Mit einer erneuten Initiative für einen Dialog mit dem syrischen Regime hat der Präsident der Nationalen Koalition der syrischen Revolutions- und Oppositionskräfte, Moaz al-Khatib, für Wirbel gesorgt. Seine Initiative um den Krieg in Syrien durch ein so genanntes „transitional arrangement” zu beenden hat folgende als Vorbedingungen: die Freilassung von 160.000 Gefangenen und das Ausstellen von Pässen für die vielen tausend Flüchtlinge, die Syrien ohne Papiere verlassen mussten sowie. Außerdem, dass jegliche Verhandlungen nur mit Farouk Sharaa, Vizepräsident Syriens, stattfinden. Erik Mohns konstatiert in einer ausführlichen Analyse für die Plattform alsharq, dass das Erstaunliche an der Initiative gerade darin liege, dass das Oppositionsbündnis um al-Khatib „auf Grundlage der kategorischen Verweigerung des Dialogs mit dem Assad-Regimes gegründet wurde“. Und weiter: „Die Begründung dafür war, dass ein Regime, welches Krieg gegen sein eigenes Volk führe, jedes Recht eingebüßt habe, Verhandlungen über einen politische Übergang zu führen.“ Mit dem Angebot zu Verhandlungen habe al-Khatib das Hauptargument von Assad und seinen Verbündeten, wonach es auf Seiten der Opposition keine Partner für eine politische Konfliktlösung gebe und diese auch keinen friedlichen Übergang wollten, entkräftet. Einige Kommentatoren sind der Meinung, dass die Initiative eigentliche eine ganz andere Zielrichtung habe: „[Sie] ziele er darauf ab, die hervorgehobene Bereitschaft des Assad-Regimes zu Konzessionen und politischem Wandel als Bluff zu überführen. Es erscheint unwahrscheinlich, dass das Regime seiner ersten Bedingung zustimmt und 160.000 Häftlinge entlässt“.
Die Freien Syrischen Übersetzer haben derweil ein Video der ersten Pressekonferenz des „Local coucil of Daraya“, eines der zivilen Selbstregierungsorgane der Stadt, mit englischen Untertiteln versehen. Es wird die humanitäre und militärische Situation in Daraya und Umgebung diskutiert.
Rita aus Syrien widmet auf Open Democracy einen Artikel der Stadt Salamiya, der Stadt der Armut, Ungläubigkeit und des Intellekts, wie sie von den Einheimischen genannt werde. Salamiya war lange Zeit eine sozial marginalisierte Stadt und litt unter Gleichgültigkeit seitens der politischen Mächte, Rita kommentiert dazu: „[T]the main reason for this was the inability of the dictatorial governments that came to rule Syria to subdue a population prone to rebellion.“ Salamiya war seit Jahrzehnten politisch aktiv, doch innerhalb der derzeitigen syrischen Revolution, habe die Stadt noch mal eine besondere Rolle eingenommen (Adopt a Revolution unterstützt das lokale Basiskomitee). Die Aktivisten aus Salamiya sind überwiegend säkular orientiert, haben eine wichtige Rolle in der Unterstützung der benachbarten und belagerten Städte Hama und Homs gespielt und damit beispielhaft gezeigt, was „nationale Solidarität“ heißt. Am 21. Januar wurde von Jabhat al-Nusra, einem al-Qaida Ableger, im Herzen der Stadt ein Selbstmordanschlag verübt, der obwohl er auf lokale Regimemilizen abzielte, vor allem Zivilisten traf. Der Anschlag wurde sofort öffentlich vom lokalen Basiskomitee verurteilt- ein Präzedenzfall wurde zuvor die Verantwortung für solche Attacken immer ausschließlich dem Regime zugeschoben. Mit der Verurteilung der Attacke wollte das Komitee Jabhar al-Nusra öffentlich die Legitimation für solche Methoden entziehen. Rita schließt: „This has revealed new cleavages between the committees themselves regarding their position towards Jubhat al-Nusra, so that we have now started to see committees in support of Jihadi groups emerging alongside anti-Jihadi Committees.”
Nach dem Angriff Israels auf syrischen Boden, spekuliert As’ad AbuKhalil in al-akhbar über die Auswirkungen auf die Loyalität des syrischen Militärs gegenüber seiner Führung. Nach der Attacke durch das israelische Militär, betonte die syrische Führung wiederholt, dass es nun auch das Recht hätte, militärisch auf die israelische Aggression zu antworten. AbuKhalili sieht die Reaktion der syrischen Opposition auf den israelischen Angriff als bloßes Lippenbekenntnis, die Muslimbrüder hätten sowieso seit langem gute Verbindungen zu Israel gehabt. Für das syrische Regime sei die Situation nun jedoch schwieriger denn je: wenn es nicht auf den israelischen Beschuss reagiert, werde es recht peinlich für das Regime, weiterhin zu rechtfertigen, warum auf die inländische Opposition mit Kampfjets, Armeehelikoptern und Militärschiffen reagiert wird, jedoch nichts unternommen wird, um syrisches Territorium gegen Israel zu schützen. Dies könnte zur Folge haben, dass es aus Protest dagegen, zu nennenswerten Abspaltungen vom Militär kommen könnte. Wenn das Regime jedoch reagiert, würde eine weitere Attacke Israels dem syrischen Militär starken Schaden zu fügen. AbuKhalil schließt daraus: „Either way, the regime could suffer.“
Nachdem bereits die International Crisis Group vor einigen Wochen einen Bericht über die komplexe Situation in den kurdischen Gebieten veröffentlicht hatte, zieht nun auch die Carnegie Stiftung nach. Der überwiegend friedliche Rückzug der Assad-Truppen und Sicherheitskräfte aus dem Norden und Nord-Osten Syriens sowie die Spannungen zwischen den revolutionären Kräften und der Democratic Union Party (Partiya Yekitiya Demokratik, PYD- eine machtvolle syrisch-kurdische Gruppe, die 2003 von der Kurdistan Workers Party (PKK) etabliert wurde- haben in letzter Zeit Raum für Spekulationen und Misstrauen gegenüber den Motivationen der Gruppe gelassen. Im Mittelpunkt steht hier vor allem die Beziehung zwischen PYD und syrischem Regime sowie die Angst der Türkei, nun durch kurdische Kämpfer, die durch die PYD-gehaltenen Gebiete in die Türkei einsickern würden, infiltriert zu werden. Zuweilen haben die Spannungen zwischen FSA und PYD dazu geführt, die PYD als Vasallen des Regimes zu bezeichnen. Tatsächlich sei es jedoch so, dass – wenn auch in geringerem Ausmaß – die von der PYD gehaltenen Gebiete ebenfalls von Asad-Truppen angegriffen werden. Der Bericht schließt hieraus: „Yet tensions between the PYD and FSA imply the clear danger of worsening relations between Sunni Arabs and Kurds in this part of the country—with sizable Christian communities caught in the middle.” Bezüglich der türkischen Sorgen kommt die Carnegie Stiftung zu dem Schluss, dass die PYD-Truppen in erster Linie Interesse daran hätten, eigene zivile Strukturen aufzubauen. Man versuche somit jegliche Provokationen gegenüber der Türkei zu unterlassen. Dies entspricht auch der neuen (seit 2000) PKK-Strategie, wonach man zunächst kein vereintes Kurdistan anstrebe, sondern kurdische Autonomie innerhalb der existierenden Grenzen.
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