Hassan Hassan, Foto: Alaa Alsadi
Hassan Hassan, Foto: Alaa Alsadi

Palästinensisch-Syrisches Schicksal: Zum Tode des Künstleraktivisten Hassan Hassan

Der Künstleraktivist Hassan Hassan wurde in einem Gefängnis des syrischen Regimes zu Tode gefoltert – die Nachricht über seinen Tod wurde am 17. Dezember seiner Familie mitgeteilt. In seinem Heimatviertel, dem Palästinenser-Camp Yarmouk im Süden von Damaskus, war er  Mitinitiator vieler Gruppen für Frieden und Gerechtigkeit. Wir möchten der Familie, seiner Frau, FreundInnen und seinen […]

Hassan Hassan, Foto: Alaa Alsadi
Hassan Hassan, Foto: Alaa Alsadi

Der Künstleraktivist Hassan Hassan wurde in einem Gefängnis des syrischen Regimes zu Tode gefoltert – die Nachricht über seinen Tod wurde am 17. Dezember seiner Familie mitgeteilt. In seinem Heimatviertel, dem Palästinenser-Camp Yarmouk im Süden von Damaskus, war er  Mitinitiator vieler Gruppen für Frieden und Gerechtigkeit. Wir möchten der Familie, seiner Frau, FreundInnen und seinen AktivistenkollegInnen unser Beileid aussprechen. Mit seiner Künstlergruppe „Reaktion“ [Ridd Fa´il] nahm Hassan Hassan in kurzen Sketchen den Alltag in dem von Regimegewalt betroffenen Viertel Yarmouk aufs Korn. Als er im Oktober 2013 mit seiner Frau das Camp verlassen wollte, wurden sie beide festgenommen. Hassans Tod erinnert nicht nur daran, für wie gefährlich das Regime KünsterInnen hält, sondern auch, dass die Palästinenser ein weiteres Mal zum Sündenbock stigmatisiert wurden und sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden.

Im Folgenden veröffentlichen wir den Nachruf seines Freundes Salim Salamah vom 17.12.2013.

Über Hassan Hassan oder den schönsten Ort auf Erden, das Camp Yarmuk

Whoever tells his story, inherits the land of speech and thus possesses the key to the meaningful – Mahmoud Darwish, palästinensischer Dichter

Ich widme diesen Text Hassans Ehefrau, denn sie ist diejenige, die am meisten weinen wird.

Ein Blog kann Hassan nicht vorstellen, nicht einmal eine kleine und gerechte Beschreibung, wer dieser Mann ist. Aber dieser Mann ist Hassan Hassan, der prominente junge syrisch-palästinensische Schauspieler, der vom Auswahlkomitee der Hochschule für Schauspielkunst abgelehnt wurde. Hassan, ein palästinensischer Flüchtling der dritten Generation, wurde in Damaskus geboren und aufgezogen, an den Rand gedrängt durch die (fortschrittliche), wachstumsorientierte elitäre Wirtschaftspolitik von Assad und seiner Gruppe von BeraterInnen. Das ist Hassan.

Heute wurde Hassan ermordet; ermordet von jenen, die vorgaben, für die Befreiung seines besetzten Heimatlandes „Palästina“ zu arbeiten, getötet von dem so genannten Regime des Widerstandes und Anti-Imperialismus. Die 14 Sicherheitsabteilungen von Bashar al-Assad haben ihn getötet, und noch genauer „der militärische Nachrichtendienst“, nachdem sie ihn Anfang Oktober 2013 verhaftet hatten. Damals hatte er versucht, das Camp mit seiner Frau zu verlassen. Sie wurde wenige Tage später wieder freigelassen.

Er konnte den Wahnsinn [im Camp] nicht ertragen. Er war besessen davon, neue Wege zu finden, um diese Energie aus sich herauszulassen. Deswegen hat Hassan die Gruppe „Die palästinensische Versammlung für Kreativität: Reaktion“ mit seinen FreundInnen gegründet, als Reaktion auf all das Chaos um ihn und seine Welt, das Camp!

Hassan spielte vor vielen Jahren eine Rolle in dem Stück namens “Nur sieben Minuten”, geschrieben vom palästinensischen Journalisten und Autor Motawali Abo Naser,  welches auf vielen wichtigen Bühnen in Damaskus aufgeführt wurde. Hassan hatte Probleme damit, seinen Weg außerhalb des Camps zu finden, außerhalb der sozialen Ausgrenzung und den unerzählten Geschichten über Diskriminierung gegenüber „den Anderen“, welche 1948 hierher kamen und diesen komischen Akzent sprechen. „Hey Bruder!“ & „Nur sieben Minuten“ wurden von Hassans engen FreundInnen auf Facebook als „ein Meilenstein des palästinensischen Theaters in Syrien“ beschrieben.

Er beherrschte die Kunst der „Stand-up Comedy“, aber fügte den notwendigen syrisch-palästinensischen Touch hinzu: „Politik“ und dokumentierte Wendepunkte im Leben von Yarmouk und dem südlichen Gebiet von Damaskus. Er schrieb und dirigierte Stücke, die eine Vielfalt von Themen behandelten: angefangen bei dem anhaltenden willkürlichen Beschuss Yarmouks, den großen Verlusten in unserer Gemeinschaft – u.a. der Verlust vieler wichtiger AktivistInnen wie Ahmad Kousa und Mounir Al Khatib von der Basmeh Social Foundation – und der sich entwickelnden humanitären Krise, verursacht durch die Belagerung.

Auf der YouTube-Seite von „Reaktion” befindet sich ein kurzes selbsterklärendes Video mit dem Titel „Wer sind wir?“. Es beginnt mit den Worten von Hassan Tanji, einem vielversprechenden Filmemacher, der ebenfalls aus Yarmouk kommt: „Wir waren drei Personen. Die Idee fing an, als wir die florierenden Internetprogramme sahen.” Abo Gabi (Sänger und Schauspieler aus dem Camp) fügt hinzu: „’Reaktion’ ist eine Möglichkeit für die gesamte palästinensische und nicht-palästinensische Jugend, sich selbst auszudrücken. Das wichtigste an ‘Reaktion’ ist die Bühne, die wir jungen Menschen bieten, damit sie ausdrücken, was sie wollen“.

Hassan fügte hinzu: „Wir wollen eine Plattform bieten. Es ist eine Zeit der Intensität im Bereich des Kino, Fernsehens und visueller Kunst. Es ist nicht leicht, Menschen in diesen Zeiten zu erreichen. Wir haben ja keinen Fernsehsender. Wir haben einen YouTube- Sender und du musst die Leute dazu bekommen, dich anzuschauen.“

Das YouTube-Konto von „Reaktion“ enthält Duzende Videos, Tausende haben sie gesehen (228.000 Zuschauer). Eine kleine Nachricht unter dem Video sagt: „Camp Yarmouk ist berühmt für seine Kultur und künstlerische Aktivität, es bringt eine reiche Mischung an exilierten PalästinenserInnen, SyrerInnen und anderen zusammen. Ein Camp ist es nur dem Namen nach. Das künstlerische Bild hat seine deutliche Identität. Generationen von jungen KünstlerInnen wurden hier geformt, von Fotographie über Theater und Kino. Daraus ist die Idee für ‘Reaktion’ als visuellen Ausdruck dieser reichen Realität entstanden.”

Hassans erster Dokumentarfilm „Top Floor“ erhielt die Unterstützung des Bidayyat Dokumentarfilm-Stipendiums 2013. Hassan beschreibt den Film folgendermaßen: „Seit mehr als einem Jahrzehnt sind Sonne und Regen auf das Blechdach meines kleinen Zimmers gefallen, erzählen mir somit Geschichten über mich selbst.“ Teil der Kultur des frühen Erwachsenwerdens in Camp Yarmouk ist eine kleine Revolution in jedem Haus, wenn der Sohn beginnt, sein eigenes Zimmer zu verlangen. Meistens ist es das auf „der vierten Etage“! Das illegale kleine Slum-Zimmer auf dem Dach des Gebäudes. Hassan fügt hinzu: „Der Film erzählt die Geschichte meines Erwachsenwerdens und den Beginn meines Bewusstseins, meiner ersten Liebe, der Faszination, die ich für Bilder hatte: Theaterposter des Nationaltheaters, Prospekte von lateinamerikanischen Filmen und Kinostars; Auszüge des berühmten Dichters Mahmoud Darwish (“Whoever tells his story, inherits the land of speech and thus possesses the key to the meaningful”) und der Generation des Stückeschreibers Saadallah Wanous, welche dazu verurteilt war, von Wandel lediglich träumen zu dürfen.

Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass dieses Zimmer, mein Zimmer, wie eine kleine Miniatur meines Heimatlandes ist: Jeden Tag geht die Sonne an seiner Tür auf und jeden Abend geht sie am Fenster unter, verwandelt den Tag eines heißen Sommers in eine dunkle, kalte Winternacht.“  

Eine der wichtigsten Arbeiten von „Reaktion“ ist meiner Meinung nach ein Video mit dem Titel „Gesichter aus Yarmouk“: nicht wegen seiner künstlerisch-herausragenden Produktion, welche von einem Kritiker untersucht werden muss – sondern aufgrund des intensiven Akts der Dokumentation, welcher in diesem dreieinhalb-minütigen Video zum Ausdruck kommt. Dieser Akt der Dokumentation erzählt die Geschichte des Ortes mittels der Gesichter seiner EinwohnerInnen, ihres Lächelns, ihrer Hoffnungen und Bestrebungen. Das war in einer sehr besonderen Zeit im Leben des Camps, da das Filmmaterial gedreht wurde, bevor Yarmouk durch ein MiG-Kampfflugzeug im Dezember 2012 beschossen wurde – so wie es die Video-Beschreibung ausdrückt: „Seit diesem Zeitpunkt steht das Camp sowie der Rest von Süddamaskus unter strenger Blockade, welche die Zerstörung, welche das MiG-Kampfflugzeug begonnen hatte, vervollständigt hat.“

Gestern hat Hassans Vater einen Anruf erhalten, der ihn darüber informierte, dass sein Sohn vor ungefähr zwei Monaten unter Folter verstorben sei. Mit dem Tod von Hassan Hassan verliert das Bild von Palästina seinen Blickpunkt. Palästina, das Land, von dem wir alle träumen, besteht aus unserer Leidenschaft zum Leben, unseren Rufen während der Demonstrationen am „Tag des Bodens“, unserer Neigung, das Übliche in unserem armen Kontext (des Flüchtlingslagers) zu durchbrechen. Mit dem Foltertod Hassans in Assads Gefängnissen, mit dem Tod Ahmad Kosas vor ihm, mit dem Tode Ghassan Shihabis davor, mit all diesen verlorenen Leben: Palästina ist nun bedeutungslos für mich! Länder bestehen aus Menschen, Länder sind unsere Illusionen. Ich träume vom Rückkehrrecht mit denen, die ich liebe!

Ich will nicht alleine zurückkehren!

Salim Salamah ist ein syrischer Blogger palästinensischen Ursprungs. Das englische Original des Nachrufs kann hier gefunden werden.

Ausschnitte aus Hassan Hassans Arbeit


Der Kurzfilm „Empfang“: Hassan Hassan rennt schnell zu der einzigen Stelle, wo man im Camp Handyempfang hat. Er bekommt einen Anruf von Abu Ahmad, welchem er versichert, dass die Situation im Camp in Ordnung sei. „Komm zurück, alles ist ok. Granaten? Ja, die gibt es. Scharfschützen? Ja, so viele, wie du willst. Autobomben? Nein, die gibt’s nicht mehr. […]“. Anschließend unterhalten sie sich über gemeinsame Bekannte. Einige sind in Rom, andere in Beirut. „Ahmad? Mein Beileid.“ Der Kurzfilm ist ein Nachruf auf den palästinensisch-syrischen Aktivisten Ahmad Kosa, der Anfang 2013 im Camp Yarmouk durch die Kugel eines Scharfschützen umkam.

 


Filmausschnitt „Khajjo“ [arab. Bruder]: Hassan Hassan erzählt über seine Liebe zum Camp Yarmouk und zum Theater: „Ich liebe das Leben hier, ich weiß nicht warum. Ich wünsche mir, dass ich weiterhin hier leben kann. Dass die Umstände besser werden und ich hier bleiben kann. Wenn ich jedes Jahr nur ein einziges Theaterstück machen könnte und es nur im Camp aufführen könnte, damit hätte ich kein Problem. Dann wäre ich glücklich. Ich will an diesem Ort bleiben und im Bereich des Theaters arbeiten.“

Adopt a Revolution unterstützt die AktivistInnen des Basiskomitees in Yarmouk. Unterstützen Sie die zivilgesellschaftliche Bewegung in Syrien!

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