Berlin / Leipzig, 12. Januar. Das morgen erwarterte Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz im Fall Anwar R. wird die systematische, bis heute andauernde Staatsfolter in Syrien gerichtsfest machen. Die deutsche Außen- und Innenpolitik darf dies nicht ignorieren, fordert die deutsch-syrische Menschenrechtsorganisation Adopt a Revolution. Statt sich weiter wegzuducken, muss die Bundesregierung endlich eine aktive Syrien-Politik gestalten. Neben einem bundesweiten Abschiebungsstopp für Syrien muss sich die Bundesrepublik auf allen Ebenen dafür einsetzen, die Verbrechen in Syrien zu beenden und dafür sorgen, dass die Auftraggeber Anwar R.s nicht länger straflos bleiben.
Abschiebungsstopp für Syrien: Versagen vom Dezember 2020 korrigieren
Trotz umfangreicher Beweise für staatlich angeordnete systematische Folter durch das Assad-Regime hatten die Unions-Innenminister sowie der frühere Bundesinnenminister Seehofer den Syrien-Abschiebungsstopp im Dezember 2020 auslaufen lassen. Bereits damals standen die beiden ehemaligen syrischen Geheimdienstmitarbeiter Anwar R. und Eyad A. wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Koblenz vor Gericht.
Im Koalitionsvertrag hat sich die neue Bundesregierung darauf geeinigt, eine rechtliche Grundlage für einen bundesweiten Abschiebungsstopp zu schaffen. Dieses Vorhaben muss nun schnell umgesetzt werden, um das eklatante menschenrechtliche Versagen der Innenminister von CDU und CSU zu korrigieren. Angesichts von durchschnittlich zwei Foltertoten jede Woche im Jahr 2021 ist Syrien ein zwingender Fall für einen solchen Abschiebungsstopp. Jede Abschiebung würde zudem eine Kooperation mit syrischen Foltergeheimdiensten notwendig machen.
Geflüchtete vom Zwang zum Passkauf befreien
Deutsche Innenpolitik trägt schon heute zur Unterstützung des Assad-Regimes bei: Ein großer Teil der syrischen Geflüchteten wird von den deutschen Ausländerbehörden gezwungen, bei der syrischen Botschaft Pässe zu extrem hohen Gebühren zu erwerben. Für das international sanktionierte Assad-Regime ist dies eine wichtige Devisenquelle, die dem Regime Schätzungen zufolge weltweit Einnahmen von rund 2 Milliarden US-Dollar sichert. Viele Geflüchtete werden so genötigt, ihre eigenen Peiniger zu finanzieren. Das Bundesinnenministerium kann diese Praxis durch eine einfache Verwaltungsvorschrift beenden und muss hier endlich handeln.
Außenpolitik: Rehabilitierung verhindern, Straflosigkeit beenden
Das Urteil muss zudem ein Weckruf für die deutsche Außenpolitik sein. Die Bundesregierung hat weiterhin keine erkennbare Syrien-Strategie, die über die Finanzierung von humanitärer Hilfe hinausgeht. Dabei hat sie durchaus außenpolitische Handlungsoptionen, insbesondere auf EU-Ebene:
- Syrienbezogene Russland-Sanktionen: Die russische Regierung, die das Folterregime von Bashar al Assad an der Macht hält, wurde bislang von der EU mit keinerlei syrienbezogenen Sanktionen belegt. Die deutsche und europäische Russland-Politik darf die von Putin ermöglichten Verbrechen des Assad-Regimes sowie russische Kriegsverbrechen in Syrien – etwa die Zerstörung der Wasserversorgung in Idlib Anfang Januar – nicht länger ausklammern.
- EU-Sanktionen gegen Syrien überarbeiten: Die EU-Sanktionen gegen das Assad-Regime sind in vieler Hinsicht mangelhaft. Analysen zeigen, dass die Syrien-Sanktionen der EU viele syrische Akteure verfehlen, die für Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantwortlichen sind. Die Sanktionen müssen überarbeitet werden, damit sie die Richtigen treffen und damit weniger Nebenwirkungen für die syrische Bevölkerung verursachen.
- Internationale Rehabilitierung verhindern: Die Außenpolitik der Bundesregierung muss sich international gegen die herrschende Straflosigkeit des Assad-Regimes einsetzen und allen Staaten entschieden entgegentreten, die eine Rehabilitierung des Assad-Regimes vorantreiben.
Legale und sichere Fluchtwege öffnen
Über 2 Millionen Menschen sind vor den Verbrechen des Assad-Regimes nach Nordsyrien geflohen – ein großer Teil von ihnen floh auch vor Verfolgung und Folter, wie sie Gegenstand des Staatsfolterverfahrens in Koblenz war. Viele harren unter menschenunwürdigen Bedingungen in Flüchtlingslagern aus. In Idlib sind die Geflüchteten weiterhin Bombardierungen ausgesetzt und vom Vorrücken von Assads Truppen bedroht. Der von der alten Bundesregierung mit eingefädelte EU-Türkei-Deal schneidet ihnen den Fluchtweg ab, weil er eine Abriegelung der türkisch-syrischen Grenze beinhaltet. Die Bundesregierung muss Menschen, die vor der Folter der syrischen Geheimdienste fliehen, endlich sichere und legale Fluchtwege eröffnen!
Gerne vermitteln wir Ihnen Ansprechpartner*innen, die bei der Urteilsverkündung in Koblenz vor Ort sein werden sowie Kontakte zu syrischen Beobachter*innen des Prozesses. Bitte melden Sie sich per E-Mail unter presse@adoptrevolution.org