Leipzig, 19.11.2020 – Bei der heutigen Vorkonferenz zur Innenministerkonferenz, die vom 9.-11. Dezember stattfindet, diskutieren die Innenminister*innen u.a. ihre Positionen zum Abschiebungsstopp nach Syrien. Sachsens Innenminister Roland Wöller sowie Bayerns Innenminister Joachim Herrmann haben sich bereits öffentlich geäußert und wollen einer Verlängerung des Abschiebestopps nicht zustimmen. Im Rahmen ihrer Protestkundgebung übergaben die Aktivist*innen der Kampagne #SyriaNotSafe deshalb heute einen offenen Brief an Innenminister Wöller und forderten ihn auf, Menschenrechtsstandards nicht zu schleifen.
Das Problem: Syrien ist nicht nur ein Land im Krieg, sondern auch ein Folterstaat, wie die Lageberichte des Auswärtigen Amts kontinuierlich bestätigen. Gewaltsame staatliche Willkür ist dort die Regel und nicht die Ausnahme. Rückkehrende – ob freiwillig oder nicht – sind besonders gefährdet: Laut Recherchen des Syrian Network for Human Rights sind zwischen Januar 2019 und Oktober 2020 mindestens fünf Menschen nach ihrer Rückkehr zu Tode gefoltert worden. „Um eine Handvoll Straftäter und ,Gefährder‘ loszuwerden, drohen die Innenminister Menschenrechte und unsere Grundwerte zu verkaufen“, kommentiert Ferdinand Dürr, Geschäftsführer der deutsch-syrischen Menschenrechts-Organisation Adopt a Revolution.
Denn: Abschiebungen in einen Folterstaat wie Syrien sind gemäß Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ausnahmslos verboten. Trotzdem halten die Innenminister*innen Sachsens und Bayerns, an ihren Bestrebungen fest. Sie stützen sich dabei auf die homofeindliche Messerattacke in Dresden Anfang Oktober, die mutmaßlich von einem syrischen Geflüchteten begangen wurde. Allerdings: Der Verdächtige war noch am Tag der Tat von sächsischen Sicherheitsbehörden observiert worden, die die Tat jedoch nicht verhinderten. „Dem sächsischen Innenminister Wöller ist offenbar jedes Mittel recht, um vom eigenen Versagen abzulenken“, so Dürr. „Sogar ein klarer Bruch von Menschenrechtskonventionen und die internationale Rehabilitierung des brutalen Assad-Regimes.“
Keine Rehabilitierung des Massenmörders Assad
Abschiebungen nach Syrien setzen voraus, dass deutsche Behörden mit den Sicherheitsbehörden in Damaskus kooperieren. Die syrischen Sicherheitsbehörden sind jedoch in schwerste Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verwickelt. Deshalb stehen fast ausnahmslos alle hochrangigen Angehörigen des Assad-Regimes auf EU-Sanktionslisten. Einige europäische Staaten, darunter Deutschland, suchen zudem hochrangige Funktionäre des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit internationalem Haftbefehl. Darüber hinaus findet vor dem Oberlandesgericht Koblenz derzeit der weltweit erste Prozess gegen Mitglieder von Assads Sicherheitsdiensten statt – zwei ehemalige Mitarbeiter syrischer Geheimdienste müssen sich für Folter in mindestens 4.000 Fällen sowie 58-fachen Mord verantworten. Der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Köln, Dr. Markus Rothschild, hat jüngst bei der Verhandlung die differenzierten Folter-Methoden mittels vieler Fotos aus Assads Folterknästen pathologisch nachgewiesen.
„Wenn wir ein Preisschild an Menschenrechte heften und für Abschiebungen nach Syrien mit dem Assad-Regime kooperieren, ist das ein fatales Signal an autokratische Herrscher weltweit“, warnt die syrische Aktivistin Mariana Karkoutly und richtet einen eindringlichen Appell an die Innenministerkonferenz: „Machen Sie sich nicht zum Handlanger des Folterregimes! Assad darf für Deutschland und Europa kein Ansprech- und Koperationspartner sein! Bewahren Sie unsere Grundwerte und verlängern Sie den Abschiebungsstopp!“