Bild: Trotz anhaltender Belagerung leben noch 8000 Menschen in Moadamyeh
Bild: Trotz anhaltender Belagerung leben noch 8000 Menschen in Moadamyeh

Niederknien oder verhungern – Bericht aus dem belagerten Moadamyeh

“Beugt euch oder sterbt vor Hunger” haben Assad-treue Milizen an den Ortseingängen von Moadamyeh angebracht. Die Stadt liegt an der Straße zum Militärflughafen südwestlich von Damaskus. Wegen der großen Kaserne der berüchtigten 4. Division der syrische Armee, die unter dem Kommando von Maher al Assad, dem Bruder des Diktators Bashar al Assad steht, ist die […]

Bild: Trotz anhaltender Belagerung leben noch 8000 Menschen in Moadamyeh
Bild: Trotz anhaltender Belagerung leben noch 8000 Menschen in Moadamyeh

“Beugt euch oder sterbt vor Hunger” haben Assad-treue Milizen an den Ortseingängen von Moadamyeh angebracht. Die Stadt liegt an der Straße zum Militärflughafen südwestlich von Damaskus. Wegen der großen Kaserne der berüchtigten 4. Division der syrische Armee, die unter dem Kommando von Maher al Assad, dem Bruder des Diktators Bashar al Assad steht, ist die Stadt von strategischer Bedeutung für das Regime. Seit einem Jahr ist die Stadt wie die umliegenden Stadtteile belagert. Damals war die Armee mit dem Versuch gescheitert, die Stadt einzunehmen. “Das Regime setzt alles daran, die Gegend zu kontrollieren, um sie für Militäraktionen nutzen zu können”, berichtet der Aktivist Qusai.

Die Belagerung bedeutete zunächst einmal, dass Moadamyeh von Strom abgeschnitten wurde. Später wurden Checkpoints errichtet und alle, die hindurch wollten, kontrolliert. Inzwischen sind die Checkpoints rund um die Stadt geschlossen, die Menschen eingeschlossen. Wer versucht, sie zu passieren, wird beschossen.

Diese Strategie wendet die Assad-Diktatur auch gegen die aufständischen Stadtteile Daraya, den gesamten Süden und Osten von Damaskus sowie die Altstadt von Homs an. Niemand darf rein oder raus – wodurch die Stadt auch nicht mit Lebensmitteln oder Medikamenten versorgt werden kann. “In erster Linie leiden chronisch Kranke”, berichtet Qusai via Satelliteninternet, “und dann natürlich die Kinder und Kranke oder Verletzte. Wegen der Zerstörungen gibt es inzwischen auch kein sauberes Trinkwasser mehr und ansteckende Krankheiten breiten sich aus.”

Solange es ging, lebten die Menschen von ihren Vorräten. Als die aufgebraucht waren und eine Fatwa, eine religiöse Rechtsmeinung, es erlaubte, wurden Lebensmittel aus den zerstörten Häusern genommen. Zerstörte Häuser gibt es genug, denn die Stadt wird täglich bombardiert. “Menschenansammlungen, wie unser Sitzstreik von letzter Woche, in welchem wir unseren Durchhaltewillen bekundet haben, stellen eine große Gefahr dar, weil sie auch immer ein ideales Bombardierungsziel für das Regime sind.” Von den ursprünglich 98.000 EinwohnerInnen sind lediglich 8.000 geblieben – und dann immer mit der ganzen Familie.

Das benachbarte Daraya kann noch besser versorgt werden, weil etwas Schmuggel durch die Belagerungslinien des Regimes möglich ist. Aber Mafiosi wollen selbst von der Krise profitieren und lassen nicht zu, dass es einen Austausch zwischen den Städten gibt – oder nur zu exorbitanten Preisen. Wem es gelingt, Lebensmittel in die Stadt zu schmuggeln, der macht immense Gewinne, selbst wenn viele BewohnerInnen sich diese Lebensmittel nicht mehr leisten können. Viele leben nur noch von Oliven und Blättern.

Andere aufständische Viertel von Damaskus haben wegen der katastrophalen Lage inzwischen einen Waffenstillstand mit dem Regime geschlossen, etwa Yarmouk. Der Aktivist Qusai aus Moadamyeh findet das jedoch unerträglich: “Was für eine Schande, wie können sie das nur machen. Es ist doch klar, dass man dem Regime nicht vertrauen kann.” Er berichtet von der Erfahrung, die sie in Moadamyeh gemacht haben: Als das Militär vor einem Monat die Grenzübergänge kurz öffnete, damit gesundheitlich angeschlagene Menschen die Stadt verlassen können, wurden alle Männer zwischen 15 und 45 Jahren festgenommen.


Video: Qusai beschließt in den freiwilligen Hungerstreik zu treten, um so Aufmerksamkeit auf die Situation in den belagerten Gebieten zu richten.

Inzwischen gibt es auch ein Angebot des Regimes an Moadamyeh: Die Bewohner müssten an allen hohen Gebäuden der Stadt die zwei-sternige Flagge des Regimes anbringen, alle Waffen abgeben und alle Deserteure überstellen. Zudem müssten all jene die Stadt verlassen, die nicht gebürtig aus Moadamyeh sind. Auch der Aktivist Qusai wäre so ein “Fremder”, obwohl er seit Jahren in der Stadt wohnt.

Die zugesicherte Gegenleistung des Regimes wäre aber nicht etwa, die Belagerung aufzuheben und die BewohnerInnen aus der Stadt lassen. Es sollte lediglich Essen in kleinen Portionen in die Stadt geliefert werden. “Obwohl Moadamyeh ein Gefängnis bleiben wird, sind wohl die meisten Menschen inzwischen bereit, ein solches Abkommen zu unterzeichnen; Hauptsache, das Bombardement hört auf und das Aushungern wird gestoppt.” So Quasai. Auch wenn er selbst vom Hunger schon stark mitgenommen ist, hat er aber persönlich eine andere Meinung: “Wir dürfenuns nicht auseinander dividieren lassen. Wenn wir hier aufgeben, dann fällt auch Daraya, dann fällt die Revolution.”

Dem Spruch der Milizen am Stadteingang “Beugt euch oder sterbt vor Hunger” haben die AktivistInnen inzwischen etwas entgegen gesetzt. Ihre Parole lautet: “Lieber hungern als niederknien”.

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