Umfrage: Nicht alle haben sie verstanden

Ein solch riesiges Echo auf unsere Umfrage unter syrischen Flüchtlingen haben wir nicht erwartet: Praktisch alle deutschen Medien berichteten – die Tagesschau sendete ein 3-minütiges Interview mit Elias Perabo, die Bild machte mit der Geschichte auf. Selbst in Großbritannien und Frankreich wurde das Thema breit aufgegriffen, darunter in The Times, Independent and Euronews. Sogar die […]

Ein solch riesiges Echo auf unsere Umfrage unter syrischen Flüchtlingen haben wir nicht erwartet: Praktisch alle deutschen Medien berichteten – die Tagesschau sendete ein 3-minütiges Interview mit Elias Perabo, die Bild machte mit der Geschichte auf. Selbst in Großbritannien und Frankreich wurde das Thema breit aufgegriffen, darunter in The Times, Independent and Euronews. Sogar die amerikanische Newsweek widmete der Umfrage einen langen Artikel. Etliche Politiker kommentierten. Bundeskanzlerin Angela Merkel argumentierte damit bei Anne Will.Merkel

Warum soviel Aufmerksamkeit? Tatsächlich war noch niemand vor uns auf die Idee gekommen, in diesem Umfang mal die Flüchtlinge selbst zu fragen, was sie denn eigentlich wollen, wünschen und wovor sie geflohen sind. Ein erstaunlicher Umstand, wenn man bedenkt, dass seit Jahrzehnten Menschen aus aller Welt hier Asyl beantragen!

Vor allem lieferten die Ergebnisse der Umfrage aber gute Schlagzeilen, genauer gesagt zwei unterschiedliche. Und wir haben mal ganz unrepräsentativ ausgewertet, wer welche wählte und das kommentieren.

Das Ergebnis „Die Syrer fliehen vor Assad (und nicht dem IS)“ wählten: die tagessschau, die Süddeutsche, Spiegel-Online, die Nordwest Zeitung, Die Welt, Zeit-Online, die Deutsche Welle, N24, der Tagesspiegel, die Times, die Newsweek, der Independent wählte das aus Unterüberschrift.

Das Ergebnis „Die meisten Syrer wollen zurück nach Syrien“ brachten N-TV, der Focus, die britische Zeitung The Local im Titel.

Beide Ergebnisse zugleich hatten Bild, dpa, Handelsblatt und Euronews in der Überschrift. Da etliche andere Medien den Text von dpa übernahmen, kommt diese Kombination insgesamt sehr häufig vor.

sueddeutscheDas ist eine sehr erfreuliche Wiedergabe der Umfrage. Zweifellos sind beide Ergebnisse wichtig. Wir fordern ein „Recht zu bleiben“, dort wo man bleiben möchte. Wenn 8% der Geflüchteten in Deutschland bleiben wollen, dann sollte ihnen das ermöglicht werden. Aber noch wichtiger ist es, sich für den Wunsch der überwiegenden Mehrheit, nach Syrien zurückzukehren, einzusetzen. Deshalb aber ist das Ergebnis, dass dies mit Assad nicht möglich ist, das entscheidende – und das haben die meisten Berichterstatter erkannt.

Bei all dem positiven Feedback, gab es aber auch Kritik.

In einem Kommentar in der Berliner Zeitung schrieb Götz Aly: „Lüge und Statistik können nahe beieinander liegen. Dafür lieferte vergangene Woche eine vielfach zitierte Umfrage unter knapp 900 syrischen Flüchtlingen ein Beispiel. Vor deutschen Massenunterkünften hatte eine Gruppe, die sich Adopt a Revolution nennt, zufällig ausgewählte Flüchtlinge befragt und als Ergebnis mitgeteilt: 69,5 Prozent der Befragten seien vor dem Assad-Regime und dessen Verbündeten geflohen. Schaut man jedoch genau auf die Daten, erkennt man schnell, dass deutlich mehr (82,2 Prozent) der Befragten angaben, sie seien vor den verschiedenen Milizen der Aufständischen geflohen.

Es gibt in Syrien keinen Zwei-Fronten-Krieg

Das scheint ein plausibles Argument, jedenfalls dann wenn man von einer falschen Grundannahme ausgeht wie Aly: „Da ich das Urmaterial nicht kenne, unterstelle ich, dass fast alle, die Mehrfachantworten gaben, jeweils zwei Bürgerkriegsparteien als Schuldige bezeichneten. Demnach hätte die Hälfte (375 Personen) je nach geografischer Herkunft die Regierungstruppen und eine oppositionelle Miliz genannt.
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Sprich: Aly vermutet, die 375 Personen hätten jeweils angegeben, verantwortlich für die Kämpfe seien „ISIS und Assad“ oder „YPG und Assad“ oder „FSA und Assad“ usw. Er geht also davon aus, dass es in Syrien einen zwei-Frontenkrieg gibt: Assad gegen den Rest. Das behauptet Herr Assad. Aber es stimmt nicht.

In unserer Umfrage konnten die Befragten wählen zwischen Assad, ISIS, Al Nusra, YPG (kurdische Volksmilizen), FSA (Freie Syrische Armee) und „Andere Rebellen“. Davon kämpft beispielweise die YPG nicht gegen das Assad-Regime und hat das auch zu keinem Zeitpunkt getan; die kurdischen Volksmilizen kämpfen gegen ISIS und zuweilen auch gegen Al Nusra. ISIS wiederum kämpft an den allermeisten Fronten ebenfalls nicht gegen das Regime, sondern gegen die FSA, Al Nusra und andere – und gegen die YPG. In einigen Gebieten kämpfen auch FSA oder andere Brigaden gegen Al Nusra.

41,7% sehen Assad als allein verantwortlich

Wir haben uns aufgrund der Kritik unser Zahlenmaterial noch einmal angeschaut. 41,7% der Befragten haben “nur Assad” als “verantwortlichen für die militärischen Auseinandersetzungen“ angegeben, lediglich 5,4% “nur ISIS”. Alle anderen Rebellengruppen erhielten noch weniger alleinige Nennungen. Wenn man die Befragten, die “Ich weiß nicht” angegeben haben, herausrechnet, haben sogar 50% nur Assad angegeben.

30% nannten Assad und eine oder mehrere der Milizen als Verantwortliche für die Kämpfe. Bleiben also 30%, die nur einer oder mehrerer Milizen die Schuld gaben – z.B. Menschen die in Regionen leben, wo PYD und ISIS oder ISIS und Al Nusra gegeneinander kämpfen. Die Frage haben wir übrigens nur den 799 Personen gestellt, die auf die Frage “Waren militärische Kämpfe eine Bedrohung Ihrer persönlichen Sicherheit“ mit Ja geantwortet haben.

Damit lässt sich ganz eindeutig sagen, dass Assad für die hier Befragten Hauptfluchtursache war. Wie das für die Binnenflüchtlinge in Syrien selber ist und für Flüchtlinge im Libanon, Jordanien, Irak und der Türkei, können wir zweifellos nicht sagen.

Wir haben darüber hinaus noch weitere Fragen gestellt, deren Antworten alle zeigen, dass die meisten Befragten Assad als Hauptproblem sehen. So geben 58% an, mehr Menschen könnten in Syrien bleiben, wenn Europa eine Flugverbotszone einrichten würde. Von einer solchen wäre aber bis zum eben erst erfolgten Eintritt Russlands in den Krieg, allein Assad betroffen gewesen: Alle anderen haben keine Luftwaffe (und wer etwas gegen die Luftschläge gegen ISIS hat, wird wohl kaum an Europa appellieren). Eine weitere Frage nach der Verantwortung für Entführungen, die wir nicht vorgestellt haben, ergibt ein ähnliches Bild.

Eine weitere Kritik der Krautreporter weist daraufhin, dass unsere Umfrage nicht repräsentativ sei. Das haben wir deutlich herausgestellt. Es gibt aber keineswegs wie der Autor impliziert nur gute repräsentative Umfragen und schlechte unrepräsentative. Um das Label „repräsentativ“ zu verwenden, muss man eine bestimmte Methode verwenden. Man kann Variablen wie Alter, Geschlecht, Einkommen verwenden, aber auch nach dem Zufallsprinzip jeden 20sten in einer Gruppe befragen. Das funktioniert, wenn man eindeutige Daten hat, z.B. aus dem Einwohnermelderegister oder eine Gruppe, die man garantiert antrifft: Wenn man WählerInnen befragt, stellt man sich von Öffnung bis Schließung vor repräsentativ ausgewählte Wahlbüros. Eine solche Vorgehensweise ist bei Flüchtlingen nicht möglich.

Darum haben wir gemeinsam mit dem Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) eine Methode entwickelt, die dem am nächsten kommt. Unsere InterviewerInnen standen von morgens bis abends vor den ausgewählten Flüchtlingsunterkünften und in Gemeinschafträumen und haben jeden Syrer und jede Syrerin befragt, die dort anzutreffen waren. Vorhersehbar war damit, dass die Quote der Frauen niedriger war als gewünscht, da sie die Unterkunft seltener verlassen. Nun ist die Frage: Glaubt man, dass damit das inhaltliche Ergebnis verfälscht wurde? Sprich: Ist es wahrscheinlich oder auch nur möglich, dass gerade diejenigen, die vor ISIS geflohen sind, deutlich seltener ihr Zimmer verlassen?

Auf der Pressekonferenz wurden all solche und andere Fragen erörtert. Die deutschen Medien haben keineswegs “unkritisch” unsere Daten übernommen.

Um aber auch einer breiteren Öffentlichkeit unsere Ergebnisse so detailliert wie möglich zur Verfügung zu stellen – und darin auch Korrelationen zu berechnen und zu deuten – wollen wir die von uns erhobenen Daten demnächst als Studie herausgeben. Doch dafür brauchen wir etwas Geld.

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