Schwulsein in Syrien & jihadistischer Tourismus – Presseschau 23. Dezember

Haley Bobseine beleuchtet für Foreign Policy das Schicksal der schwulen Community Syriens. Schwulsein war auch vor der Syrischen Revolution nur im Privaten möglich, da u.a. das syrische Strafgesetzbuch „unnatürliche sexuelle Akte“ mit Gefängnisstrafe belegt. Die wohl größte Hürde für öffentlich gelebte Homosexualität stellte aber schon damals die Gesellschaft – v.a. auch die eigene Familie – […]

Haley Bobseine beleuchtet für Foreign Policy das Schicksal der schwulen Community Syriens. Schwulsein war auch vor der Syrischen Revolution nur im Privaten möglich, da u.a. das syrische Strafgesetzbuch „unnatürliche sexuelle Akte“ mit Gefängnisstrafe belegt. Die wohl größte Hürde für öffentlich gelebte Homosexualität stellte aber schon damals die Gesellschaft – v.a. auch die eigene Familie – dar. So überrascht es nicht, dass Syriens schwule Community nun zwischen drei Fronten lebt: der bewaffneten (islamistischen) Opposition, dem Regime und der eigenen Familie. Bobseine wurde durch die Arbeit in der Flüchtlingshilfe in Beirut auf das Schicksal der schwulen Syrer aufmerksam.

In zahlreichen Interviews erfuhr er unterschiedliche Geschichten von Gewalt und Verfolgung in Syrien. So z.B. die Geschichte von Joseph aus Deir ez-Zor, der nach der Entdeckung durch die Familie nach Libanon flüchtete, um dem Tod zu entgehen. Oder die Geschichte von Najib, der – ebenfalls vor der Familie – in einen oppositionellen Vorort von Damaskus flüchtete, dort eine Liebschaft mit einem islamistischen Kämpfer einging, bis die Affäre aufflog. An einem Regime-Checkpoint wurde Najib später von einem ebenfalls schwulen Milizionär verraten, von einer Gruppe Milizionäre erpresst und sexuell genötigt. Im Fall der syrischen gay community wird einmal mehr deutlich, wie leicht vermeintliche Opfer zu Tätern werden können und Identitäten umgedeutet werden, um nicht aufzufallen. So erzählt Imad von einem schwulen Bekannten, der ins Ausland ging und als islamischer Kämpfer zurückkehrte.

Die Flucht ins relativ liberale Beirut stellt für schwule Syrer jedoch auch keine Rettung vor Verfolgung dar, im Exil werden sie oftmals (erneut) Opfer von sexueller Ausbeutung. Hilfsmaßnahmen für schwule Männer sind jedoch nicht vorgesehen; so landen viele Männer über kurz oder lang auf der Straße – und z.T. in der Sexwirtschaft. Bobseine fordert, dass Flüchtlingshilfswerke für die Nöte der vergessenen sexuellen Minderheiten sensibilisiert werden und Hilfsmaßnahmen geschaffen werden müssen, v.a. auch für Opfer sexueller Gewalt.

Die humanitäre Not in den vom Regime belagerten Gebieten von Ghouta, dem zumeist oppositionell-kontrollierten Umland von Damaskus, spiegelt sich in astronomischen Preisen wider. So koste laut Syrian Observer ein Kilo Tomaten oder Auberginen 350 Lira, ein Kilo Bohnen sogar 900 Lira (200 Lira in nicht-belagerten Gebieten). Damit sei ein Kilo Rindfleisch gar 200 Lira billiger als Bohnen – der Mangel an preiswertem Tierfutter lasse viele Menschen das Vieh schlachten, das eh nicht ausgeführt werden könne. Noch teurer als Gemüse seien jedoch Benzin mit 2700 Lira pro Liter (offiziell 100 Lira/Liter) und Diesel mit 2000 Lira per Liter (offiziell 65 Lira/Liter). Das Betreiben von Generatoren und Heizungen werde damit nahezu utopisch. Gaszylinder könne man noch nicht einmal mehr für 50.000 Lira finden. Zur Einordnung: Die offizielle Nachrichtenagentur SANA beziffert einen Euro aktuell mit knapp 200 Lira, was die exorbitante Inflation in Teilen verdeutlicht. Vor der Krise betrugen ca. 65 Lira einen Euro.

Am 20. Dezember wurde in Aleppo der junge Fotograf Molhem Barakat bei seiner Arbeit getötet, als er einen Kampf um ein Krankenhaus in Bildern festhielt (Huffington Post). Das genaue Alter Molhems ist nicht bekannt, aller Wahrscheinlichkeit nach war er noch minderjährig. Da Molhem als freelancer für Reuters tätig war, werden nun Fragen an Reuters bezüglich der Anstellung laut, u.a. von Corey Pein. Es wird die Frage aufgeworfen, ob Reuters Molhem mit Sicherheitsequipment ausgestattet hat – oder lediglich mit Fotoausstattung. Seine Fotos erschienen u.a. im New Yorker Magazine, hier weitere Fotos (The Telegraph). Molhems Schicksal zeigt erneut die schwierigen Umstände der Berichterstattung in Syrien auf.

Zwei Artikel widmen sich völlig unterschiedlichen Menschen: Annia Ciezadlo porträtiert für New Republic den Diktator Bashar al-Assad, während sich Budour Hassan den kürzlich verschleppten Aktivistinnen Samira al-Khalil und Razan Zeitouneh widmet. Laut Ciezadlo liege Bashar al-Assads Stärke genau darin, stets unterschätzt zu werden. Mit diesem Image spiele er, um wie im Falle des Chemiewaffendeals doch als Stärkerer hervorzugehen. Ciezadlo geht in ihrem Porträt auch auf die Jugend Assads ein und befragt frühere Freunde und Berater. Es entsteht der Eindruck eines Diktators, der gemocht werden, aber doch keinen Deut seiner Macht abtreten möchte. Letztendlich geht Bashar al-Assad als noch brutaler als sein Vater Hafez in die Geschichtsbücher ein.

Budour Hassan betont in seinem Porträt Samira al-Khalils, dass diese weit mehr als „nur die Frau von Yassin al-Haj Saleh“ sei. Al-Khalil sei bereits in den 1980-er Jahren in einer kommunistischen Partei aktiv gewesen, weshalb sie von 1987-1991 z.T. unter Folter inhaftiert wurde. Die letzten sieben Monate verbrachte al-Khalil im oppositionellen Douma in der Nähe von Damaskus und erlebte die Regimeblockade am eigenen Leib. Hassan geht davon aus, dass die „Armee des Islam“ (Jaish al-Islam) für die Entführung von Razan Zeitouneh und Samira al-Khalil verantwortlich oder zumindest involviert sei. Daher schließt Hassan sein Porträt wie folgt: „Dispersed and fragmented among prison cells, refugee camps and exile, Syrian revolutionaries are left with no option but to fight the two arms of fascism and tyranny that are strangling Syria right now: the Baathist regime and Islamist extremists.”

Das Magazin VICE widmet sich dem Phänomen britischer Jihadisten, die ihr Leben in Syrien trotz Krieg scheinbar genießen und ausgiebig in Bildern festhalten. So beschrieben die Kämpfer ihr Leben in Syrien z.B. als 5-Sterne-Jihad, preisen, wie einfach man nach Syrien kommen könne – z.T. gar mit Billigung türkischer Grenzbeamter – und riefen Glaubensbrüder und -schwestern dazu auf, ihnen zu folgen. Frauen wären v.a. zur Stärkung der Moral willkommen. Obwohl der Eindruck entstehen könnte, dass die Jihadisten nur im Pool rumhängen, sind bereits einige der britischen Kämpfer in Syrien verstorben. Die Jihadisten machen sich trotzdem ausgiebig über britische Reisewarnungen für Syrien lustig und beschwören, dass solch öffentliche Warnungen nur mehr Kämpfer nach Syrien spülen würden. Die Briten kämpfen vorrangig für ISIS bzw. deren Muhajireen-Brigade (Ausländer-Brigade).

Ein Artikel der Kurdistan Tribune zeigt, dass sich auch vermehrt junge irakische Kurden nach Syrien zum Kampf aufmachen, paradoxerweise aber nicht auf Seiten kurdischer Truppen, sondern ausgerechnet unter der Flagge von Jabhat al-Nusra. Die islamistischen Gruppen Al-Nusra und ISIS haben sich bereits mehrfach mit syrisch-kurdischen Gruppen Kämpfe um den Einfluss in Nordsyrien geliefert. Ende der 1990-er Jahre fingen die Aktivitäten islamistischer Gruppen in Irakisch-Kurdistan an, auf die die derzeitigen Anwerbeversuche junger Männer zwischen 17-25 Jahren zurückgingen. Einige Profile in Syrien gefallener Kurden sind im Artikel enthalten, alle sind zwischen den Jahrgängen 1986-1994 geboren.

Auch deutsche Muslime werden für den Jihad in Syrien umworben, besonders unsichere junge Männer – ob Konvertiten oder nicht – zeigen sich anfällig für solche Propaganda. Bereits 240 deutsche Muslime sollen nach Schätzungen in Syrien kämpfen. Um ihre Söhne vor solchen Schritten zu bewahren und auf das brisante Thema aufmerksam zu machen, hat sich in Berlin eine Gruppe türkischer Väter zusammengeschlossen, wie die Berliner Zeitung berichtet.