

Auf al-Qunfuz wirft der syrisch-britische Autor Robin Yassin-Kassab einen Blick auf die Rolle der Umwelt im syrischen Konflikt. So sei die Ghouta-Gegend von Damaskus noch vor 30 Jahren so grün gewesen, dass es die Atmosphäre in der Stadt merklich verbesserte. Wer Geld hatte, konnte in Asads Syrien jedoch genau diese Flächen bebauen. Heute ist vom grünen Ghouta nicht viel übrig geblieben. Die Zerstörung der Umwelt und die Folgen seien auch mit ein Grund für den Ausbruch der syrischen Revolution gewesen. Wenn die syrischen Städte eines Tages wieder aufgebaut werden, müssen Gärten in die Städte mit eingeschlossen werden, um so für Lebensmittelsicherheit zu sorgen.

Nachdem Slavoj Žižek in The Guardian die syrische Revolution aufgrund des angeblich fehlenden radikal emanzipatorischen Charakters als einen „pseudo-struggle“ bezeichnet hat, veröffentlich Syria Freedom Forever (SFF), eine Antwort. Eine Dekonstruktion seiner Position sei notwendig, da Žižek Teil der internationalen Linken ist und dort Gehör findet. Seine Analyse sei falsch und elitär. Ein Beispiel der fehlerhaften Argumentation ist, dass der zivile Widerstand aufgrund von IslamistInnen untergegangen sei, und die Dichotomie zwischen Regime und IslamistInnen als gleich böse, lehnt SFF ab: „Our role as stated on many occasions is to participate in the revolutionary process on the side of the revolutionary masses and radicalize as much as possible the movement to allow the victory of the objectives of the revolution: democracy, social justice and no to sectarianism.” Zahlreiche Beispiele würden zeigen, dass die Mehrheit der Menschen sich sowohl gegen das Regime, als auch gegen die IslamistInnen stellten. Am Ende des Artikels eine Aufforderung: „Dear S. Zizek, learn from the REAL STRUGGLE of the Syrian revolutionary masses, and abandon your pseudo struggle to show that nothing is happening in Syria. We have a revolution in Syria.”

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