“Rocky Road Travel” wirbt mit Reisen nach Syrien

Es gibt keinen richtigen Urlaub im Falschen

Europäische Nischen-Agenturen nehmen Reisen nach Syrien ins Programm. Doch am Assad-Regime hat sich seit 2011 nicht viel geändert und die Zunahme an Tourist*innen stärkt seine Macht.

“Rocky Road Travel” wirbt mit Reisen nach Syrien

Nach einem Beitrag der Deutschen Welle DW haben europaweit aktuell fünf Reiseanbieter wieder Syrien-Reisen im Programm. Zwei davon haben ihren Sitz in Berlin. Als Urlaubsland hätte Syrien tatsächlich alles zu bieten, was das Reiseherz erträumt: Tolle Mittelmeerstrände, faszinierende Metropolen, historische Städte, das biblische Erbe frühchristlicher Stätten und überall Zeugnisse jahrtausendealter Kulturen. Doch Reisen nach Syrien sind ein fester Baustein der Normalisierungs-Strategie, die das Image des Regimes in Damaskus wieder salonfähig machen soll. Zudem braucht Assad Devisen. Deshalb gibt das Regime seit Oktober wieder Touristen-Visa aus. Europäische Nischen-Agenturen kommen da gerade recht und liefern die entsprechenden Reiseangebote. 

Nach einem Beitrag der syrischen Advocacy-Organisation “Syria Justice and Accountability Centre (SJAC)” von Mitte Juli 2021 war Tourismus vor Beginn der Revolution 2011 ein aufstrebender Wirtschaftszweig und trug immerhin 14% zum Bruttosozialprodukt bei. Seit einer Reihe von Jahren versucht das Regime diese Branche zu beleben. Seit 2018 ist Syrien z.B. wieder Aussteller auf der internationalen Tourismusmesse in Madrid. 

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Abenteuer Syrien: Europäische Reiseagenturen stehen in den Startlöchern

Mit “Rocky Road Travel” oder “Soviet Tours” versprechen zwei Berliner Anbieter exklusive und authentische Einblicke in das nach dem Krieg wieder auflebende Syrien. Da nur wenige Fluglinien Damaskus direkt anfliegen, startet eine Syrien-Reise stets in Beirut. Damaskus ist nur eine Autofahrt entfernt. Die Angebote reichen von Tagestrips nach Damaskus bis hin zu zehntägigen Exkursionen auf festgelegter Route. Die beworbenen Touren kosten für zehn Tage ca. 2.000.- € ohne Flug. Das Ziel dieser Reisen bewegt sich laut Veranstalter zwischen einem allgemeinen Verständnis von “Völkerverständigung” und der Unterstützung der lokalen Tourismuswirtschaft in Krisenzeiten.  

Auch wenn es verlockend zu sein scheint, sich bei einer Reise ein eigenes Bild von der Lage in Syrien zu machen – für Syrien gelten strengste Reisewarnungen. Wer sich nach Damaskus begibt, verzichtet auf jegliche konsularische Unterstützung. Denn eine deutsche Botschaft existiert in Syrien derzeit nicht. Doch unter den derzeitigen Umständen sollten Reisende auf einen Urlaub in Syrien schon aus moralischen Gründen verzichten: 

  1. Jeder Euro landet direkt beim Regime

Durch die Wirtschaftskrise und den Bankenkollaps im Libanon kommt das Regime nicht mehr an seine Devisenreserven heran. Mehrere staatliche und private Banken sind zudem durch Sanktionen vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Tourismus bringt die erwünschten Devisen ins Land. Syrien-Reisende können harte Währung aber nur innerhalb Syriens bei staatlichen Wechselstellen gegen syrische Pfund tauschen. Die Wechselkurse sind dabei so manipuliert, dass man doppelt bezahlt und umso mehr Geld beim Regime landet. Rücktausch ausgeschlossen. 

Auf YouTube werden Reise-Vlogs hunderttausendfach geklickt.
Fröhliche Influencer*innen zeigen mit perfekt inszenierten Selfies die schönsten Seiten des Landes. Diktatur, Krieg und Staatsterror scheinen nicht zu existieren.

2. Tourismus unterstützt Regime-Narrative 

Laut Regime ist der Neubeginn des Syrien-Tourismus eine Botschaft des syrischen Volkes: Der terroristische Krieg hätte die Infrastruktur zerstört, sei aber nun vorbei. Die Zeichen stehen auf Normalisierung. Die in Berlin ansässigen Unternehmen liegen voll auf dieser Linie. Nach der Agentur “Rocky Road Travel” seien neugierige Menschen bereit, sich ein eigenes Bild von Syrien zu machen, unabhängig von Schlagzeilen und Rhetorik. Der Syrien-Tourismus sei eine Chance für die zerstörte Wirtschaft und helfe dem Land in einer schwierigen Zeit. “Soviet Tours” wirbt mit dem engen Kontakt zur Bevölkerung (“Locals”), welche den Gästen ihre eigene Sicht auf den oft “missverstandenen komplexen Stellvertreterkonflikt” präsentieren. 

Die Syrien-Reisen dieser Agenturen sind ein reines Nischenangebot für Abenteuerhungrige. Lediglich wenige hundert Reisende dürften auf diese Weise ihren Weg nach Damaskus finden. Für das Regime ist das dennoch interessant. Denn laut SJAC entstand bereits vor der Pandemie eine Szene an sehr aktiven Reise-Blogger*innen mit Millionen Follower*innen. Fröhliche Influencer*innen zeigen mit perfekt inszenierten Selfies die schönsten Seiten des Landes. Diktatur, Krieg und Staatsterror scheinen nicht zu existieren. 

3. Kritische Einblicke in die Lebenssituation der Menschen vor Ort sind kaum möglich

Doch das Syrien-Bild, welches die Reise vermitteln soll, ist staatlich vorgegeben. Wer als Tourist nach Syrien reist, wird einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Journalistinnen und Journalisten sind von den Reise-Angeboten ausdrücklich ausgeschlossen. In jeder Polizeistation wird gefoltert. An Checkpoints verschwinden täglich Menschen. Die vom Regime propagierte “Normalisierung” ist in Wahrheit eine “Normalisation of Horror” wie die Advocacy-Organisation “Syrian Association for Citizens Dignity (SACD)” in einer gleichnamigen Studie über die Lebensbedingungen in Regimegebieten dokumentiert. 


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4. Syrien-Urlaub ist ein Privileg für Nicht-Syrer*innen

Für die eigene Bevölkerung kann eine Reise nach Syrien lebensgefährlich sein. Syrerinnen und Syrern, die sich nach einer Flucht zu einer Rückkehr gezwungen sehen, droht nach übereinstimmenden Berichten von Amnesty International und Human Rights Watch Haft, Folter, und die Willkür des staatlichen Unterdrückungsapparates. Das syrische Regime gibt großzügig Visa an Syrien-Reisende heraus. Die eigene Bevölkerung erpresst es aber seit Jahren bei der Ausgabe von Reisepässen um viele hundert Euro oder Dollar. Das syrische Menschenrechts-Netzwerk “Syrian Network for Human Rights” hatte bereits 2019 die mafiösen Praktiken des Regimes dokumentiert.

Kann es überhaupt einen konstruktiven Syrien-Tourismus geben?

Ganz klar: nein! Aktuell muss alles getan werden, Abenteuerreisende von einem Syrien-Trip abzubringen, die Beteiligung Syriens an Reisemessen auszuschließen und Fluglinien unter Druck zu setzen, die Flüge nach Syrien aufnehmen wollen. Syrien-Reisen lassen sich erst dann empfehlen, wenn es einen fairen politischen Friedensprozess und sichere Bedingungen für die freiwillige Rückkehr von hunderttausenden Geflüchteten gibt – und davon sind wir leider noch weit entfernt.


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