Gemessen an der Bevölkerung werden in Zypern die meisten Asylanträge in der EU gestellt. Die Aufnahmelager, in denen die Menschen oft monatelang interniert werden, sind überbelegt. Täglich erreichen neue Schutzsuchende auf maroden Booten die kleine Insel. Bis Anfang April dieses Jahres waren es bereits 2.500 Menschen, die meisten von ihnen syrische Familien mit kleinen Kindern aus dem Libanon. Zum Vergleich: Im ersten Quartal 2023 waren es nur 78 Personen.
Der kleine Inselstaat ist überfordert und kann kaum auf Entlastung durch andere EU-Staaten hoffen. Nur selten erklären sich einzelne von ihnen dazu bereit, Flüchtlinge von Zypern aufzunehmen. Die Bundesregierung hat zuletzt Ende 2022 insgesamt 48 Schutzsuchende mit ihren Familien von der Insel nach Deutschland geholt.
Eigentlich will niemand nach Zypern
Weil das Land zwar zur EU, nicht aber zum Schengenraum gehört und zudem eine Insel ist, kommen Geflüchtete von hier kaum weiter. Zwar erhalten die aus Syrien stammenden Geflüchteten internationalen Schutz. Das bedeutet aber „nur“, dass sie nicht in ihre Heimat zurückgeschickt werden. Doch dieser Status erlaubt es ihnen nicht, Zypern legal zu verlassen, auch nicht in andere EU-Staaten. Sie hängen fest in einem Land, das sie nicht aufnehmen will und kann, auch weil es selbst am Limit seiner Unterbringungskapazitäten ist.
Im April hat Zypern überdies die Bearbeitung der Asylanträge von syrischen Personen gestoppt und drängt seitdem auf ein Abkommen mit dem Libanon, damit die Menschen dort bleiben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen fackelte nicht lange und plant einen Milliardendeal. Im Kern sieht das Abkommen vor, dass eine Milliarde Euro bis 2027 an den Libanon fließen soll. Im Gegenzug verhindern die libanesischen Sicherheitsbehörden, dass syrische Geflüchtete in die EU gelangen. Zwar ist auch Geld für den Gesundheits- und Bildungssektor des wirtschaftlich fragilen Landes vorgesehen. Doch der Kuhhandel wird den Bedürftigen wahrscheinlich am wenigsten helfen: Das Geld landet bei korrupten Politikern, die für die hohe Staatsverschuldung des Libanons verantwortlich sind – eine der höchsten weltweit. Während rund 80 Prozent der libanesischen Bevölkerung in Armut und von der Hand in den Mund leben, bereichern sich die politischen Entscheidungsträger mit staatlichem Geld. Ihnen nun Milliarden in die Hände zu geben, ist so sinnvoll, wie Wasser in einen Eimer ohne Boden zu schütten.
Lebensgefährliche Lage im Libanon
Die Zahl der Asylanträge in Zypern ist nicht grundlos gestiegen. Bereits seit Jahren sind die Lebensbedingungen im Libanon für syrische Geflüchtete katastrophal. Es gibt keine offiziellen, staatlichen Camps, der Bau von festen Unterkünften ist verboten. Deshalb hausen die meisten Geflüchteten in informellen, provisorischen Zeltlagern, in die sogar das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) seit einem Jahr keinen Zutritt mehr hat. Nur wenige können sich eine Wohnung leisten, die Mehrheit darf nicht einmal legal arbeiten. Von der politischen Elite orchestrierte Hetzkampagnen heizen die Stimmung gegen Geflüchtete an – Bürgerwehren machen mittlerweile auf offener Straße ungehindert Jagd auf nicht-libanesische Menschen und jene, die sie dafür halten. Seit 13 Jahren ist das Leben im Libanon für die Mehrheit der syrischen Schutzsuchenden ein Kampf ums buchstäbliche Überleben.
Die prekäre Lage hat sich in jüngster Zeit abermals verschärft. Seit Jahren werden Menschen unter dem fragwürdigen Deckmantel der “Freiwilligkeit” nach Syrien zurückgeführt oder in Massen abgeschoben. Diese Praxis hat in den vergangenen Wochen und Monaten ein besorgniserregendes Ausmaß erreicht, mit neuen Höchstzahlen an Betroffenen.Allein im April sind 10.000 Schutzsuchende über die Grenze in die Hände des Assad-Regimes übergeben worden. Jenem Regime, vor dem sie einst geflohen sind. In Syrien drohen ihnen schwerste Menschenrechtsverbrechen – willkürliche Haft, Folter oder der Zwangseinzug ins Militär. Viele verschwinden spurlos.
Von der Leyen erklärt das Problem zur Lösung
Syrische Schutzsuchende fliehen also erneut vor dem verlängerten Arm des syrischen Regimes, zu dem sich die libanesische Regierung selbst macht. Sie wissen, dass sie im Libanon nicht bleiben können. Aus der puren Not heraus wagen sie deshalb die gefährliche und oft tödliche Flucht über das Mittelmeer mit ihren Familien und Kindern.
Daran wird der EU-Libanon-Deal nichts ändern. Ganz im Gegenteil: Ministerpräsident Najib Mikati wird nicht müde zu betonen, dass der Libanon selbst kein Interesse daran hat, syrische Geflüchtete im Land zu halten. Er will auch weiterhin nach Syrien abschieben. Damit verstößt der Libanon gegen das im Völkerrecht verankerte Non-Refoulement-Prinzip. Dieser Grundsatz der Nichtzurückweisung besagt, dass keine Person in einen Staat zurückgewiesen werden darf, in dem ihr eine Verletzung fundamentaler Menschenrechte droht. Nicht nur der Libanon verstößt damit gegen das Völkerrecht, sondern auch die EU macht sich wissentlich und willentlich gemein damit, sollte sie das Abkommen zum Abschluss bringen.
Syrien ist nicht sicher, Herrgott nochmal
Noch alarmierender ist, dass sogar die Unterstützung für “freiwillige” Rückkehr und Ausweisung vermeintlich sicherer Gebiete in Syrien im Raum stehen. Das Auswärtige Amt kommt in seinem aktuellen Lagebericht zu dem Schluss, dass es keine sicheren Landesteile innerhalb Syriens gebe. Insbesondere für Gebiete unter Kontrolle des Regimes gelte unverändert, dass eine “belastbare Einschätzung der individuellen Gefährdungslage” nicht möglich sei.
Angesichts der katastrophalen humanitären und wirtschaftlichen Situation und Menschenrechtslage warnt das Auswärtige Amt zudem vor großen Gefahren bei Abschiebungen oder auch freiwilligen Rückreisen: “Eine sichere Rückkehr Geflüchteter kann derzeit für keine Region Syriens und für keine Personengruppe gewährleistet, vorhergesagt oder gar überprüft werden.”
Auch der Libanon ist längst kein sicherer Ort mehr für syrische Schutzsuchende. Der Staat befindet sich in einer tiefgreifenden Krise und schiebt die Schuld dafür den Geflüchteten in die Schuhe. Aus Erfahrung, nicht zuletzt mit dem EU-Türkei-Deal, wissen wir, dass Menschen in Not weiterhin versuchen werden, in die EU zu fliehen – lediglich die Wege werden gefährlicher und damit tödlicher. Die EU wirft die Schutzsuchenden dem Löwen zum Fraß vor. Der Löwe ist Bashar Al-Assads Wappen. Echte Hilfe, sowohl für die Menschen als auch für den EU-Mitgliedsstaat Zypern, sieht anders aus.