Mit seinem fahrbaren Klavier brachte Ayham Ahmad den Sound der Hoffnung in die Straßen Yarmouks, einem palästinensischen Flüchtlingsviertel am Rande von Damaskus. Wegen der permanenten Verschlechterung der Lage im besetzten Gebiet flüchtet er nach Deutschland. Fast täglich dokumentiert er die Stationen seiner Reise auf seiner Facebook-Seite und hat so mittlerweile ein internationales Publikum gewonnen.
Damit würde wohl niemand rechnen, der durch die zertrümmerten Straßen Yarmouks geht. Zwischen zerstörten Häusern, inmitten der staubigen Straße steht dort ein Klavier auf einem fahrbaren Karren. An der Tastatur sitzt ein junger Mann und singt, unterstützt wird er von zwei kleinen Mädchen und einem Männerchor.
https://www.youtube.com/watch?v=oIFpSfipdSQ
Ayhams Lieder handeln vom täglichen Leid und Leben der Bewohner Yarmouks. Wenn die Wasserrohre durch Straßenkämpfe beschädigt werden, singt er vom Wassermangel. Er singt vom Hunger der abgeriegelten Bewohner, von Essenspaketen, vom Krieg. Auf youtube sind wacklige, mit Handys gefilmte Aufnahmen seiner Straßenmusik zu sehen. Auch der Kurzfilm „Blue“ zeigt Eindrücke des Lebens im Flüchtlingsviertel und Ayhams quirlige Gestalt am Klavier, die den Menschen auf der Straße ein wenig Freude und Hoffnung bringt.
Lange sang er für die Menschen, die das Kriegsgebiet längst verlassen hatten, er wollte, dass sie zurückkommen: „Yarmouk, wir sind ein Teil von dir, und das wird sich niemals ändern.“
Nun befindet er sich selbst auf der Flucht. Die Lage im ohnehin abgeschotteten Gebiet spitzte sich zu, als Anhänger des Islamischen Staats und der konkurrierenden Nusra-Front im April das Viertel einnahmen. Nach drei Jahren Belagerung durch das Assad-Regime, Hunger, Durst und Fassbomben nahmen die Terrormilizen den letzten Hoffnungsschimmer.
Auf dem Weg nach draußen versperrten IS-Kämpfer Ayham und seiner Familie den Weg. Beim Anblick seines Klaviers bedrohten sie ihn, bezeichneten Musik nach dem Islam als „haram“, verboten. Sie gossen Benzin darüber und ließen es vor seinen Augen verbrennen. „April 17 is a historic day for me, because it was my birthday and they burnt my best friend,“ sagte er nbcnews. „I’ve had this piano for about 16 years. It is a Russian piano. It was a special relationship.“
Aus Sorge um ihre Sicherhet ließ er seine Frau und seine beiden Söhne zunächst in Damaskus zurück. Dann machte er sich allein auf den Weg nach Deutschland.
Verfolgen Sie hier das Tagebuch seiner Flucht!
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5. September: Yarmouk
Die Geschichte eines Traums
Das Gebiet befindet sich unter Belagerung, so vermischt sich der Tod hungrig mit der Hoffnung, die Belagerung zu durchbrechen. […] Und in diesen Tagen tauchte das Klavier der Hoffnung auf, es spazierte durch die Straßen Yarmouks, sang und spielte die Musik der Neutralität in diesem Krieg… Spielte die Melodie der Kindheit… Brachte Liebe durch Musik.
Und dann erschossen sie ihn, denn sie mögen den Klang des Lebens nicht… Aber sie werden diesen Klang nicht besiegen.
Hier ist Yarmouk.
11. September: Über die türkisch-syrische Grenze (?)
13. September: Izmir
Eine Reise von Yarmouk nach Europa
Ich verließ das Yarmouk Camp nach dreijähriger Belagerung… einer Belagerung geprägt von Leid und Hunger.
Ich ging mit meiner Frau und meinen Kindern… aber meine Eltern weigerten sich, das Camp zu verlassen.
Ich verließ das Camp nach Damaskus und es war das erste Mal, dass ich außerhalb des besetzten Gebiets Musik machte.
Ich traf meine besten Freunde… vor Beginn der Belagerung trafen wir uns täglich.
Und dann setzte ich meine Reise nach Homs fort, und ich bezahlte viel Geld, um von Damaskus nach Nord Hamah zu kommen, doch danach wurde ich drei Tage lang mit meiner Frau und meinen Kindern festgenommen, weil ich versuchte hatte auf einem illegalen Weg zu reisen.
Das Gericht sprach mich frei.
[…]
14. September: Izmir
Liebstes Mittelmeer, ich bin Ayham und ich würde gern sicher auf deinen Wellen reiten. Die Leute hier wollen einfach nur nach Europa […] Also, was wäre die Lösung? Wir wünschten, die Türkei würde ihre Grenzen nach Griechenland öffnen und uns sicher übers Land einreisen lassen, weit weg von den Schiffen des Todes.
Dies ist Yarmouk aus dem Herzen der Türkei.
Ayham
16. September: Izmir (?)
Schiffe des Todes
Ich ging von Antioch nach Izmir und die Situation war schrecklich, die Leute schliefen auf der Straße und ihre Decke war der blanke Himmel, denn die Hotels waren sehr teuer […] und niemand, der gerade wie wir aus einem Kriegsgebiet geflohen ist, kann sich so etwas leisten! […]
Hier traf ich die Schlepper, die die Leute auf unglaubliche Weise nach Griechenland bringen, und zwar mit einem winzigen Plastikboot, die Wahrscheinlichkeit, darin zu ertrinken, liegt bei 30%
Ich lernte einen Schlepper namens Abu Mohammed kennen, er wirkte wie ein guter, religiöser oder moralischer Mann, wenn ich das so sagen kann! Also fühlte ich mich etwas sicherer darin, dass er uns nicht austricksen oder betrügen würde, aber er war wie alle anderen Schlepper, kümmerte sich nur ums Geld. Er brachte uns zu einer Wohnung, in der wir bleiben konnten, bis es Zeit wäre loszugehen. Kein Mensch könnte jemals in dieser Wohnung wohnen […] es war so voll, als wäre die gesamte Menschheit dort, 40 Leute in jedem Zimmer, schrecklich.
Der Schlepper / Part 1
Ich versicherte mich, dass dieser Schlepper der Beste wäre, er wollte 1250$ […]
Der Schlepper brachte uns an einen sehr schlechten Ort voller Käfer und Ratten und sehr weit entfernt vom Zentrum. Er sagte, an diesem Ort wäre man sicher vor der türkischen Polizei, denn alle wollten ins Schlauchboot kommen ohne bei den türkischen Behörden registriert zu werden […].
Die Zeit war gekommen und der Schlepper beschloss, dass wir dieses schreckliche Haus verlassen sollten, um zum Fluchtpunkt zu gehen, das wäre etwa eine halbe Autostunde entfernt.
Wir alle, 60 Leute, waren in diesem winzigen Auto.
Viele Kinder waren dabei.
Wir stiegen ein und warteten dort etwa eine Stunde.
Und dann fing das Auto wie verrückt an zu rütteln und der Hinterreifen explodierte.
17. September: Griechenland
Nach einer gefährlichen Reise durch das Mittelmeer bin ich in Griechenland angekommen, danke für all die Gebete und Glückwünsche, ich liebe euch alle sehr.
18. September: Griechenland
Part 2
Der Reifen ist geplatzt, weil das Auto überladen war, also stieg der Schlepper aus und fing an uns auf türkisch anzuschreien… Dabei hat niemand im Auto ihn verstanden.
Er zwang uns Männer mitten auf dem Olivenhain auszusteigen, der voller Schlangen und Skorpione war, um den Reifen zu reparieren, und dann mussten auch die Frauen und Kinder aussteigen.
Er brauchte 2 Stunden, um den Reifen zu reparieren, von 10 bis 12 Uhr, und wir fuhren weiter, sehr verärgert über das, was uns passiert war.
Part 3
Wir setzten unseren Weg nach Dikakli in der Türkei fort, welches sich in Izmir befindet.Das ist 12 km von der griechischen Insel entfernt.
Die Reise begann um 5 Uhr. Der Schlepper bat uns, unsere handys nicht anzuschalten, nicht zu rauchen und kein Licht anzumachen, damit die türkische oder griechische Küstenwache uns nicht sehen würde.
Ich habe eine Stunde im Wald geschlafen.Ich wachte um 5 auf, weil die Männer aus meiner Gruppe das Schlauchboot aufpumpten und für die Fahrt vorbereiteten. Das Aufpumpen wäre Aufgabe des Schleppers gewesen, nicht unsere, aber die Männer wollten nur sicher ankommen, und ich auch, also machten wir das.
Part 4
Wir stiegen ins Schlauchboot ein und wir hatten einen Deal mit dem Schlepper, dass er nicht mehr als 40 Leute reinlassen würde. Es überraschte mich, mehr als 67 Menschen und eine Menge an Gepäck an Bord zu sehen.
Wir stiegen ein und vertrauten auf Gott, nicht auf den Schlepper. Die Wellen waren mittelhoch.
Als nächste Überraschung funktionierte der Motor nicht, also reparierte ihn mein Onkel, der mit uns auf der Reise war, und der Schlepper tat nichts um uns zu helfen, er schrie nur weiterhin die Leute an.
Er kam aus Almiadeen, Deir ez-Zor, Syrien. Es hat mich wirklich aufgeregt, dass er gemeinsame Sache mit dem türkischen Schlepper machte… dass er auf Kosten seiner eigenen Landsleute Geschäfte machte.
In einer BBC-Reportagewird sein Weg von der Türkei nach Griechenland dokumentiert.
19. September: Serbien
Für Ayham wurde ein Crowdfunding erstellt.
21. September: Österreich
Von Kroatien über die Grenze nach Österreich, angekommen in Wien.
Abends: Wir singen.
22. September: München!
An alle Nationen, hört euch das an:
Der Tod hängt wie ein Schatten über meinem Land,
Exil, Töten, Kidnappen und Verhungern.
Mein Herz liegt zerschmettert zwischen meinen Rippen.
Das Leiden hat den Ozean überquert.
Syrien ruft seine Kinder,
die unter den Trümmern und in den Gräbern.
Eine Blume über der Sonne
weint und schreit Allem zum Trotz
‚Kommt zurück, ihr Leute im Exil,
meine Stängel sind noch grün.‘
Syrien wartet noch immer auf dich,
Geh zurück und gieße es, du trauriger Mann,
du kannst es mit deinen Tränen gießen
aber es kann ohne dich nicht überleben.
Herzlich Willkommen in Deutschland, Aeham!
Viele Menschen haben Yarmouk bereits verlassen, jedoch gibt es noch immer zivile AktivistInnen, die sich dort für ein gerechteres und friedliches Miteinander einsetzen. Adopt a Revolution unterstützt sie hierbei – helfen auch Sie uns mit Ihrer Spende für das Komitee Yarmouk!