In der letzten Woche wurde der jährlich erscheinende Bericht „Global Trends Report: World at War“ des UN High Commissioner for Refugees (UNHCR), Antonio Guterres, für das Jahr 2014 veröffentlicht. Er dokumentiert, dass im Jahre 2014 7,6 Millionen Binnenvertriebene (Internally Displaced People) in Syrien und 3,88 Millionen syrische Flüchtlinge erfasst wurden – damit führt Syrien in beiden Kategorien die weltweite Statistik an. Insgesamt konnten mehr als zwei Millionen Menschen Zuflucht in der Türkei finden – ein großer Teil davon in insgesamt 24 Flüchtlingscamps entlang der syrisch-türkischen Grenze, wie rudaw berichtet. Die Hilfen des türkischen Staates für syrische Flüchtlinge belaufen sich dem Bericht des UNHCR zufolge auf mehr als sechs Milliarden US Dollar. Am 18.06.2015 warnte Antonio Guterres allerdings: „UN-Institutionen, Nichtregierungsorganisationen, das Rote Kreuz – unsere Kapazitäten und Ressourcen sind erschöpft und wir können einem so dramatischen Anstieg humanitärer Bedürftigkeit nicht länger gerecht werden.“
Ebenfalls am 18.06.2015 wurde ein Brief von 71 UN-Mitgliedsstaaten an den UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon versandt, in dem u.a. die Botschafter Frankreichs, Großbritanniens, der Niederlande und der Vereinigten Staaten von Amerika ihre „Empörung“ über die ununterbrochene Gewalt gegen die Zivilbevölkerung in Syrien, insbesondere gegen „den systematischen Gebrauch von Fassbomben“, äußern – so das Internet-Nachrichtenportal rudaw. In seinem fünften Jahr habe der Krieg in Syrien im vergangenen Mai der bisher höchsten Zahl an Opfern das Leben gekostet, wobei besonders die dicht besiedelten Gebiete in und um Aleppo Ziel weitreichender Bombardierungen durch Helikopter der syrischen Luftwaffe gewesen seien, so die Verfasser_Innen. Dies widerspreche einer Resolution des UN Sicherheitsrats aus dem Jahre 2014, dass alle Kriegsparteien Angriffe gegen die Zivilbevölkerung und wahlloser Waffengebrauch in bevölkerungsreichen Regionen einzustellen sind.
Wie im letzten Pressebericht nachzulesen ist, haben viele Syrer_Innen im schulfähigen Alter nicht die Möglichkeit, den Schulbesuch fortzusetzen. Hadia Mansour beschäftigt sich in ihrem Artikel für The Damascus Bureau hingegen mit dem aktuellen Zustand der verschiedenen Bildungssysteme in Syrien und schildert neuere Entwicklungen am Beispiel der Stadt Kafr Nabel. Schüler_Innen, die Zugang zu Schulbildung haben, wechseln je nach Schulfach zwischen verschiedenen Schulformen, die u.a. von der islamistischen Gruppierung Jabhat al-Nusra, von den verschiedenen Vertretern der Nationalen Koalition der Syrischen Oppositions- und Revolutionskräften oder von den Schulen des Assad-Regimes angeboten werden. In der Region Idlib sind all jene Schulformen vorzufinden. Mansour zitiert in ihrem Artikel Sheikh Amer al-Ahmad, den Leiter des Sharia Institute in der Stadt Kfar Nabel, welches nach der Eroberung Kfar Nabels durch Rebellengruppen gegründet wurde: Gemäß al-Ahmad orientiert sich der Lehrplan seiner Schule an der saudi-arabischen Vorlage, welche von der Arabischen Liga überprüft und zugelassen worden sei. Die Schulen der Nationalen Koalition hingegen haben einen Lehrplan, der den Vorgaben der Schulen des Assad-Regimes weitestgehend entspreche, ausgenommen des Faches „national education“, so Mansour. Des Weiteren schildert ein Lehrer einer der Schulen der Nationalen Koalition, dass die syrische Regierung die Entlohnung der Lehrkräfte in der Gegend um Kfar Nabel eingestellt habe. Lehrer_Innen seien gezwungen, Berichte an die Sicherheitsbehörden oder Staatsinstitutionen des Assad-Regimes weiterzugeben – ein Behördengang, der jedoch für die Lehrer_Innen die Möglichkeit berge, festgenommen zu werden oder gar zu Tode zu kommen. Daher, so der Lehrer, würde die Zahl der Lehrkräfte an den Schulen der Nationalen Koalition stetig zunehmen. Ussama al-Allush, Schüler in Kfar Nabel, befürchtet, dass die Absolvent_Innen der Schulen der Nationalen Koalition mit ihren Abschlüssen keinen Zugang zu Hochschulen erhalten werden. Faten al-Aswad, Lehrer in der Region Idlib, fasst die Situation zusammen: „Wenn die politische und militärische Situation sich nicht bald stabilisiert, wird es im Bildungsbereich eine Krise von epischen Ausmaßen geben… für [ganze] zukünftige Generationen.“
Das kurdische Nachrichtenportal ARA News berichtet von der Rückkehr von 1000 Vertriebenen aus dem türkischen Exil in die Stadt Tel Abyad (Gire Spi) in der nordostsyrischen Provinz Raqqa. Eine Koalition aus kurdischen Kräften, einer Luftwaffe unter US-amerikanischer Führung und Kämpfern der Freien Syrischen Armee (FSA) hatte Kräfte des Islamischen Staates aus der Stadt Tel Abyad vertrieben und somit die Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht. Die Koalitionskräfte befreien nun die Gegend von Minen und explosivem Material, so ARA News.
Das Carnegie Endowment for International Peace nimmt die Einnahme Palmyras durch den IS als Anlass für eine Analyse der Gasversorgung in Syrien. Die landesweite jährliche Fördermenge in Syrien sei im Zeitraum zwischen dem Jahr 2011 und den ersten vier Monaten des Jahres 2015 von 8.7 auf 3,65 Milliarden Kubikmeter gesunken. Mehr als 90% des syrischen Erdgases seien den Quellen der syrischen Assad-Regierung gemäß im Jahre 2013 für die Stromerzeugung genutzt worden. Während die Regierung in Damaskus durch die Einnahme der Gasfelder in und um Palmyra durch den IS ca. 45% ihrer Gasressourcen verloren habe, befinde sich der Großteil der Maschinerien zur Stromerzeugung und zur Weiterverarbeitung des Gases in westsyrischen Gebieten, die unter der Kontrolle der Regierungskräfte sind. Alleine die Gasfelder Arak, Dubayat, Hail, Hayan, Jihar, al-Mahr, Najib, Sukhneh, und Abi Rabah – alle nun unter der Kontrolle des IS – hätten zuvor die Hälfte von Syriens Produktion an natürlichem Rohgas und Flüssiggas ausgemacht. Darüber hinaus, so der Bericht des Think-Tanks, kontrolliert der IS die Anlage „Conoco“ im Süden der Stadt Deir Ezzor, welche trotz einer Vielzahl US-amerikanischer Luftangriffe im Jahr 2014 weiter funktionsfähig sei.