Gab es einen zweiten Chemiewaffen-Einsatz? – Presseschau vom 14. April 2014

Die weiterhin unübersichtliche Lage im Syrienkonflikt, die Aussichtlosigkeit einer baldigen Lösung sowie das Abstumpfen der Medien gegenüber dem alltäglichen Horror von Fassbomben, Scharmützeln und sich ausbreitenden Radikalen spiegelt sich in einer zerfaserten Berichterstattung wider. Einzelne Angriffe oder Attentate sind die Nachricht lange nicht mehr wert; allgemein gibt es weniger ‚News’, dafür oftmals längere Artikel, die […]

Die weiterhin unübersichtliche Lage im Syrienkonflikt, die Aussichtlosigkeit einer baldigen Lösung sowie das Abstumpfen der Medien gegenüber dem alltäglichen Horror von Fassbomben, Scharmützeln und sich ausbreitenden Radikalen spiegelt sich in einer zerfaserten Berichterstattung wider. Einzelne Angriffe oder Attentate sind die Nachricht lange nicht mehr wert; allgemein gibt es weniger ‚News’, dafür oftmals längere Artikel, die sich ein bestimmtes Phänomen, einen Ort oder eine Person genauer anschauen. Diese Artikel setzen meist ein gewisses Grundwissen zu Syrien und dem anhaltenden Konflikt voraus. Der ‚gemeine Zeitungsleser’ wird nur noch am Rande mit Syriennachrichten versorgt, wenn er oder sie nicht gezielt danach sucht.

Intensive Kämpfe zwischen regierungstreuen Truppen und Oppositionellen spielen sich derzeit nördlich von Damaskus ab, wo sich einigen Berichten zufolge ein zweiter Giftgasangriff ereignet hat. Im Dorf Kfar Zeita bei Hama soll am vergangenen Freitag Chlorgas eingesetzt worden sein. Die FAZ berichtet über die ungeklärte Gemengelage; die Washington Post bietet weitere Details und stellt ebenfalls dar, wie sich die amerikanische Regierung Klarheit über einen möglichen Chemie-Angriff zu verschaffen sucht. Ein weiterer, derzeit wichtiger Kriegsschauplatz ist die bergige Küstenregion um Lattakia, die bisher weitestgehend von Kämpfen verschont geblieben war, wie Reuters berichtet.  In Aleppo geht derweil die Bombardierung eng besiedelter Vorstädte  durch Regierungshubschrauber weiter, die sogenannte Fassbomben – improvisierte Sprengkörper – aus niedriger Höhe auf Wohnhäuser abwerfen. Von den schweren Gefechten in der Stadt berichtet der Spiegel.

Mehrere informative Hintergrund-Berichte zu den aktuellen Kämpfen um Lattakia sind in den letzten Tagen auf dem Blog Syria Comment erschienen. Der Einsatz einer neuen, regime-treuen paramilitärischen Einheit, die der „Wüstenfalken„, wird beschrieben, gefolgt von einem detaillierten Porträt Hilal al-Assads – einem Cousin des Präsidenten -, der kürzlich in der Nähe von Lattakia im Kampf getötet wurde. Angesichts der wenigen Informationen, die über die Familie al-Assad bekannt sind, gibt das Porträt einen Eindruck, wie in Syrien Familien- und Regierungsstrukturen überlappen.

Nach einer Reihe von erfolgreichen militärischen Aktionen  gibt sich der syrische Präsident Bashar al-Assad derzeit siegessicher, wie die BBC in einer kurzen Übersicht darstellt. Die Regierung plant Neuwahlen für das Präsidentenamt, die in einigen Monaten stattfinden sollen. Unter den Bedingungen des neu verabschiedeten Wahlgesetzes würden sie jedoch zur Farce geraten, argumentiert Martin Chulov im englischen Guardian: Millionen von SyrerInnen befinden sich im Exil sowie in belagerten oder umkämpften Gebieten innerhalb Syriens; sie können sich z.B. nicht die neu verordneten Wahlunterlagen besorgen. Zudem sichert eine neue gesetzliche Auflage, nach der Präsidentschaftskandidaten die letzten 10 Jahre in Syrien gelebt haben müssen, dass sich die aussichtsreichsten Kandidaten aus der Diaspora nicht zur Wahl stellen dürfen. Ein Sieg al-Assads sei unter diesen Bedingungen vorprogrammiert, schreibt Chulov.

Wie sich der Alltag verschiedener Personen in Tartus, einer mittelgroßen syrischen Küstenstadt, die weitestgehend vom aktiven Kriegsgeschehen verschont blieb, gestaltet, zeigt eine schöne, lange und fundierte Studie, die auf der Jadaliyya-Webseite veröffentlicht wurde. Der Autor, Kheder Kaddour, hat über zwei Jahre EinwohnerInnen von Tartus (die in Syrien ‚Tartusis’ genannt werden) interviewt und liefert eine einfühlsame Darstellung des wirtschaftlichen, sozialen und  politischen Milieus der Stadt – und wie es sich durch den Krieg verändert.


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