Operation Frühlingsschild: Türkische Intervention in Idlib

Die Türkei hat heute ihre lang angekündigte Operation “Frühlingsschild” in Idlib gestartet, die sie bereits in den vergangenen Wochen vorbereitet hatte. Was sind Erdogans Ziele, mögliche Folgen der Operation und welche Rolle spielt die EU?

Was gibt es Neues?

Relativ neu ist, dass die Türkei nicht nur oppositionelle Milizen innerhalb Idlibs unterstützt, sondern selbst mit großen Verbänden der türkischen Armee in der Region Idlib präsent ist und militärisch direkt gegen die Truppen des Assad-Regimes vorgeht. Dabei setzt sie auch ihre Luftwaffe ein – was Konfrontationen mit der dort ebenfalls aktiven russischen Luftwaffe provozieren könnte.

Zudem hat die Türkei syrische Geflüchtete Richtung EU losziehen lassen. Laut UN harren aktuell rund 13.000 Migrant*innen bei Kälte auf der türkischen Grenzseite zu Griechenland aus – nach Angaben aus der türkischen Regierung sind bereits Zehntausende nach Griechenland gelangt. Damit setzt die Türkei die EU unter Druck, um Unterstützung für ihr Vorgehen in Idlib einzufordern.

Wie ist die Ausgangslage?

Seit April 2019 greifen das Assad-Regime und Russland die Region Idlib an. Dort leben gut drei Millionen Menschen. Weil sich die Angriffe des Assad-Regimes und Russlands zum großen Teil gegen zivile Ziele richten – etwa gegen Krankenhäuser, Märkte oder Schulen – und ein Großteil der Menschen in Idlib begründete Furcht vor Verfolgung durch das Assad-Regime hat, sind alleine seit Dezember 2019 fast eine Million Menschen vor der Offensive geflohen und harren nahe der türkischen Grenze unter elendigen, oft lebensbedrohlichen Bedingungen aus.

Was will die Türkei?

Kurz gesagt: Keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Die Türkei hat im Laufe des Konflikts bereits 3,6 Millionen Geflüchtete aus Syrien aufgenommen und versucht mit immer brutaleren Methoden Schutzsuchende von der eigenen Grenze abzuhalten oder wieder nach Syrien loszuwerden. An der Grenze wird schon lange scharf auf Fliehende geschossen. Aufgrund der näher rückenden Truppen des Assad-Regimes und Russlands versuchen dennoch viele Menschen irgendwie in die Türkei zu gelangen. Der Druck auf die mit hohen Mauern abgeriegelte türkische Grenze ist immens.

Zudem hat sich die Türkei nordöstlich von Idlib bereits durch mehrere Offensiven in Syrien entlang der Grenze ein türkische Einflusssphäre geschaffen und hat kein Interesse, nun im nordwestlichsten Teil der türkisch-syrischen Grenzregion an Einfluss zu verlieren.

Was wollen die EU und die Nato?

Kurz gesagt: Keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen. Im Zuge des EU-Türkei-Deals hat die EU die Türkei dazu gebracht, syrische und andere Geflüchtete an der Flucht nach Europa zu hindern und Geflüchtete unter bestimmten Bedingungen aus Griechenland zurückzunehmen.

Die Türkei bekam im Gegenzug finanzielle Hilfen und vor allem die Möglichkeit, die EU zu erpressen – eine Möglichkeit, von der sie jetzt wieder Gebrauch macht. Indem die Türkei Geflüchtete Richtung Europa ziehen lässt, nötigt sie der EU und damit der Nato Unterstützung dafür ab, in Idlib gegen die Offensive des Assad-Regimes vorzugehen.

Droht eine internationale Eskalation?

Manche Menschen fürchten nun, dass es zu einer Konfrontation zwischen Russland und der Türkei kommen könnte und damit zwischen Russland und einem NATO-Mitglied – bei manchen weckt dies gar Ängste vor einem Dritten Weltkrieg.

In der Geschichte des Syrien-Krieges gibt es allerdings viele Beispiele dafür, dass auf Eskalationen zwischen der Türkei und Russland bald wieder Gespräche und neue „Deals“ zur Aufteilung Syriens folgen – in denen das Leid der Zivilbevölkerung stets Verhandlungsmasse ist. Schon am Donnerstag sollen sich Erdogan und Putin in Moskau treffen.

Die Nato hat der Türkei für ihre Intervention in Idlib zwar verbal Rückendeckung erteilt, aber hierfür keine konkrete Unterstützung zugesagt. Eine von der Türkei erbetene Errichtung einer Flugverbotszone lehnt die NATO etwa ab, da sie dies in direkte Konfrontationen mit Russland verwickeln könnte. Die NATO wird es vermutlich dabei belassen, die türkische Armee auf der türkischen Seite der Grenze zu unterstützen, etwa durch Luftabwehrraketen zum Schutz der Türkei vor syrischen Luftangriffen.

Was haben die Entwicklungen mit den syrischen Kurd*innen zu tun?

Kurz gesagt: Eher wenig. Das ist zu betonen, denn in der Berichterstattung und Kommentierung der Lage gibt es leider oft Verwechslungen zwischen dem Konflikt zwischen der Türkei und der kurdisch geprägten PYD/YPG und dem Konflikt in Idlib. In Nordostsyrien ging und geht die Türkei noch immer gegen die kurdisch geprägte SDF/YPG vor, was Hunderttausende zu Flüchtlingen gemacht hat. Daraufhin holte die kurdische Selbstverwaltung das Assad-Regime und Russland zur Hilfe. In Idlib spielt die SDF/YPG keine Rolle. Stattdessen verhindert die türkische Intervention in Idlib, dass auch die Militär-Offensive des syrischen Regimes und Russlands noch viel mehr Menschen fliehen müssen.

Was müsste die EU jetzt eigentlich tun?

Dass die EU sich erst dann mit der Situation in Idlib beschäftigt, wenn sie von der Türkei dazu genötigt wird, ist beschämend. Die EU muss sich nun entweder gegenüber Russland mit allen nicht-militärischen Mitteln dafür einsetzen, dass die Offensive auf Idlib gestoppt wird (Russland entscheidet das, nicht Assad), oder die Türkei die Grenzen öffnen lassen, selbst viel mehr Geflüchtete aufnehmen und die Türkei massiv dabei unterstützen, die Geflohenen menschenwürdig aufzunehmen. Es wäre ein Kraftakt, aber ein politischer Befreiungsschlag: Der EU-Türkei-Deal hat die politische Handlungsfähigkeit der EU schon viel zu lange eingeschränkt.