Schutz auf Widerruf

Geflüchtete bekommen in Deutschland eine Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiären Schutz oder Abschiebungsverbote. Diese Aufenthaltstitel können „widerrufen“ werden, wenn die Behörden davon ausgehen, dass sich die Sicherheitslage im Herkunftsland nachhaltig und grundlegend verbessert hat. Bei Syrer*innen ist das noch selten der Fall – aber die Zahl der Widerrufe steigt.

Eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage sowie Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zeigen: Die Zahl der Fälle, in denen Titel von syrischen Schutzsuchenden (also Asylstatus, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder Abschiebungsverbot) widerrufen oder zurückgenommen werden, steigt. Das ist die schlechte Nachricht.

Die gute ist: Der Widerruf ist bei syrischen Geflüchteten immer noch relativ selten. Im Zweiten Quartal 2020 erfolgte in nur 3,1% der Entscheidungen ein Widerruf oder die Rücknahme von Schutztiteln syrischer Geflüchteter. Die große Mehrheit der Schutztitel wird also nicht in Frage gestellt. Aber das könnte sich ändern.

Anlasslos auf dem Prüfstand

Eine Rücknahme bedeutet, dass der Schutztitel aufgrund von falschen Angaben oder irrtümlich erteilt worden ist. Ein Widerruf erfolgt dann, wenn das BAMF der Auffassung ist, dass sich die Lage im Herkunftsland nachhaltig und grundlegend verändert hat und der Schutztitel daher nicht mehr notwendig ist. Sollte das BAMF deswegen davon ausgehen, dass Syrien wieder sicher(er) sei (ob das nun stimmen mag oder nicht), würden viele syrischen Geflüchteten ihren Schutztitel verlieren.

Keine Verfolgung durch oppositionelle Gruppen mehr?

Die Bundesregierung schreibt, dass sie die Situation in Syrien aktuell neu bewertet. Offenbar schätzt sie die Verfolgung durch die bewaffnete Opposition inzwischen anders ein:

„In Bezug auf Syrien wurde eine Sachlagenänderung für Personen festgestellt, bei denen die Schutzgewährung auf einer (drohenden) Verfolgung durch Oppositionsgruppen, wie z. B. die Freie Syrische Armee, beruhte, die dem Assad-Regime nahestehen.“

Wer also in der Asylanhörung angegeben hatte, vor dem so genannten »Islamischen Staat« oder einer FSA-Miliz geflohen zu sein, weil er oder sie regimeloyal sei, dem könnte nun der Schutzstatus entzogen werden. Argumentiert wird hierbei, dass die Geflüchteten dann ja auch in Landesteilen Schutz suchen könnten, die vom Assad-Regime kontrolliert werden. Derzeit gibt es noch einen für alle Syrer*innen geltenden Abschiebungsstopp – sollte der aber einmal nicht verlängert werden, könnte solchen Betroffenen die Abschiebung drohen.

Für Betroffene gibt es mehrere Praxishilfen und Ratgeber, etwa vom Berliner Flüchtlingsrat

Realität in Syrien ist komplexer

In der Realität werden viele, die vor oppositionellen Gruppen geflohen sind, auch in Assad-kontrollierten Gebieten nicht sicher sein. Denn erstens ist die Verfolgung durch das Regime und seine loyalen Milizen äußerst willkürlich; Quasi jede*r kann betroffen sein. Und zweitens haben sich die Geflüchteten beim Assad-Regime spätestens damit verdächtig gemacht, dass sie nicht von Anfang an in Assad-kontrollierte Gebiete geflohen waren. Wer außer Landes geflohen war, muss mit Verdächtigungen und dem Vorwurf der Illoyalität rechnen. Und ein Verdacht allein kann in Syrien ausreichen, dass Menschen verhaftet werden und Opfer von Folter und Verschwindenlassen werden.

Mehrere Fälle belegen zudem, dass auch erklärte Assad-Anhänger*innen Opfer von Geheimdiensten oder regimeloaylen Milizen werden. Denn die Staatlichkeit in Syrien zerfasert immer mehr, ein Gewaltmonopol gibt es quasi nicht mehr. Milizen interessieren sich oft mehr für Schmier- und Lösegelder als für die politische Gesinnung ihrer Opfer. Der „Übergang zwischen politischem Auftrag, militärischen bzw. polizeilichen Aufgaben und mafiösem Geschäftsgebahren [ist] fließend.” Das schreibt sogar das Auswärtige Amt in seinen Syrien-Lageberichten.

Es gibt also gute Gründe, einen Widerruf juristisch anzufechten. Betroffene, die bei einer Rückkehr in Regime-Gebiete Verfolgung oder Willkür fürchten, sollten sich deswegen unbedingt rechtlich beraten lassen und gegen die BAMF-Entscheidung klagen. 

Widerruf theoretisch immer möglich

Das BAMF ist verpflichtet, einen Schutzstatus nach spätestens drei Jahren zu prüfen. Bei manchen Jahrgängen wurde diese Frist auf fünf Jahre erhöht. Neben der regelmäßigen Überprüfung von Schutztiteln kann das BAMF aber auch anlassbezogen tätig werden. In der Regel werden die Betroffenen postalisch zu einem Gespräch eingeladen. Um sicher zu gehen, sollten Eingeladene sich vor einem Gespräch an ihre*n Anwält*in oder eine unabhängige Beratungsstelle wenden. 

Bislang bleiben die allermeisten dieser Überprüfungen folgenlos. Kritiker*innen betonen deshalb, dass Widerrufsprüfungen vor allem Ressourcen des BAMF verschwenden – und nicht zuletzt Geflüchtete verunsichern. Um sich ein neues Leben aufbauen zu können, brauchen Geflüchtete jedoch vor allem die Sicherheit, dauerhaft an einem Ort angekommen zu sein.

Die Widerrufsverfahren sollten daher nur bei offensichtlichen Anlässen eingeleitet werden – etwa wenn Personen Flüchtlingsschutz genießen, hierzulande aber als Propagandisten von Folterregimen auftreten. In solchen Fällen wäre ein Widerruf durchaus angebracht.

Der Abschiebungsstopp nach Syrien muss jedes halbe Jahr verlängert werden – das schafft Unsicherheit für die Betroffenen. Wir fordern deshalb, dass Abschiebungen unbefristet ausgesetzt werden. Hilf mit, unterzeichne unsere Petition!