„Kein Syrer darf einen anderen Syrer töten“, steht auf dem Plakat.

Rückfall in die Repression

Gerade mal acht Monate nach Syriens Neubeginn verengen sich die Handlungsspielräume für die Zivilgesellschaft. Berichte über Einschüchterungen, Festnahmen und Angriffe auf friedliche Demonstrationen häufen sich.

„Kein Syrer darf einen anderen Syrer töten“, steht auf dem Plakat.

Mitten in der verheerenden Gewaltwelle in Suweida im Süden Syriens setzten Aktivist*innen in Damaskus ein Zeichen der Solidarität: Bei einem Sit-in forderten sie ein sofortiges Ende der Angriffe, den Schutz der Zivilbevölkerung und die Förderung des zivilen Friedens. Doch die friedliche Aktion wurde abrupt und brutal gestört, als rund zwanzig mutmaßlich regierungsnahe Schläger auftauchten und die Demonstrierenden attackierten – ein deutliches Signal dafür, wie fragil der Raum für ziviles Engagement noch immer ist. Eine Augenzeugin berichtet, wie sie die Attacke erlebt hat.


“Ich wusste, dass wir mit irgendeiner Form von Angriff rechnen mussten. In den Tagen zuvor hatten organisierte Gegengruppen massiv gegen die Solidaritätsdemos für Suweida und ihre Unterstützer*innen mobilisiert – in sozialen Medien kursierten Drohungen, auf der Straße wuchs die Feindseligkeit. Deshalb hielten wir uns strikt an die Regeln, die wir uns selbst auferlegt hatten: Nur Plakate, die zur Einheit aufriefen, wie etwa „Entweder wir leben zusammen als Brüder oder wir sterben zusammen wie Narren“, durften gezeigt werden. Jegliche andere Botschaften wurden untersagt. Wir baten alle Teilnehmenden, zu schweigen und sich auf keine Diskussionen mit Passant*innen oder Gegendemonstrierenden einzulass

Für mich persönlich war ein Ereignis in der Nacht vor dem Parlament ein deutliches Warnsignal: Transparente, die wir zuvor an Brücken und Hauptstraßen aufgehängt hatten wurden innerhalb weniger Stunden entfernt. Die Gruppe, die sie abnahm, filmte die leere Brücke, lachte hinter der Kamera und rief: „Kommt, seht euch das an, ihr Revolutionäre von Damaskus.“ In diesem Augenblick wurde mir klar, dass die Herausforderungen und Gefahren heute weit über das hinausgehen, was wir 2011 erlebt hatten.

Mit dem Angriff auf unser friedliches Sit-in vor dem Parlament entlud sich die zuvor schwelende Feindseligkeit in offener Gewalt. Als die mit Knüppeln bewaffnete Gruppe auf uns zustürmten, blieb ich zunächst regungslos. Die meisten von uns hielten ihre Plakate fest umklammert und setzten sich stumm auf den Boden. Dann hörte ich den ersten Knüppelschlag auf dem Asphalt, nur wenige Schritte von mir entfernt. Jemand entriss mir das Plakat, dann schlug er um sich. Menschen riefen: „Misch dich nicht ein!“ und wir rannten panisch davon.

Mein Atem raste wie damals bei den Demonstrationen 2011, als die Kugeln der syrischen Sicherheitskräfte durch die Luft schossen. Bis dahin hatte ich die Angreifer nicht wie Sicherheitskräfte gesehen. Vielleicht hatte ich mir eingeredet, sie wären „unsere Leute“. Aber in diesem Moment wurde mir klar: Wir stecken wieder mitten in diesem Albtraum, den wir längst hinter uns geglaubt hatten.
Als ich auch die Berichte der anderen gehört hatte, begriff ich das volle Ausmaß: Einer der Sicherheitsleute hatte versucht, einer Teilnehmerin das Handy zu entreißen und zu zerstören, weil sie die Angreifer filmte und deren Anführer identifizieren wollte. Das wollten sie um jeden Preis verhindern. Wieder flohen wir, suchten Schutz, wurden verleumdet – ein Déjà-vu, erschreckend nah an den Ereignissen von 2011. Tage später wurde mir klar, wie sehr sich diese Gewalt den alten Mustern ähnelte, und dass wir ihnen erneut schutzlos ausgeliefert waren.”