Wie in vielen Städten Syriens begann alles zivilgesellschaftliche Engagement mit dem Aufstand von 2011: „Anfangs organisierten wir Proteste, Streiks und zivilen Ungehorsam und berichteten darüber. Aber dann sind neue Aufgaben entstanden“, sagt Mohammed, einer der Gründer des Zivilen Zentrums Atareb. Unter anderem aufgrund der heftigen Bombardierungen, die das Leben in Atareb bis heute prägen.
»Al-Atareb ist eine Kleinstadt. Der Großteil der Wohnhäuser sind hier recht einfach gebaut. Die höchsten Gebäude der Stadt haben zwei oder drei Stockwerke. Wenn also jetzt bei den russischen Luftangriffen ein oder zwei Stockwerke zerbombt werden, dann ist schon das ganze Gebäude am Boden. Bombenschutzkeller, Bunker für Zivilisten oder andere Orte, wo sie sich verstecken könnten, gibt es keine. Um den Bombenalarm hatte sich bei uns immer der zivile Luftschutz gekümmert. Doch der zivile Luftschutz von al-Atareb war während der letzten zwei Monate einer großen Angriffswelle ausgesetzt seitens der russischen Luftwaffe, was den Tod von sechs ihrer Mitglieder und die komplette Zerstörung ihrer Zentrale zur Folge hatte. Der Großteil der Fahrzeuge des zivilen Luftschutzes sind defekt, und die Mitarbeiter sitzen unter Olivenbäumen. Also, kein Bombenwarnsystem, keine Luftschutzkeller, gar nichts.«
Die AktivistInnen un Atareb können die Bomben nicht stoppen, versuchen aber nach Kräften, die Folgen des Krieges und damit Fluchtursachen zu lindern. „Beispielsweise haben wir hier diverse Kampagnen organisiert. Eine hatte den Slogan „Kommt zurück und rettet uns!“ und appellierte an Ärzte, die die Stadt verlassen hatten“, sagt Mohammed. Eine andere Kampagne des Zentrums informierte die Zivilbevölkerung wie sie sich vor den Folgen von Phosphorbomben schützen kann. Die Informationen streuen sie in ihren Netzwerken, die sie dann an FreundInnen und NachbarInnen weitergeben.
Kampagnen gegen Dschihadisten und Waffen in der Stadt
Zum Terror des Regimes und seiner Verbündeten kam in Atareb der Terror dschihadistischer Milizen hinzu. „Die Bevölkerung hat in Atareb zuerst mit voller Kraft gegen das Regime rebelliert und die Fahne der Revolution gehisst. Als dann der IS und später die Kämpfer der al-Nusra-Front eindrangen und uns die neu gehisste Flagge genauso wie alle anderen Aktivitäten verbieten wollten, denen wir AktivistInnen nun einmal so nachgehen, konnte die Bevölkerung von Atareb das nicht hinnehmen“, sagt Mohammed.
Irgendwann sei es täglich zu Protesten, zu zivilem Ungehorsam bis hin zu Ausschreitungen gekommen, bis sich die dschihadistische al-Nusra-Miliz in ein Quartier vier Kilometer außerhalb der Stadt zurückzog, erzählt Mohammed. Ein Jahr zuvor hatten die Menschen von Atareb mit Hilfe lokaler Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) schon Kämpfer des IS aus der Stadt gejagt. Immer wieder geht die Bevölkerung gegen die Extremisten auf die Straße.
»Die Menschen fordern Freiheit und Würde, dafür sind sie auf die Straße gegangen. Da kann nicht einfach nach Jahren irgendeine Gruppe antanzen, die Freiheiten massiv einschränken und versuchen, dir die Würde zu nehmen.«
Die Ziele des kräftigen Mannes mit der Glatze und dem breiten Grinsen, der vor der Revolution Bauingenieurswesen studiert hat, sind angesichts der Dominanz Bewaffneter Gruppen in Syrien ziemlich ehrgeizig: „Wir wollen, dass keine militärische Fraktion die Stadt kontrolliert. Wir haben unseren Lokalrat und die Freie Polizei. Da brauchen wir keine Milizen, die mit Waffen regieren. Die Bewaffneten haben die Aufgabe, die Gegend von den Assad-Truppen zu befreien und nicht, das befreite Gebiet zu beherrschen“, sagt Mohammed.
Erst kürzlich haben er und andere AktivistInnen eine Kampagne ins Leben gerufen, die die Kämpfer aller Bewaffneter Fraktionen aufruft, ihre Waffen nicht mit in die Stadt nehmen. Mit Plakaten und Flyern versuchen sie den Kämpfern klar zu machen, dass Waffen auf den öffentlichen Plätzen der Stadt nicht willkommen sind.
Generell geht es Mohammed und seinen Mitstreitern, die ursprünglichen Ziele der Revolution gegen das Assad-Regime zu verwirklichen: „Wir wollen eine pluralistische Gesellschaft, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und Freiheit“, sagt er. „Dafür müssen wir den BürgerInnen eine aktive Rolle in der Gesellschaft einräumen, sonst funktioniert Demokratie nicht.“
In ihrem Zivilen Zentrum wollen sie dafür die jungen Leute zusammenbringen, „die noch außerhalb der Schubladen des Krieges denken können.“ Sie wollen gemeinsam die Zivilgesellschaft stärken und damit auch verhindern, dass extremistische Kräfte die Revolution kapern „Das läuft alles in unserem Zentrum zusammen. Dort können wir inmitten des Kriegs unsere Vision vom friedlichen Freiheitskampf weiter vorantreiben.“
Zentren der Zivilgesellschaft vernetzen zivile Initiativen, um ihre Kräfte zu bündeln, fördern den Erfahrungsaustausch der Gruppen untereinander und unterstützen die Bevölkerung bei der Selbsthilfe. So schaffen sie vor Ort Strukturen, mit deren Hilfe sich die Menschen mit friedlichen Mitteln gegen Diktatur und Dschihadismus zur Wehr setzen.
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