Assad überwacht persönlich den wahllosen Beschuss von Zivilist*innen in Vororten von Idlib.

Was heißt die Türkei-Offensive für Idlib?

Jeden Tag fallen in Idlib Bomben. Besonders die südlichen Gebiete sind russischen Luftangriffen und intensivem Artillerie-Beschuss ausgesetzt. Damit will sich Assad nicht mehr zufrieden geben – er plant die finale Offensive. Unsere Partner*innen in der Region sehen dies im Zusammenhang mit der türkischen Offensive im Nordosten.

Assad überwacht persönlich den wahllosen Beschuss von Zivilist*innen in Vororten von Idlib.

Während weltweit die öffentliche Aufmerksamkeit auf Nordost-Syrien gerichtet ist, wo sich Putin und Erdogan zu Ungunsten der kurdischen Selbstverwaltung mittlerweile auf einen Deal verständigten, werden Zivilist*innen in der Provinz Idlib weiterhin von Assad & Putins Streitkräften angegriffen. Seit April 2019 wird Idlib massiv aus der Luft und am Boden attackiert, über 1.000 ZivilistInnen starben, weit über 150.000 wurden vertrieben. Die Bodenoffensive des Regimes rang mit russischer Luftunterstützung den oppositionellen Milizen den südlichsten Teil ihres Gebietes ab, kam aber dann weitgehend zum Stillstand.

Der neue Russland-Türkei-Deal könnte das jetzt ändern. Dafür spricht unter anderem, dass Syriens Machthaber Bashar Al-Assad am Dienstag erstmals seit 2011 seine Streitkräfte in Idlib besuchte. Dort betonte er, dass die Offensive in Idlib die Voraussetzung sei, um das „Terrorismusproblem“ in Syrien abschließend zu lösen. Die finale Offensive könnte jederzeit starten.

Unser Partner Raed Alrazouk von der Zeitung Zaitoun berichtet uns aus Idlib:

Gerade besteht die reale Gefahr, dass das syrische Regime die Gegend einnimmt und die Menschen in die kurdischen Gebiete vertrieben bzw. umgesiedelt werden. Die Konsequenzen für alle Betroffenen wären entsetzlich, vor allem auch für die Kurd*innen, die aus ihren Städten und Dörfern vertrieben werden. Ein Teil der Freien Syrischen Armee ist tatsächlich zum Lakai der Türkei geworden und kämpft jetzt gegen die Kurden. Es ist für uns hart zu sehen, dass die FSA (Freie Syrische Armee) nun nur noch in diesem Licht gesehen wird.

Die Wahrscheinlichkeit des Einmarschs und der Vertreibung der Menschen aus Idlib ist mit der türkischen Offensive größer geworden. Denn dadurch entsteht ja ein Gebiet, in das vertrieben werden kann. Die Türkei hätte dann auch ihr ‚demografisches Problem‘ gelöst und das Regime hätte sein Idlib-Problem vom Tisch. Ob im Nordwesten oder Nordosten – kurdische und arabische Zivilist*innen sind die Verlierer*innen – sie werden vertrieben und zerstreut.

Meine Vermutung ist, dass die Vertreibung aus Idlib statttfinden wird, sobald die Türkei die Gebiete im Norden kontrolliert. Dieses Szenario macht uns große Angst. Auch die HTS (Anm. d.R.: die dschihadistische Miliz, die große Teile Idlibs kontrolliert) weiß, dass die Idlib-Offensive kommen wird. Bis dahin bleibt HTS hier und wird dann als eine Art Unterhändler für die Übernahme der Region durch Russland und das Regime agieren.

Das alles liegt außerhalb des Einflusses der Menschen in Syrien. Wir sind zu Schach-Figuren in einem internationalen Spiel geworden.“