Qusair- Stalingrad der Hisbollah?, türkische Proteste in syrischen Medien, die politische Ökonomie von Entführungen – Netzschau vom 07. Juni

“Qusair, Stalingrad von Syrien, die gefallene Ikone der Revolution und der Wendepunkt für das Regime“ überschreibt Ali Hashem in al-Monitor seinen Augenzeugenbericht aus Qusair nachdem es von syrischen Regierungstruppen übernommen wurde. Jean Aziz glaubt, dass der Fall von Qusair nationale und internationale Auswirkungen haben und sich als schicksalshaft für die Hisbollah herausstellen wird. So hatten […]

“Qusair, Stalingrad von Syrien, die gefallene Ikone der Revolution und der Wendepunkt für das Regime“ überschreibt Ali Hashem in al-Monitor seinen Augenzeugenbericht aus Qusair nachdem es von syrischen Regierungstruppen übernommen wurde. Jean Aziz glaubt, dass der Fall von Qusair nationale und internationale Auswirkungen haben und sich als schicksalshaft für die Hisbollah herausstellen wird. So hatten die libanesischen Medien die letzten zwei Wochen bereits diskutiert, dass die Einbindung der Hisbollah in Qusair lang anhaltend sein wird und ihr „Qusairgrad“ sein wird. Der Verlust von Qusair wird Auswirkungen auf die syrische, libanesische und israelische Front haben. So liegt Qusair strategisch so, dass der westliche und nord-westliche Damaszener ländliche Raum sowie die Kommunikationswege zwischen Damaskus und Homs, ebenso wie der syrischen Küste nun wieder vom Regime kontrolliert werden können. Auf libanesischer Seite hat der Kampf um Qusair deutlich politische Auswirkungen, mit verschiedenen Politikern, die sich von der Hisbollah distanziert haben. Von israelischer Seite ist der Kampf um Qusair interessant, weil er die erste offensive Operation der Hisbollah seit 30 Jahren darstellt. Ian Black argumentiert in The Guardian, dass der Zeitpunkt an dem Qusair gefallen ist, nicht schlechter hätte sein können, so werden nun Friedensgespräche zwischen den sich bekämpfenden Seiten noch unwahrscheinlicher.

Amal Hanano and Yakzan Shishakly erklären in The National, warum die Diskussion über den Sturz des Regimes in Syriens und dessen Folgen sowie das Gerangel um „die rote Linie“, nicht eher zu Syriens Zerfall beiträgt: „To those who manage IDP camps, each number is an additional mouth to feed, another tent to erect, another child without a school. Each number is a red line to Syrians, a line that has been crossed over and over again”. Somit ist die Frage berechtigt: “Isn’t it time to pick up the peel and save what’s left of Syria instead of foreseeing its fall”? Die AutorInnen sind überzeugt, wofür die Welt jetzt nicht bereit ist zu zahlen, dafür wird sie in Zukunft den mehrfachen Preis zahlen. Die Bombenanschläge in Reyhanli am 11. März sind nur ein Beispiel. Hätte die Welt jedoch gehandelt, statt passiv zuzuschauen, dann hätte Reyhanli nicht Opfer der Gewalt werden müssen.

Syria Deeply und al-Monitor beschäftigen sich beide mit der Darstellung der türkischen Proteste in syrischen pro-Regime-Medien. Auf Internetseiten von Regimebefürwortern ist die Rede von den Millionen Türken, die den türkischen Premierminister, den Agenten Amerikas stürzen wollten. Die syrischen Staatsmedien rufen Erdogan gar zum Rücktritt auf und beklagen sich über die Gewalt, die von türkischen Polizisten gegen die friedlichen Demonstranten angewandt wird. Syrische (anti-Regime-)Demonstranten, die sich den türkischen Demonstrierenden in Istanbul angeschlossen haben, kommentieren die türkische Polizeigewalt ironisch: „Thanks for making us feel like home Tayyib“.

Peter N. Bouckaert erklärt in Syria Deeply die politische Ökonomie von Kidnapping in Syrien. Das Phänomen kam vor allem mit dem Kampf um Aleppo vor ca. einem Jahr auf und hat verschiedene Ausformungen. Zum einen seien es kriminelle Gruppierungen, die eine Verbindung zu Jabhat al-Nusra behaupteten. Opfer seien reiche Syrer und Journalisten. Es gibt aber auch Entführungen, die Bouckaert als konfessionel bezeichnet, insbesondere in der libanesisch-syrischen Grenzregion. Durch die Geiselnahme von Alawiten etwa, werde versucht, Gefangene aus den Gefängnissen des Regimes freizupressen. Die Mehrheit der Entführungen gingen jedoch auf kriminelle Gruppen zurück, ohne politischen Hintergrund, zurück. Es gäbe aber auch Oppositionsgruppen, die sich auf diesem Weg den Kauf von Waffen finanzierten.

Mit einem Blick in die Zukunft beschäftigt sich Stephan Rosiny für das GIGA in Hamburg mit der Machtteilung im künftigen Syrien und den möglichen Lektionen die dabei vom Libanon zu lernen sind. Islamwissenschaftler Patrick Franke plädiert in Zenith für Sicherheitsgarantien, die jetzt an alle Bevölkerungsgruppen gegeben werden müssten, damit eine Nachkriegsordnung in Syrien funktionieren könne. Franke gibt Einsicht in die komplizierte politische Ökonomie, die diesen Prozess begleitet. So haben Studien der letzten Jahre deutlich gezeigt, dass die alawitischen Regionen Syriens wirtschaftlich vollkommen abhängig sind von den Positionen, die Alawiten in Militär und Regierung bekleiden. Trotzdem misst Franke zu erwähnen, dass in der syrischen Opposition für dieses Problem durchaus Bewusstsein herrscht, wie das Treffen von Oppositionsgruppierungen und Vertretern der alawitischen Gemeinde vergangenen März in Kairo gezeigt hat.

Auf den Demonstrationen in Syrien wurde am heutigen Freitag vor allem die halbherzige Aufforderung Obamas an die Hisbollah, sich aus Syrien zurückzuziehen, kritisiert. Kafarnabel ironisch wie immer: „Obama, your request to Iran´s and Hezbollah´s terrorists to leave Syria made them wet their pants in fear. Thanks“.