Vor der Wahl: Deutsche Parteien zu Chemiewaffenangriff, Intervention und Flüchtlingsfrage

Eine klare Position zu Syrien scheint den verschiedenen deutschen Fraktionen, zumal nach dem mutmaßlichen Einsatz von Giftgas vor drei Wochen, schwer zu fallen. Anlässlich der Bundestagswahl schauen wir uns Parteiprogramme und Äußerungen von PolitikerInnen der Parteien an und versuchen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten bzgl. Flüchtlingspolitik, Militärschlag und Handlungsoptionen im Syrienkonflikt auszumachen. Dabei schweigen sich die Parteien […]

Eine klare Position zu Syrien scheint den verschiedenen deutschen Fraktionen, zumal nach dem mutmaßlichen Einsatz von Giftgas vor drei Wochen, schwer zu fallen. Anlässlich der Bundestagswahl schauen wir uns Parteiprogramme und Äußerungen von PolitikerInnen der Parteien an und versuchen, Unterschiede und Gemeinsamkeiten bzgl. Flüchtlingspolitik, Militärschlag und Handlungsoptionen im Syrienkonflikt auszumachen. Dabei schweigen sich die Parteien zu Syrien weitgehend aus. Im Wahlprogramm der CDU/CSU taucht das Stichwort Syrien überhaupt nicht auf, wie auch bei der LINKEN. SPD und FDP erwähnen das Land je einmal, bei Bündnis 90/Die Grünen wird es immerhin vier Mal erwähnt – drei Mal davon im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen.

CDU/CSU und FDP

Merkel erntete Irritationen, als sie vor zwei Wochen den G20-Gipfel in St. Petersburg verließ, ohne eine Erklärung der USA unterschrieben zu haben, in der u. a. Assads Regime für den Chemiewaffenangriff verantwortlich gemacht wird – nach ihrer Landung in Berlin stand sie mit der verweigerten Unterschrift, zusammen mit Russland und China, alleine da. Dass sie dann am selben Tag doch noch unterschrieb, begründete sie damit, sie habe auch kleinere EU-Staaten miteinbeziehen wollen.

In der „Bild am Sonntag“ schloss Merkel eine Beteiligung an einem Angriff erneut aus. Es müsse aber sichergestellt werden, dass sich der Einsatz von Chemiewaffen nicht wiederhole und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden: „Eine friedliche Zukunft Syriens aber kann nur in einem politischen Prozess erreicht werden.“ Insgesamt hält man es wohl nicht für klug, Syrien in der letzten heißen Wahlkampfphase auf die Agenda zu hieven.

Innerhalb des Koalitionsbündnisses gibt es jedoch partielle Uneinigkeiten:
So forderte der stellvertretende CDU-Chef Laschet von Außenminister Westerwelle – allerdings schon vor dem mutmaßlichen Giftgasangriff – eine deutlich kritischere Haltung gegenüber den syrischen Rebellen. Bei ihnen handele es sich auch um Islamisten, die Christen bekämpfen. „Ich wünsche mir von Außenminister Westerwelle, dass er zu den syrischen Rebellen eine deutlich kritischere Haltung einnimmt als bisher“, sagte Armin Laschet der „Welt“ vom Montag. Die syrischen Rebellen würden beispielsweise christliche Bischöfe entführen. „Warum schweigt ausgerechnet unser Auswärtiges Amt dazu?“

Die FDP geht in ihrem Parteiprogramm nicht direkt auf den Syrienkonflikt ein, in Bezug auf den Arabischen Frühling beteuert sie, die „demokratischen Kräfte in den Reformstaaten des Arabischen Frühlings durch Angebote im Bereich Rechtsstaatsaufbau, Marktzugang, Bildung und Arbeit zu unterstützen“. China und Russland, zwei Staaten, die mit ihrem Veto-Recht bislang etwa jegliche UN-Resolution blockierten, ist sie grundsätzlich weiterhin wohlwollend gesinnt. Die „Kooperation mit Russland“ sei heute breit und vielfältig“, auch wenn man “Einschränkungen von Bürgerrechten durch Regierung oder Justiz in Russland mit Sorge“ betrachte. Das dürfe aber „nicht im Widerspruch zu einem offenen und mitunter auch kritischen Dialog“ stehen.

Die Regierungskoalition hatte die Aufnahme von 5.000 syrischen Flüchtlingen beschlossen und schloss eine Erhöhung des Kontingents aus, wie Regierungssprecher Steffen Seibert verkündete. Berlin werbe aber bei den europäischen Partnerländern dafür, die Anstrengungen zur Hilfe für Bürgerkriegsflüchtlinge zu verstärken. Innenminister Hans-Peter Friedrich verlangt ebenfalls eine europäische Lösung.

SPD

Auch der Kanzlerkandidat der SPD befindet sich in einer Zwickmühle. Einerseits schlägt Steinbrück einen schärferen Ton in der Syrien-Frage an, so verurteilte er  unlängst den Chemiewaffenangriff als „Kriegsverbrechen“ und schwerste Verletzung des Völkerrechts in diesem Jahrhundert. Auf der anderen Seite lehnt Steinbrück eine einseitige Militäraktion der USA ab und forderte stattdessen, Russland und China in eine Konfliktlösung mit einzubinden. Man müsse Russland dazu bewegen, seine Waffenlieferungen an das syrische Regime einzustellen.

Aus seiner Ratlosigkeit macht er immerhin keinen Hehl: „Ich kann mir im Moment keine Situation vorstellen, die das Leid der Menschen kurzfristig ändert“, sagte er in einem Sonntagsmatinee der Zeit. Im Gegensatz zum Irakkrieg, in dem Schröder mit einem klaren „Nein“ zu einem möglichem Militäreinsatz im Irak entscheidende Wählerstimmen gewinnen konnte, ist die Lage heute eine andere: Es scheint eine andere Indizienlage vorzuliegen und in den USA sitzt nicht mehr Bush, sondern Obama im Weißen Haus.

Klarer artikuliert sich die SPD in der Flüchtlingsfrage:
„Es ist ein Gebot der Menschlichkeit, diese Menschen in Deutschland aufzunehmen“, erklärte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Niedersachsens SPD-Innenminister Boris Pistorius äußerte sich im NDR ähnlich: „Ich glaube, wir werden mit 5000 Flüchtlingen in Deutschland nicht auskommen. Wir werden mehr machen müssen – auch in den anderen europäischen Ländern.“

Die Linke

Die Linke bezieht in ihrem Bundestagswahlkampf, dezidiert auch in Bezug auf Syrien, eine pazifistische Position. Mit Slogans wie „Bonbons statt Bomben“ und „Waffenexporte verbieten – Auslandseinsätze beenden“ versucht sie sich als einzige klare deutsche Friedenspartei zu behaupten. Sarah Wagenknecht verurteilte in einem Interview zwar die „barbarischen Angriffe“, ihrer Analyse zufolge stellen die Rebellen aber keine Alternative dar: „Assad ist sicherlich ein brutaler Autokrat, aber wer in der bewaffneten Opposition zurzeit das Sagen hat, sind zu weiten Teilen Al-Kaida-Milizen. Ich möchte nicht an deren Seite in einen Krieg einsteigen.“

In der Flüchtlingsfrage übt die Linke Kritik an dem begrenzten Kontingent der aufzunehmenden Flüchtlinge: Die innenpolitische Sprecherin der Linken, Ulla Jelpke, verlangte hierin mehr Engagement von der Bundesregierung.

B90/Die Grünen

Auch der Vize-Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Josef Winkler, forderte die Aufnahme weiterer Flüchtlinge. Die bisherige Zusage könnte „angesichts des Ausmaßes der humanitären Katastrophe in Syrien und den Anrainerstaaten nur ein Anfang gewesen sein“. Auch in ihrem Wahlprogramm fordern die Grünen u. a. „ mehr Flüchtlinge aufzunehmen, ihnen die Einreise nach Deutschland zu erleichtern und hier lebenden syrischen Flüchtlingen einen sicheren Aufenthaltsstatus zu geben“.

Ansonsten hält sich auch die Grünen-Fraktion mit konkreten Forderungen und Handlungsoptionen eher bedeckt: Grünen-Chefin Claudia Roth forderte zwar – hier in Bezug auf Merkels Unterschriftenverzögerung – „endlich und ganz klar eine Antwort der internationalen Staatengemeinschaft, aber […] eine gemeinsame Antwort“. Dabei sollte es etwa um Verhandlungen, Sanktionen und Flüchtlingshilfe gehen.

Einen Militärschlag betrachtet man als das allerletzte Mittel, und das auch nur nach einer klaren Beweislage zum Giftgaseinsatz und mit einem klaren UN-Mandat. Hierin sind sich Fundis und Realos in allen Parteiflügeln einig. Auf der Grünen-Homepage erklärt Roth:„ Syrien braucht keine neuen Bomben, keine weiteren Toten, sondern eine politisch-humanitäre Offensive.“

Als einzige Partei erwähnen die Grünen in ihrem Wahlprogramm eine Stärkung der zivilen Strukturen in Syrien selbst und fordern humanitäre Hilfe auch für Binnenflüchtlinge.

Fazit

Grundsätzlich ist fraglich, ob das Thema Syrien – und auch die Option eines militärischen Eingreifens – der Opposition Wählerstimmen einbringen kann. Zunächst sind sich die Parteien in ihren Positionen zu ähnlich, darüber hinaus gibt es keine eindeutige Haltung in der Bevölkerung zur Syrien-Politik, abseits von einer traditionellen Skepsis vor einer deutschen Militärbeteiligung. Hierin unterscheidet sich die Situation Merkels von der Schröders im Irakkrieg. „Als Wahlkampfmunition eignet sich das nicht so richtig,“ konstatiert deshalb Josef Janning von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik in einem Gepräch mit der Deutschen Welle. „Die Regierung und die großen Oppositionsparteien sind sich eigentlich in der deutschen Haltung ziemlich einig.“ Er glaubt deshalb nicht, dass es SPD und Grünen gelingt, gegen Merkel in Sachen Syrien zu punkten.

Bisher hat sich keine der Parteien für einen Militärschlag ausgesprochen und insgesamt scheint Ratlosigkeit vorzuherrschen. Merkel versucht, das Thema aus dem Wahlkampf herauszuhalten und FDP und CDU/CSU fordern insgesamt „abzuwarten“. Steinbrück gab unlängst bekannt, ihm falle zu Syrien nichts ein, die Grünen verurteilen zwar, zeigen aber keine klaren Handlungsoptionen auf und die Linke versucht sich, als Friedenspartei zu profilieren. Einzig in Bezug auf die Flüchtlingsfrage sind sich die hier angeführten Parteien der Opposition einig: Sie fordern die Erweiterung der Anzahl aufzunehmenden syrischen Flüchtlinge, während sich die Regierungskoalition auf die momentan anlaufende Aufnahme von 5.000 Flüchtlingen beschränken möchte.

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