Brücken bauen inmitten von Verwüstung – Presseschau vom 08.02.2015

Ein aus Sicherheitsgründen anonym bleibender Korrespondent berichtet für Al-Monitor über sunnitisch-alawitische Paare in Syrien, die dem Hass zwischen extremistischen Sunniten und Alawiten trotzen. Während manche nämlich von einem Machtkampf zwischen den Konfessionsgemeinschaften ausgehen, sehen andere im Konflikt eine Auseinandersetzung zwischen dem diktatorischen Regime und (bewaffneten) Revolutionären sowie islamistischen Gruppierungen. Trotz des nun vier Jahre anhaltenden […]

Ein aus Sicherheitsgründen anonym bleibender Korrespondent berichtet für Al-Monitor über sunnitisch-alawitische Paare in Syrien, die dem Hass zwischen extremistischen Sunniten und Alawiten trotzen. Während manche nämlich von einem Machtkampf zwischen den Konfessionsgemeinschaften ausgehen, sehen andere im Konflikt eine Auseinandersetzung zwischen dem diktatorischen Regime und (bewaffneten) Revolutionären sowie islamistischen Gruppierungen. Trotz des nun vier Jahre anhaltenden Konflikts gibt es junge Frauen und Männer mit verschiedenen Konfessionen, die mittels Liebe, Entschlossenheit und Ehe zusammenhalten.

Eine 27-jährige Frau mit Abschluss von der Universität Homs berichtet, dass sie – aus einer sunnitischen Familie stammend – im College einen jungen Alawiten kennenlernte und eine wunderschöne Liebesgeschichte begann. Später zerstörte eine Granate ihr Haus in Homs, während der junge Mann in die Türkei floh, um der staatlichen Wehrpflicht zu entkommen. Dennoch sind sie fest entschlossen, die Beziehung zu verteidigen und zu heiraten. Die Frau lebt nun mit ihrer Familie in einem Vorort von Damaskus. Der Vater war anfangs mit der Ehe einverstanden, spürt aber seitdem den wachsenden Druck von Verwandten. So finden es viele nach Ausbruch des Konflikts nicht mehr akzeptabel, eine Ehe mit einem Alawiten einzugehen. Selbiges wird von der Familie des jungen Mannes berichtet, welche alle Sunniten in Homs für Verbrecher halten. Dennoch will das Paar heiraten und später mit seinen Kindern nach Syrien zurückkommen, um allen zu zeigen, dass die Liebe stärker als der Krieg ist.

Ein 32-jähriger Sunnit, der mittlerweile in einem armen Vorort von Damaskus lebt, erzählt von seiner Liebesgeschichte mit einer Alawitin. Er stammt aus einer reichen Familie, wurde aber von seinem Vater verstoßen, nachdem er sich zu seiner Liebe bekannte. Nun leben sie in einem kleinen Keller mit feuchten Wänden und kämpfen um ihren Lebensunterhalt. Auch die Frau verlor ihre Familie, da die Ehe einen Streit verursachte. Das Problem bei solchen Liebesgeschichten liegt zumeist nicht allein bei den Familien, sondern auch im syrischen Rechtssystem. Die Richter verbieten Frauen eine Heirat, wenn deren Eltern die Zustimmung verweigern. Aufgrund des konfessionell gefassten Familienrechts waren überkonfessionelle Verbindungen also bereits vor der Revolution mit Problemen konfrontiert, die inmitten des aufgeheizten gesellschaftlichen Klimas nur verschärft wurden. In Damaskus zeugen daher gerade Verbindungen von Sunniten und Alawiten von einer tiefen Liebe angesichts der Feindseligkeit und des blinden Hasses in großen Teilen des sozialen Umfelds.

Die American Association for the Advancement of Science geht nach einer Analyse von hochauflösenden Satellitenbildern von starken Plünderungen und Beschädigungen der wichtigsten archäologischen Stätten in Syrien aus, berichtet ARA News. Das Ausmaß der Zerstörung ist in einem Bericht dokumentiert, welcher sechs der insgesamt 12 Stätten untersucht, die als Weltkulturerbe nominiert wurden: Dura Europos, Ebla, die Wasserräder von Hama, Mari, Raqqa sowie Ugarit. Die Bilder dokumentieren die Zerstörungen von historischen Artefakten und Monumenten, die ein Zeugnis der Vergangenheit der gesamten Menschheit darstellen. Insbesondere für unser eigenes Verständnis der Geschichte stellen diese Stätten eine große Bereicherung dar. Gerade Plünderungen haben sich im vergangenen Jahr erheblich ausgeweitet und intensiviert: Die ForscherInnen identifizierten 165 sichtbare Gruben zwischen August 2011 und März 2014, zwischen dem 25. März 2014 und dem 11. November 2014 jedoch 1286 neue Gruben. Es besteht somit die große Gefahr, dass Syriens Kulturschätze entweder unwiederbringlich zerstört oder langfristig außer Landes geschafft werden. Der Schaden für Syrien ist dabei natürlich ideell, aber auch materiell – lebte Syrien vor dem Konflikt doch auch von der touristischen Vermarktung der Kulturstätten. Da es sich wie oben erwähnt um menschheitsgeschichtliche Artefakte handelt, ist der Verlust dieser Schätze nur schwer in Worte zu fassen.

Ahmad al-Bouleily berichtet auf Damascus Bureau über ein Bewässerungsprojekt in der Ortschaft Al-Khareeta in der ostsyrischen Provinz Deir al-Zor. Der lokale Rat hat beschlossen, mit dem Projekt, dessen Kosten auf 100.000 US-Dollar geschätzt werden, einen Kanal wiederzubeleben, der in den 1970ern ausgetrocknet ist. Damals wurde am Euphrat stromaufwärts ein Staudamm in der nördlichen Stadt Raqqa errichtet, der in der Region um Al-Khareeta zu Wasserverknappung führte. Der wiederzubelebende Kanal ist mehr als 12 Kilometer lang und 14 Meter breit. Sein Wasser wurde verwendet, um 1000 Hektar Ackerland zu bewässern; bot zudem mehr als 60.000 Menschen eine sichere Wasserversorgung. Mohammad Hassan, Sprecher des Gemeinderates in Al-Khareeta, geht vor allem auf die Vorteile des Kanals ein. So werden die Kosten für die Bewässerung der Felder um 50 Prozent gesenkt, BewohnerInnen und Bauernverbände sollen das Wasser gegen Entrichtung einer kleinen Gebühr nutzen dürfen.

Das Projekt begann im August 2013 und soll mehrere Brücken enthalten, um beide Seiten des Kanals miteinander zu verbinden. Diese Brücken machen einen Großteil der Kosten aus, stehen allerdings auch für den zivilen Widerstand gegen das syrische Regime, welches seit 2011 viele Brücken im Umland zerstörte. Der Kanal wird aber auch als Reaktion auf die zunehmende Desertifikation in der Region angesehen. Das Problem der Wüstenbildung betrifft die Feldwirtschaft wie auch die Viehhaltung. Auch der Tourismus soll durch den Kanal langfristig angekurbelt werden, sobald der Krieg endet. Der Kanal mündet nämlich in den Euphrat und, so die Hoffnung vor Ort, Touristen könnten durch die Schönheit der Gegend angezogen werden. In der Provinz Deir al-Zor befinden sich zudem entlang des Euphrat diverse historische Stätten.

Ebenfalls auf Damascus Bureau berichtet Omar Youssef über den syrischen Straßenmusikanten Ahmad im türkischen Gaziantep. Der Mann in den Vierzigern spielte einst Flöte in seiner Nachbarschaft in Nayrab, unweit Aleppos. Ahmad lernte das Flötespielen am Shabiba-Institut für Musik in Aleppo und trat danach in verschiedenen Bands auf. So begleitete er viele der lokalen SängerInnen in der Stadt, allerdings reichte das Spielen nicht für den Lebensunterhalt. Deshalb begann er, selber Flöten herzustellen und diese an Musikläden zu verkaufen. Als der bewaffnete Konflikt in Syrien zunahm, wurde Ahmads Musik vom Lärm der Bomben, Explosionen und Gewehrfeuer übertönt. Dies veranlasste ihn, mit einigen seiner Flöten über die türkische Grenze zu fliehen. Heute durchstreift er die Straßen Gazianteps und erfüllt die Gassen mit traurigen Melodien. Aus Ahmads Liebe zur Musik ist auch ein Kampf ums Überleben geworden, da er von den Almosen der Menschen lebt.

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