»Wir kämpfen ums Überleben«

Seit 2013 ist die Region Ost-Ghouta belagert. In den östlichen Vororten von Damaskus leben rund 400.000 Menschen. Während der letzten Monate hat sich die Versorgungslage weiter verschärft. Die Lehrerin Sanaa berichtet.

+++ Dieser Artikel stammt aus unserer neuen Zeitung +++

Der Alltag hier ist sehr beschwerlich geworden. Die Wege nach Ost-Ghouta hinein sind verschlossen, die Lebensmittel reichen nicht für alle Menschen. Wenn etwas ankommt, dann nur in kleinen Mengen. Die werden dann zu sehr hohen Preisen verkauft – das trifft die Armen hart.

Auch unsere Familie kann sich viele Grundnahrungsmittel kaum noch leisten. Jeder einzelne von uns geht arbeiten, um genug Nahrungsmittel für alle zusammenzubekommen. Doch was wir an Vorräten haben, wird im nächsten Monat höchstens für eine einfache Mahlzeit pro Tag reichen. Wie wir danach weitermachen sollen, wissen wir nicht. Die Kinder leiden an Kalziummangel und Anämie, sie entwickeln sich nicht so, wie sie sollten. Die Kleinste fängt einfach nicht an zu laufen. Holz, das wir zum Heizen und Kochen brauchen, ist bereits sehr teuer. Auf das Heizen werden wir wohl bald verzichten müssen.

Die Schüler klagen über Bauch- und Kopfschmerzen

Die Auswirkungen der Belagerung erlebe ich auch Tag für Tag bei meiner Arbeit als Lehrerin. Im Unterricht kommen viele Kinder nicht mit, aber nicht weil sie dumm wären, sondern weil sie wegen des Hungers Bauch- und Kopfschmerzen haben. Sie bitten häufig darum, das Pausenessen vorzeitig zu bekommen, damit sie dem Unterricht folgen können. Ich selbst musste den Unterricht in letzter Zeit schon zweimal abbrechen, weil ich Angst hatte, in Ohnmacht zu fallen.

Bei den Familien, die gar nichts haben, gehen die Kinder nicht mehr zur Schule. Sie laufen mit ihren Müttern auf den Straßen herum und suchen nach Lebensmitteln – oft essen sie verschimmeltes Gemüse vom Müll. Manche Kinder versuchen auch zu stehlen. Wer kann es ihnen übelnehmen? Es gibt ein paar humanitäre Organisationen, die versuchen, diesen sehr armen Familien zu helfen, aber auch sie können nur wenige Lebensmittel verteilen, weil es einfach kaum etwas gibt. Auch wir, denen es noch etwas besser geht, können nicht helfen, weil wir selbst ums Überleben kämpfen.

Wir versuchen, im Moment zu leben

Seit sechs Jahren sind wir nun täglich vom Tod bedroht, sei es durch Verhaftung, Bombardierungen oder Hunger. Wir versuchen, nicht über die Zukunft nachzudenken, sondern im Moment zu leben. Wir versuchen, zu lachen, unserer Arbeit nachzugehen, und wenn es wieder einmal Bomben regnet, dann verstecken wir uns in unseren Häusern und Kellern. Manchmal überkommen mich tiefe Traurigkeit, Verzweiflung und depressive Gedanken.

Aber ich mache weiter für die Kinder, die nun mal hier leben und keine andere Wahl haben. Für sie und die Gesellschaft versuche ich sinnvolle Projekte anzustoßen. Und ich werde damit nicht aufhören, solange ich noch am Leben bin.

11,9 Prozent der Kinder in Ost-Ghouta leiden laut UNICEF an akuter Mangelernährung. Wegen der verschärften Versorgungslage haben wir mit unseren Partnern von den Schulen in Erbin eine Schulspeisung eingeführt.

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