Im Libanon gibt es für die hierher geflüchteten Menschen keine formellen Flüchtlingscamps. Nur die allerwenigstens Geflüchteten können sich die Miete für eine Wohnung leisten. Der Rest haust – wenn er Glück hat – in informellen Zeltlagern, viele auf der Straße. Die Versorgungslage ist dramatisch. Schon seit Jahren fährt die Regierung einen harten Kurs und will mit massiven Repressionen die Menschen zur „freiwilligen“ Rückkehr nach Syrien zwingen.
Unsere Partner*innen von „Syrian Eyes“ berichten uns, dass der Druck derzeit massiv zunimmt. So ist es beispielsweise seit Mitte Januar NGOs und Helfer*innen untersagt, die inoffiziellen Lager zu betreten, dort zu arbeiten und die Menschen zu versorgen. Dabei ist die Not gigantisch. „Bislang ist zwar noch niemand erfroren, aber das ist reines Glück“, berichtet Dina von Syrian Eyes. „Die Armut ist nochmal stark gestiegen. In dem Lager, in dem wir aktiv sind, haben 80 Prozent der Menschen keine Arbeit. Das ist in anderen Camps nicht besser, eher schlechter. Dazu kommt, dass seit Dezember niemand mehr UN-Hilfe bekommt, sämtliche UNHCR-Hilfsmittel werden den Flüchtlingen entzogen.“
Von Hilfe und Öffentlichkeit abgeschnitten
Zudem übt das Militär durch erhöhte Präsenz vor und auch in den Camps psychischen und physischen Druck auf die Geflüchteten aus. Mehrmals wurden die Router aus den Camps entfernt und die Menschen so vom Internet abgeschnitten. Ein paar Mal haben die Campbewohner*innen neue besorgt, können sich das aber nicht mehr leisten. So sind sie jetzt nicht nur abgeschnitten von Hilfe von außen, sondern auch vom Internet.
Zudem geht das Militär zusammen mit dem Geheimdienst regelmäßig gezielt nachts in die Lager und verlangt Papiere, insbesondere von den Männern. „Meistens passiert dann nichts weiter, aber eine kleine Anzahl wurde bereits mitgenommen und zwangsabgeschoben. Die Menschen werden hier drangsaliert. Allein, dass das regelmäßig frühmorgens um fünf Uhr passiert, zeigt deutlich, dass das gezielte Schikane ist“, betont Dina. Um sich zu schützen und die Soldaten fernzuhalten, behaupten deshalb die Campbewohner*innen immer wieder, dass sie mit Corona oder Cholera infiziert seien.
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt
Aber auch abseits der Camps spitzt sich die Lebenssituation der syrischen Geflüchteten im Land dramatisch zu. „In Beirut werden syrische Männer aus ihren Wohnungen geschmissen und verprügelt. Hoffnung auf eine andere Wohnung gibt es nicht, an Syrer*innen wird nicht mehr vermietet. Der Rassismus nimmt immer mehr zu. Im christlichen Bezirk Aschrafiyya wurde sogar eine Bürgerwehr gebildet, die sich selbst als „der Arm Gottes“ bezeichnet. Die sind nachts unterwegs und behaupten, es gehe um Sicherheit, aber letztendlich sind sie auf der Suche nach Nicht-Libanesen, die sie verprügeln können“, so beschreibt Dina die derzeitige Situation in der Hauptstadt Libanons.
Auch die Regierung fährt einen rassistischen, gegen syrische Geflüchtete gerichteten Kurs. Das trifft auch die jüngsten und vulnerabelsten von ihnen. So dürfen beispielsweise seit dem 12. Januar nicht-libanesische Kinder nachmittags nicht mehr die Schule besuchen. Der Unterricht ist dann ausschließlich den libanesischen Kindern vorbehalten.
„All diese Entwicklungen deuten stark daraufhin, dass für März oder April eine große Deportationswelle geplant wird. Alle Geflüchteten hier haben sehr große Angst, was passieren wird.“
Dina von Syrian Eyes
Denn trotz der Schikane, rechtlicher Unsicherheit und Perspektivlosigkeit im Libanon ist für die meisten syrischen Geflüchteten eine Rückkehr nach Syrien keine Option. Aus gutem Grund: Denn selbst wenn es dort irgendwann keine Kampfhandlungen mehr geben sollte, bleibt die Menschenrechtssituation desaströs. Es kann nicht sichergestellt werden, dass die Rechte der Rückkehrer*innen gewahrt werden. Ganz im Gegenteil: Im Libanon verbliebene Flüchtlinge berichten immer wieder von Freund*innen und Angehörigen, die bei ihrer Rückkehr vom syrischen Regime verhaftet wurden. Folter ist bereits ab dem ersten Hafttag üblich, viele Rückkehrende verschwinden spurlos.
„An unserer Arbeit hängen Menschenleben – wir machen weiter“
Aber auch ohne Abschiebungen ist das Überleben im Libanon für syrische Geflüchtete ein täglicher Kampf, den sie allein nicht bewerkstelligen können. Aber ob und wann die Aktivist*innen wieder in die Camps gehen und dort Nothilfe leisten können, ist ungewiss. „Die Menschen müssen versorgt werden, deshalb beraten wir uns gerade mit den anderen tätigen NGOs, wie wir weiter vorgehen und uns auch gegenseitig unterstützen können.“ AlsOption für die Winterhilfe verteilt Syrian Eyes derzeit heimlich Gutscheine außerhalb der Camps. Damit müssen die Menschen dann selbst ihre Hilfspakete abholen, anstatt dass es große, sichtbare Verteilungen direkt vor Ort gibt.
„Wir können die Menschen nicht im Stich lassen, deshalb nutzen wir jede erdenkliche Möglichkeit. Gleichzeitig müssen wir jeden Sicherheitsaspekt mitdenken – für uns selbst, aber auch für die Menschen im Camp. Das macht die Arbeit gerade extrem schwierig, aber wir geben nicht auf!“
Dina von Syrian Eyes
BITTE HELFEN SIE UNSEREN PARTNER*INNEN DABEI!