Die türkische Armee hat den kurdischen Kanton Afrin in Nordsyrien eingenommen – völkerrechtswidrig. Trotzdem exportieren deutsche Firmen weiter Waffen in die Türkei, und das mit Genehmigung der Bundesregierung. Auch darüber schweigt die Bundesregierung standhaft angesichts der Berichte von Vertreibungen, der Ansiedlung von syrischen Flüchtlingen und der geplanten Fortführung der Offensive. Gemeinsam mit den Jusos, den Falken, Civaka Azad, Nav-Dem und medico international haben wir deshalb einen offenen Brief an Außenminister Heiko Maas verfasst – und fordern zudem von den Parteispitzen von CDU, SPD und CSU: Keine Waffenexporte an die Türkei!
An
Heiko Maas, Bundesminister des Auswärtigen
Auswärtiges Amt
Werderscher Markt 1
10117 Berlin
26.03.2018
Sehr geehrter Herr Bundesminister Maas,
lieber Heiko,
viel ist momentan davon die Rede, dass die Politik wieder glaubwürdig werden muss. Dass die Regierung gerade in Zeiten zunehmender Parteienverdrossenheit nicht nur von demokratischen Werten reden, sondern auch nach ihnen handeln muss. Wir erleben derzeit aber anderes.
Viele Abgeordnete aus SPD, Grünen, Linksfraktion, FDP und CDU haben öffentlich wie intern, in den Ausschüssen und im Plenum des Bundestages deutlich gemacht, dass der Angriff der Türkei auf Afrin völkerrechtswidrig ist. Und schließlich hat auch die Bundeskanzlerin zwar das Vorgehen der Türkei in Syrien nach langem Schweigen „scharf verurteilt“. Doch Taten bleiben weiterhin aus. Wir sind enttäuscht von der Zurückhaltung der Bundesregierung gegenüber dem Erdoğan-Regime in der Türkei und dem Angriff auf die demokratische Selbstverwaltung im Norden Syriens. Nicht nur bietet die Bundesregierung dem keinen Einhalt. Durch Deals mit Erdoğan, den Waffenlieferungen an die Türkei und der Kriminalisierung kurdischer AktivistInnen stützt sie faktisch die Voraussetzungen, unter denen die AKP und die Erdoğan-Regierung ihr Treiben fortsetzen können.
Aber es reicht nicht mehr nur von Freiheit und Demokratie zu sprechen, Worten müssen jetzt endlich Taten folgen. Seit knapp zwei Monaten führt die türkische Armee unter dem Namen „Operation Olivenzweig“ zusammen mit islamistischen Banden einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Provinz Afrin in Nordsyrien. Die Provinz Afrin war bisher in der Lage, trotz des bereits seit sieben Jahre andauernden Krieges in Syrien den Frieden zu wahren. Hunderttausende Menschen aus ganz Syrien haben in Afrin Zuflucht gesucht und gefunden. Auch ist Afrin Heimat der größten jesidischen Gemeinde Syriens. Als religiöse Minderheit sind die JesidInnen besonders gefährdet, Opfer der islamistischen Kämpfer zu werden. Das von der türkischen Regierung und ihren SoldatInnen offen propagierte Ziel dieses Angriffs ist die Vertreibung der lokalen Bevölkerung aus ihrer Heimat. „Zuerst werden wir die Terroristen ausrotten, dann werden wir es dort lebenswert machen“, so beschrieb Tayyip Erdogan sein Ziel, die in der Türkei lebenden SyrerInnen an Stelle der kurdischen Bevölkerung in Afrin anzusiedeln. Und er will nicht in Afrin stoppen, sein erklärtes Ziel ist vielmehr die „Säuberung Nordsysriens“ bis zur Grenze des Irak. Hinter dem Begriff „Säuberung“ verstehen wir den Aufruf zum Genozid an den in Nordsyrien lebenden Kurdinnen und Kurden. Wir fordern dich auf, auch im Rahmen der Vereinten Nationen eine Initiative zu starten, die das verhindert. Alle Möglichkeiten, bis hin zu BlauhelmsoldatInnen, sollten dafür auf den Tisch kommen.
Dabei geht es um weit mehr als nur einen weiteren, bedauernswerten Konflikt im Nahen Osten. Der Angriff der türkischen Armee auf Afrin ist vielmehr ein Angriff auf ein Symbol für Hoffnung auf Geschlechtergerechtigkeit und demokratische Werte – mitten in einer vom Krieg zerrissenen Region. Mit Entsetzen stellen wir nicht nur fest, dass die Bundesregierung weiterhin das Kriegsgerät für diesen Angriffskrieg liefert, sondern auch, dass die Repressionen gegen AktivistInnen und gegen Solidaritätsaktionen mit Afrin hierzulande neue Ausmaße erreichen. Das war unter anderem an den Repressionen gegen die kurdischen Demonstrationen in den vergangenen Wochen, z.B. in Hannover oder München, zu sehen. Erdoğan und die AKP haben in den vergangenen Jahren immer wieder härtere Repressionen gegen in Deutschland lebende KurdInnen und deren Selbstorganisationen verlangt. Dass kurdische Demonstrationen gegen den Angriffskrieg des Erdoğan-Krieges hierzulande nun unter Repressionen zu leiden haben, ist ein perfides Zeichen.
Wir stehen solidarisch an der Seite aller fortschrittlichen Kräfte – in Deutschland, Syrien, der Türkei und anderswo. Wir stehen solidarisch an der Seite aller Menschen, die in der Türkei für Menschenrechte und Demokratie kämpfen und fordern die Freilassung aller Gefangenen, die das Erdoğan-Regime aus politischen Gründen inhaftiert hat.
Lieber Heiko Maas, wir rufen Dich deshalb dazu auf, ein klares Zeichen zu setzen, deutlich „Nein zur türkischen Aggression in den kurdischen Gebieten!“ zu sagen und Dich einzusetzen für:
- den Stopp des türkischen Angriffskrieges auf die kurdischen Gebiete;
- einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte in die Türkei;
- den Abzug der deutschen SoldatInnen aus der Türkei;
- eine Verurteilung des türkischen Angriffs durch die NATO;
- die Freilassung aller politischen Gefangenen in der Türkei;
- eine wirksame Initiative der Vereinten Nationen.
Die InitiatorInnen:
Adopt a Revolution – den syrischen Frühling unterstützen
Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e.V.
Jusos in der SPD
medico international e.V.
Nav-Dem e.V. – Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland
Sozialistische Jugend Deutschland – Die Falken
Angesichts des türkischen Angriffskriegs auf den kurdischen Kanton Afrin in Nordsyrien mit deutschen Panzern an vorderster Front fordern wir von den Parteispitzen von CDU, SPD und CSU: Keine Waffenexporte an die Türkei!