Pro- und anti- Assad-Aktivist_innen-Treffen, anti-Jabhat al-Nusra Demonstrationen in ar-Raqqa, irakische Flüchtlinge in Syrien – Netzschau vom 22. Juni

„Eine syrische Lösung zu einer syrischen Krise“, so beschreibt die BBC das von Beirut aus organisierte Treffen von Aktivist_innen aus den befreiten Gebieten und Aktivist_innen aus Regime-gehaltenen Gebieten sowie Unterstützern des Assad-Regimes in Kairo. Ganz ohne die Hilfe großer Organisationen oder Staaten trafen sie sich. Einige Themen waren so sensibel, dass die BBC sie nicht […]

„Eine syrische Lösung zu einer syrischen Krise“, so beschreibt die BBC das von Beirut aus organisierte Treffen von Aktivist_innen aus den befreiten Gebieten und Aktivist_innen aus Regime-gehaltenen Gebieten sowie Unterstützern des Assad-Regimes in Kairo. Ganz ohne die Hilfe großer Organisationen oder Staaten trafen sie sich. Einige Themen waren so sensibel, dass die BBC sie nicht filmen durfte. Die Botschaft des Treffens ist deutlich: „Wir brauchen keine Hilfe von irgendwem. Wir müssen nur endlich den Krieg stoppen und einen neuen Staat aufbauen!“ Trotz der ausländlichen Einmischung, so resümiert die BCC, glauben Aktivist_innen immer noch, dass es genug politischen Raum für eine Lösung aus Syrien heraus – und nicht durch ausländische Mächte vermittelt – gibt. Die Reportage zeigt auch eindrucksvoll, dass sich viele Syrer_innen, als Teile der Revolution begannen, sich zu bewaffnen , einen anderen Weg wählten: Workshops zu organisieren, die Syrer_innen – auch solche die sich Verbrechen schuldig gemacht hatten – zusammen bringen soll und Unterstützer des Regimes bereits dazu gebracht hat, ihre Waffen nieder zu legen. Es kommt auch eine Aktivistin zu Wort, die die Ambiguität der Situation in Aleppo verdeutlicht: sie bewegt sich ständig zwischen von Rebellen und Regierung gehaltenen Gebieten hin und her. Sie hilft alternative Schulen für Kinder zu organisieren. Aufgrund der Gefahr von Beschuss werden hierbei niemals eigentliche Schulgebäude genutzt. Stattdessen nimmt man Keller, in Gebäuden, die weit weg von höheren Gebäuden sind, auf denen die Regierung Scharfschützen positionieren könnte. Zusätzlich müssen die Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert werden. Nur durch diese Sicherheitsmaßnahmen kann den Kindern eine einigermaßen sichere Schulausbildung ermöglicht werden. Wenn das Kämpfen ein Ende hat, dann werden es diese Aktivist_innen sein, die Syrien wiederaufbauen, wird durch das Video deutlich.

Passend dazu hat al-Harak eine „non-violence map“ entworfen. Die Karte gibt eine Kurzbeschreibung der in einer Gegend vorhandenen Initiativen und leitet weiter auf die jeweilige private Seite der Initiativen. Zusätzlich kann man durch die Karte die Verbindungen zwischen den Initiativen und Komitees nachverfolgen. Die Dichte der Initiativen gewaltlosen Widerstands zeigt, dass sie eine entscheidende Kraft im Konflikt bleiben. Es wird auf der Karte auch deutlich, dass selbst in den am meisten von Gewalt betroffenen Gebieten, es intensiven Aktivismus gibt.

„Falls [die Hisbollah] im Kampf um Aleppo teilnimmt, und somit mehr Kämpfer sterben, wird das zu mehr Spannungen führen“ unterstreicht der libanesische Präsident Suleiman in einem Interview mit der libanesischen Zeitung as-Safir seinen Aufruf an die Hisbollah, sich aus Syrien zurückzuziehen und zurück „nach Hause“ zu kehren, um so die Stabilität des Libanons zu wahren.

Aron Lund gibt in The Independent eine Übersicht über die bewaffneten Anti-Asad-Kämpfergruppen in Syrien. Name des Anführers, Zahlen, Gebiete, in denen operiert wird etc. sind die Kategorien anhand welcher Lund die Gruppen aufteilt. Lund, der als Experte für die syrische Opposition gilt, macht aber auch deutlich, dass viele der Informationen, die es über die bewaffneten Gruppierungen gibt, unmöglich zu verifizieren sind. Als Gegengewicht bietet The Syrian Observer ein „Who is Who“ der Wohltätigkeitsorganisationen in Syrien und berichtet über deren historischen Hintergrund im Land.

Nicholas A. Heras bietet auf 361 Security einen Rahmen zur Analyse der Revolution in Syrien. Hierbei greift er auf eine Studie Michael Van Dusens aus dem Jahre 1972 mit dem Titel “Political Integration and Regionalism in Syria“ zurück. Er hat das Konzept der “agro-city region” etabliert, durch welches man nach Heras nun auch die Dynamik der syrischen Revolution, die sich ja von ländlichen Gebieten in die größeren Städte ausgebreitet hatte, analysieren könne.

Samar Yazbek beschreibt auf All4Syria wie sich ihr Verständnis von Freiheit verändert hat. Mit der humanitären Katastrophe in Syrien, kann nicht mehr nur die Forderung nach Redefreiheit Ziel sein. Gleichzeitig hat sich somit aber auch ihre Rolle als Aktivistin, die auch einige Zeit während der Revolution in Paris lebte, verändert: „I no longer think of freedom as solely a concept to write about. For me, freedom is being with the people and sharing life, death and pain. This is the freedom of the writer during revolutions: to be a part of the civil resistance movement, to contribute to the process of change. From ensuring shelter for families fleeing shelled homes, and resisting extremism through the peace movement, to creating small projects to ensure women’s independence and safety, and opening schools for displaced children: this is how I understand freedom now. This is how I practice my right to freedom of expression — by helping ordinary people create their freedom.”

In Raqqa gab es vergangene Woche Demonstrationen gegen die sich als starke Kraft herauskristallisierende Jabhat al-Nusra (JAN). In diesem Video erzählt ein junges Mädchen, dass sie vor der Basis der JAN für die Freilassung ihres Vaters demonstriert. Wortführer auf dem Video sind vor allem Frauen, die die Unrechtmäßigkeit der von JAN eingerichteten Gerichte anprangern. JAN müsse den Gefangenen sagen, warum sie festgenommen wurden und in Haft gehalten werden. Einer der Slogans ist: „Haram und Haram (Verboten)- sie (JAN) töten im Namen des Islam“. Die Demonstrant_innen machen deutlich: wir sind auch Muslime und unser Verständnis vom Islam unterscheidet sich deutlich von dem von JAN! Bemerkenswert ist auch, dass Slogans, die am Anfang der syrischen Revolution vor allem präsent waren, nun wieder Wichtigkeit erhalten: „Friedlich, friedlich“ und „Das syrische Volk lässt sich nicht erniedrigen“ rufen die Aktivist_innen in Richtung JAN. Ein Demonstrant hält ein Plakat hoch mit der Aufschrift: „Das ist doch hier ar-Raqqa und nicht Qardaha??!!“, in Anspielung auf das Dorf, aus welchem die Assad-Familie stammt. Eine weitere Parallele zu den frühen Tagen der Revolution ist, dass die Demonstrant_innen die JAN-Mitglieder immer wieder auffordern, sie nicht zu fotografieren, aus Angst später dadurch verfolgt zu werden. Die Botschaft ist deutlich: „Wir haben doch schon genug Ungerechtigkeit bisher ertragen müssen, es reicht!“

Rita aus Syrien wirft einen Blick auf die schwere Entscheidung irakischer Flüchtlinge in Syrien zu bleiben, oder in den Irak zurückzukehren. Ebenso wie Syrer_innen, werden Iraker_innen willkürlich festgenommen und werden mit Gewalt aus ihren Häusern vertrieben. Anders als Syrer_innen jedoch, hatten die irakischen Flüchtlinge schon beim Verlassen des Irak zumeist alles verloren und konnten aufgrund des Arbeitsverbots nur mühevoll in Syrien über die Runden kommen. Viele irakische Flüchtlinge sind zurück in den Irak gegangen, trotz der sehr realen Gefahr von konfessioneller Gewalt, die sie dort erwarten kann. Eine große Hoffnung der Flüchtlinge ist, in einem dritten Land wieder „angesiedelt“ zu werden. In Syrien sind sie inzwischen auch mit Fremdenfeindlichkeit konfrontiert, schreibt Rita: “Armed conflict has created conditions for communities to withdraw into themselves as a protection strategy. Each group looks to defend itself against any outsider – entrenching its isolation. This further creates an aversion and suspicion of strangers, and Iraqis were the first to feel the harsh glare of xenophobia”.

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