Ja, es gibt syrische Geflüchtete in Deutschland, die illegal nach Syrien einreisen und wieder zurück nach Deutschland. So sehr das die Empörung der üblichen verdächtigen Wutbürger auch befeuert: Angesichts der rund 750.000 Syrer*innen, die in Deutschland leben, ist es wenig verwunderlich, dass es solche Reisebewegungen gibt – und zwar trotz der hohen Risiken, die Syrer*innen dadurch eingehen.
Empörung vs. Empathie
Auch wenn es für einige Deutsche offenbar unvorstellbar ist: Menschen gehen tatsächlich sehr hohe Risiken ein, um nach Jahren der Trennung nochmal ihre alternden Eltern zu sehen. Oder ihre Kinder noch einmal in den Arm zu schließen, ihre Frau oder ihre Geschwister. Einem großen Teil der syrischen Geflüchteten wurde der Familiennachzug verwehrt, entsprechend sehnen sich viele Menschen verzweifelt nach ihren Familien. Um sie zu sehen reisen manche auch in ein Kriegsgebiet oder in eine Region, in denen ihnen Verfolgung droht.
Gefährdung von Rückkehrern ist immens
Anders als in der hiesigen Debatte etwa von Innenminister Seehofer unterstellt, sind solche Reisebewegungen daher kein Indiz dafür, dass Syrien allgemein wieder sicherer sei. Sie sind noch nicht mal ein Indiz dafür, dass die Individuen, die diese Reisen machen, in Syrien wieder sicher wären. Es gibt laufend Berichte von Syrer*innen, die bei der Rückkehr inhaftiert werden und teils in den Foltergefängnissen des Regimes verschwinden.
Syrian Network for Human Rights (SNHR) hat seit 2014 mittlerweile 1,916 Fälle dokumentiert, in denen Rückkehrer*innen willkürlich inhaftiert wurden, in 638 Fällen wurden die Betroffenen Opfer von Verschwinden-Lassen, 15 starben unter Folter.
Es gibt auch Berichte von Menschen, die aus Deutschland nach Syrien zurückgereist sind und in Syrien festgenommen wurden und verschwunden sind. Tatsächlich dürften die Fallzahlen die von SNHR dokumentierten Fälle weit übersteigen – aus Furcht vor Repressionen schweigen viele Familien über ihre Verschwundenen.
Für die meisten ist die Rückkehr ausgeschlossen
Unter den 750.000 Syrer*innen in Deutschland sind auch Menschen, die das Assad-Regime unterstützen. Ein prominenter Vertreter ist etwa der AfD-Mitarbeiter Kevork Almasian. Unter jenen, die sich selbst als Assad-loyal sehen oder gute Beziehungen zum Regime haben, mag es tatsächlich Menschen geben, die zum Urlaub machen nach Syrien fahren. Tweets, die auf solche „Urlaubende“ Syrer*innen hindeuten, stammen allerdings zum Teil auch von dubiosen Accounts – die offenbar eigens aufgebaut wurden, um die Debatte anzuheizen. Das Thema ist schließlich wie geschaffen für die extreme Rechte in Deutschland.
Aber auch für Geflüchtete, die vor der Verfolgung und den Bomben des Assad Regimes flohen, sind die „Urlauber“ eine starke Provokation – verständlicherweise. Ein großer Teil der Syrer*innen in Deutschland kann nicht bzw. nur unter höchster Lebensgefahr nach Syrien reisen: Die Geheimdienste befragen Rückkehrer*innen in der Regel nach der Ankunft am Flughafen oder später am Heimatort. Wer auch nur irgendeinen Verdacht erregt, das Regime abzulehnen, dem drohen willkürliche Inhaftierung, Folter und Verschwindenlassen.
Willkür ohne Grenzen
Doch sogar Menschen, die sich selbst als regime-loyal oder unpolitisch einordnen, können bei der Rückkehr nach Syrien Opfer von schwersten Menschenrechtsverletzungen werden. Die Geheimdienste des Regimes und vor allem viele der zahlreichen regimeloyalen Milizen arbeiten unabhängig und oft auf eigene Rechnung. Manchmal haben sie es schlicht darauf abgesehen, dass die Familien von Festgenommen für deren Freilassung große Summen zahlen. Es gibt Fälle von Menschen, die sich vor der Rückkehr nach Syrien versichert haben, nicht auf einer der Fahndungslisten zu stehen – und doch inhaftiert wurden.
Rechtslage: Widerruf des Schutzstatus droht
Geflüchtete, die nach Syrien reisen, riskieren bei Rückkehr einen Widerruf ihres Schutzstatus. Darauf hat das BAMF anlässlich der aktuellen Debatte mehrfach hingewiesen. Vagen Berichten zufolge informiert das Assad-Regime angeblich die Behörden der Zufluchtsländer, wenn Geflüchtete nach Syrien einreisen, um zu demonstrieren, dass Syrien wieder sicher sei. Auch wenn diese Berichte bislang nicht verifiziert sind, gehen Syrien-reisende Syrer*innen ein hohes Risiko ein, ihren Schutzstatus zu verlieren.
Rechtfertigung für Abschiebungen?
Abschiebungen nach Syrien sind mindestens bis Ende des Jahres durch einen Abschiebestopp ausgeschlossen. Die aktuellen Berichte über „Syrien-Urlauber“ sorgen dafür, dass dieser Abschiebestopp politisch stärker unter Druck gerät. Fällt der Abschiebungsstopp, droht jedoch nicht nur der Handvoll regime-loyalen Syrer*innen, die in Syrien Urlaub machen, Ungemach.
Denn ein Ende des pauschalen Abschiebungsstopps würde zahlreiche Syrer*innen bedrohen. In der Entscheidungspraxis des BAMF wird der Art und Weise der Verfolgung des Assad-Regimes nur eingeschränkt Rechnung getragen. In Tausenden Fällen erhielten Schutzsuchende, denen massive Verfolgung droht, etwa nur subsidiären Schutz zugesprochen. Fällt der Abschiebungsstopp, könnten Fehlentscheidungen des BAMF oder von Gerichten schnell entsetzliche Konsequenzen haben.
Vor allem aber ist die Lage im Land klar: Nichts spricht dafür, dass sich die Sicherheitslage in Syrien verbessert. Und aufgrund der Willkür des Regimes sind selbst Abschiebungen von Regime-Anhängern extrem kritisch zu sehen.
Zuletzt würden Abschiebungen bedeuten, dass die Behörden der Bundesregierung offizielle Kontakte zu den Sicherheitsbehörden des Assad-Regimes aufnehmen müssten – also den Kontakt zu Behörden suchen, die für schwerste Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind. Gegen zahlreiche hochrangige Vertreter dieser Behörden wird international wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermittelt. Wer Abschiebungen nach Syrien fordert – und sei es von Assad-Anhängern – spricht sich für Kooperationen aus zwischen der Bundesregierung und einem Regime, das Hunderttausende Menschenleben auf seinem Gewissen hat.