Die Rolle der Universitäten in der Syrischen Revolution – von Hart Uhl

Im November 2005 sprach Syriens Präsident Bashar al-Assad vor einer Gruppe von Studierenden der Universität Damaskus. In seiner Rede beschrieb al-Assad Syriens Universitäten als „Sammelbecken für die Avantgarde der syrischen und arabischen jungen Erwachsenen“. Zu dieser Zeit wurde Syrien von genereller Unruhe in der Bevölkerung erschüttert. Die Gründe waren zum einen die Ermordung des libanesischen […]

Im November 2005 sprach Syriens Präsident Bashar al-Assad vor einer Gruppe von Studierenden der Universität Damaskus. In seiner Rede beschrieb al-Assad Syriens Universitäten als „Sammelbecken für die Avantgarde der syrischen und arabischen jungen Erwachsenen“. Zu dieser Zeit wurde Syrien von genereller Unruhe in der Bevölkerung erschüttert. Die Gründe waren zum einen die Ermordung des libanesischen Premierministers Rafiq al-Hariri (im Februar 2005), die dem syrischen Regime angelastet wurde, sowie die Veröffentlichung der „Damascus Declaration“ (im Oktober 2005). In dieser Erklärung hatten über 250 syrische MenschenrechtsaktivistInnen, AkademikerInnen wie politische Oppositionsfiguren landesweite demokratische Reformen & sozialen Wandel eingefordert.

Auf den ersten Blick könnte al-Assads Entscheidung, vor Studierenden zu sprechen, alles andere als weise erscheinen: Waren es in der Geschichte Syriens doch gerade die Universitäten, an denen Massenproteste gegen die Französische Besatzung, die Militärherrschaft oder die Bagdad-Allianz der 1950er Jahre ihren Ausgang nahmen! Universitätsstudenten waren anno 1958 auch maßgeblich an der Forderung beteiligt, Ägypten und Syrien sollten sich zusammenschließen. Doch mit Beginn der Herrschaft der Baath-Partei (Anm.: Deren Generalsekretär Bashar al-Assad gegenwärtig ist) wurde das syrische Universitätssystem rasch in eine organische Verlängerung des Sicherheitsstaates umgewandelt. Zwar ermöglichte die Baath-Partei hunderttausenden syrischen Studierenden eine kostenfreie höhere Bildung, jedoch wurden Universitäten in der Folge auch als Mittel genutzt, um die syrische Jugend auszuspionieren und zu kontrollieren. Studierende wurden ermuntert (und werden es bis heute), der Baath-Partei und der Nationalen Union Syrischer Studierenden (NUSS) beizutreten. Letztere wird vom Baath-Parlamentsmitglied Ammar Saaty geleitet. Einer dieser Organisationen beizutreten, kann z.B. die Abschlussnote der Studierenden verbessern und ihnen einfacheren Zugang zu Wohnheimen verschaffen.

Daher überrascht es nicht, dass die syrischen Universitäten 2011 in den ersten Tagen & Wochen der Syrischen Revolution erst langsam politisch erwachten. Das weite Netzwerk von Loyalitäten & Patronage sowie das engmaschige Netz von Informanten in den syrischen Universitäten reichten aus, um jegliche aufkeimende Protestbewegung der syrischen Jugend zu ersticken. Wenn doch einmal Demonstrationen gegen das Regime entstanden, trafen sie schnell auf Gegendemonstrationen, die von der pro-Regime-eingestellten NUSS organisiert wurden. Studierende wurden aufgefordert, anti-Regime-Aktivitäten von Kommilitonen an Betreuer zu melden; so sollten sie auch jene Studierende verraten, die anti-Regime-Proteste filmten. Hunderte von Zivilpolizisten wurden zudem an die Universitäten entsandt. Das Ergebnis? Monatelang kam es an den syrischen Universitäten zu keiner großen Protestbewegung zu Gunsten der Syrischen Revolution.

Doch als die Gewaltanwendung durch das syrische Regime im Konflikt zunahm, brach auch endgültig die Mauer der Angst zusammen, die die Studierenden zuvor an Protesten gehindert hatte. Studierende der Universitäten im Land versammelten sich so oft sie konnten – manchmal gar abends/nachts – um ihren Zuspruch für die Revolution auszudrücken. Jedoch konnten Studentenproteste, wie diejenigen in der Straße, nicht ohne Folgen abgehalten werden. So wurden z.B. im Mai 2012 sieben Studierende getötet, als Sicherheitskräfte des Regimes eine Demonstration an der Universität von Aleppo attackierten; Hunderte wurden festgenommen. Syrische Menschenrechtsorganisationen schätzen, dass seit Beginn der Revolution insgesamt mehr als 35,000 Studierende an Universitäten festgenommen wurden. Nur die Hälfte von ihnen wurde seitdem aus dem Gefängnis entlassen!

Universitäten im ganzen Land sind nun im Belagerungszustand. Jeder Studierende wird beim Betreten des Campus durchsucht und befragt. Syrische Geheimpolizei patrolliert regelmäßig an den Universitäten, belästigt und verhaftet Studierende. Mitglieder der NUSS haben eine Ausbildung – manchmal gar Waffen – von ihren Aufsehern in den syrischen Sicherheitskräften erhalten. NUSS-Studierende geben Namen von Kommilitonen an die Aufseher des Regimes weiter; sie helfen auch bei der Durchführung von Massenverhaftungen, die mittlerweile jedes Semester während der Prüfungen stattfinden.

Jedoch haben Studierende, die die Revolution unterstützen, trotzdem nicht kleinbeigegeben. Gleich zu Beginn der Revolution formierte sich die Union Freier Syrischer Studierender (UFFS; eine Partnerorganisation von Adopt a Revolution in Syrien) als Gegengewicht zur pro-Regime-eingestellten NUSS. Die UFSS berichtet und dokumentiert weiterhin alle Fälle, in denen Studierende auf einem Universitätscampus verhaftet werden oder durch die Gewalt des Regimes (auch außerhalb der Universitäten) zu Tode kommen. Zusätzlich organisiert die UFFS „fliegende Demonstrationen“ bzw. Flashmobs und führt Boykotte durch. Längere Massendemonstrationen abzuhalten, ist in der aktuellen Sicherheitslage viel zu gefährlich geworden; alle TeilnehmerInnen würden sofort inhaftiert. Die UFSS tut auch ihr Bestes, um Studierende zu unterstützen, die aufgrund ihrer politischen Arbeit oder Haltung von der Universität ausgeschlossen wurden oder gar das Land verlassen mussten. Mitglieder der UFSS haben große Anstrengungen investiert, um einen Stipendientopf zu etablieren, der Studierenden einen Abschluss ihres Studiums außerhalb Syriens ermöglicht.

Zwei Jahre nach Beginn der Syrischen Revolution ist offensichtlich, dass sich der Kampf um Demokratie & Freiheit zu einem bewaffneten Konflikt entwickelt hat, dessen Ende derzeit nicht abschätzbar ist. Wie die Straßen Syriens sind auch die Universitätsgelände dort von einem Patt erfasst. Der Großteil der syrischen Universitäten ähnelt derzeit mehr Gefängnissen denn Lehranstalten. Aufgrund der Netzwerke von Spionen und Geheimpolizei, die jeden, der auf dem Campus die Autorität des syrischen Regimes in Frage zu stellen wagt, bereitwillig festnehmen, sind die Aussichten für junge Revolutionäre scheinbar schlecht. Trotzdem sind mit der UFSS und ähnlichen Gruppen noch immer AktivistInnen vorhanden, die große Mühen & Risiken auf sich nehmen, um Syriens gewaltfreien Kampf um Freiheit fortzuführen.

Der vorliegende Text wurde im englischen Original von Hart Uhl verfasst. Der Originalbeitrag wurde am 01. Juli 2013 auf der Facebook-Seite des „Syrian Network for Human Rights“ veröffentlicht. Der obige Text ist eine deutsche Übersetzung durch das Team von Adopt a Revolution.

Anm. der Übersetzerin: An einigen Fakultäten der Universität Damaskus, so z.B. der Jura-, Naturwissenschafts- oder Literaturfakultät, kam es bereits in den ersten Wochen der Revolution zu Protesten. Diese wurden jedoch schnell repressiv mittels Gewalt beendet. Auf einem Campus der Universität Damaskus (Mezze) war das Gebäude der NUSS gleich in direkter Nachbarschaft zu den Fakultätsgebäuden. In der NUSS organisierte Studierende machten laut Zeugen bei anti-Regime-Protesten zusammen mit (Zivil)Polizisten sofort Jagd auf die TeilnehmerInnen. Gleich zu Beginn der Proteste in Syrien wurde das Sicherheitsaufgebot an den Universitäten verstärkt: Bewaffnete Kontrollen am Eingang, Zivilpolizisten auf dem Campus. Auch ausländischen Studierenden wurde beigebracht, es handele sich in Syrien lediglich um Fälschungen ausländischer Medien, die Lage im Land sei doch ruhig. Ende März 2011 wurden alle syrischen Studierenden & ein Großteil der Schüler zu pro-Regime-Protesten auf die Straße beordert.