Es ist ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität, wenn in Düsseldorf Zehntausende für das von den Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS) bedrohte Kobani auf die Straße gehen. Mit den gut organisierten Solidaritätsaktionen in Europa wird Kobani noch stärker zum Symbol für den Widerstand gegen den IS. Diese Rolle hat das Städtchen direkt an der syrisch-türkischen Grenze schon deshalb, weil internationale Medien quasi live aus der Schlacht berichten können und sich die eher schlecht ausgerüsteten Volksverteidigungseinheiten der PYD, des syrischen PKK-Ablegers, beeindruckender Weise bisher noch immer gegenüber den militärisch überlegenen Dschihadisten behaupten können. Dass auch das türkische Militär die Entwicklungen aus nächster Nähe beobachtet ohne einzugreifen und die US-geführte Allianz zahlreiche Luftangriffe zur Unterstützung der kurdischen KämpferInnen fliegt, trägt sein übriges bei. Hier geht es um die Verteidigung des fortschrittlichen kurdischen Experiments der Selbstverwaltung gegen die Steinzeit-Islamisten, was zweifelsohne jede Solidarität verdient.
Trotzdem greift diese fast reflexhafte Solidarität für Kobani zu kurz. Denn auch die kurdische Selbstverwaltung unter starkem Einfluss der PYD-Parteistrukturen im Nordosten Syriens ist nicht einfach aus sich heraus entstanden. Der Freiraum für die relative Autonomie der KurdInnen in Syrien ist erst entstanden, weil und nachdem im März 2011 die Menschen in Daraa die Angst vor der Assad-Diktatur überwunden haben und für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind. Und nur weil das Regime die Menschen in Damaskus, Homs, Hama und Aleppo mit all seinen militärischen Kräften angriff, gab das Regime den pragmatischen Befehl an die syrische Armee, sich im Sommer 2012 in den mehrheitlich kurdisch bewohnten Gebieten in die Kasernen zurückziehen – wo sie, wie etwa in Qamishli, noch immer geduldet wird.
Deswegen ist das Assad-Regime noch lange kein Freund der kurdischen Bewegung. Keinen einzigen Einsatz ist die Luftwaffeeder Baath-Diktatur geflogen, um den KurdInnen in Kobani gegen den IS zu helfen. Stattdessen werfen Helikopter weiterhin Fassbomben über den Wohngebieten von Aleppo und Damaskus ab, weshalb in Syrien derzeit täglich noch immer mehr Menschen durch die Gewalt des Regimes sterben, als vom „Islamischen Staat“ getötet werden.
Es ist deshalb falsch, wenn Solidarität wie derzeit in Deutschland entlang ethnischer Grenzen in Syrien verläuft. Denn auch die SyrerInnen, die jenseits der drei kurdischen Kantone Rojavas leben, leiden unter dem IS-Terror – und kämpfen ebenso mutig wie die KurdInnen gegen ihn: Anfang des Jahres erklärten alle bewaffneten Kräfte der syrischen Revolution die Dschihadisten, die sich damals noch ISIS nannten, zu Gegnern und vertrieben sie in einer Offensive aus weiten Teilen der Provinzen Idlib und Aleppo. Wo sich der IS später wieder einrichten wollte, musste er häufig jedes öffentliche Leben einschränken, um die zivile Opposition gegen seine Herrschaft zu unterbinden. SyrerInnen denken den „Islamischen Staat“ und das Assad-Regime längst als zwei Seiten der gleichen Medaille und beziehen sich im Protest gegen beide positiv aufeinander.
Diejenigen, die sich seit 2011 in lokalen Komitees und Räten zusammengeschlossen haben, um die brutale Assad-Diktatur herauszufordern, arbeiten vielerorts weiter. Auf lokaler Ebene streiten sie für Demokratie und Menschenrechte und versuchen, wenigstens die schlimmsten humanitären Folgen abzufedern. Sie haben keine gut organisierte Exil-Community – unsere Solidarität verdienen sie trotzdem.
Solidarität mit Kobani braucht die Solidarität mit der syrischen Revolution.
Adopt a Revolution unterstützt seit Ende 2011 zivile Gruppen in allen Regionen Syriens bei ihrer Arbeit für Demokratie, Menschen- und Minderheitenrechte, auch mit finanziellen Mitteln. Helfen Sie mit, unterstützen Sie die junge syrische Zivilgesellschaft mit Ihrer Spende!
Jetzt Zivilgesellschaft stärken!
Herzlichen Dank für Ihre Solidarität!