In Daraa türmte sich so viel Müll auf den Straßen, dass die Gesundheit der BürgerInnen und Bürger unter den unhygienischen Verhältnissen litt. „Es gab sogar Fälle von Typhus“, sagt Mohammed Fares, der Geschäftsführer des Zivilen Zentrums ins Dara. Den Müll wegzuschaffen wäre eigentlich eine Aufgabe der Stadtverwaltung, doch der fehlt es an Ressourcen.
„Gemeinsam mit dem lokalen Verwaltungsrat haben wir ein Projekt für mehr Sauberkeit umgesetzt“, erklärt Mohammed. Das Zivile Zentrum spannte die BürgerInnen unterschiedlicher Herkunft zum Müllsammeln ein – selbst die gewählten Mitglieder der Stadtverwaltung machten mit. „Der Müll geht alle an“, sagt Fares. Dabei geht es ihm aber nicht allein um den Müll. Er will den BürgerInnen vermitteln, dass es sich lohnt, kollektive Probleme kollektiv anzugehen. Zugleich verfolgte die Aktion das Ziel, den oft überforderten, schlecht ausgestatteten lokalen Rat dazu zu bringen, seine Arbeit zu machen, indem sie vorführt: „Seht her, es geht doch.“
Verbindung zwischen BürgerInnen, Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft
„Wir wollen eine Verbindung sein zwischen der Bevölkerung und den neuen lokalen Autoritäten, etwa den lokalen Räten, die in den Oppositionsgebieten für die administrative Verwaltung zuständig sind. Denn wegen der angespannten Lage können auch sie nicht all das schaffen, was von ihnen erwartet wird.“
Nach Fares geht es bei derartigen Aufgaben aber auch darum, verlorenes Vertrauen zwischen Bevölkerung und Zivilgesellschaft wiederherzustellen: Das Wort „Aktivist“ sei zwischenzeitlich ein Schimpfwort geworden, sagt Fares, „zum Synonym für Leute, die immer nur gegen alles sind, aber nichts umsetzen“. In den Jahren der militärischen Eskalation hat sich die Situation der Menschen in Daraa deutlich verschlechtert, was zu einer Vertrauenskrise zwischen Bevölkerung und zivilen Organisationen geführt habe. „Nur wenn NGOs und Initiativen etwas zur Verbesserung der Lage der Menschen beitragen, werden sie anerkannt.“
Kräfte der Zivilgesellschaft bündeln
Das zentrale Ziel des „Sila Centers“ – Sila bedeutet so viel wie „Verbindung“ – ist es, die zivilgesellschaftlichen Initiativen in der Region zu vernetzen und sie zu unterstützen – durch Workshops, Fortbildungen oder andere Ressourcen. „Wir wollen, dass die Initiativen gemeinsam ihre Kräfte bündeln, um wieder stärker für eine demokratische, offene Gesellschaft eintreten zu können“, sagt Mohammed Fares.
»Erst seit manche Regionen nicht mehr unter militärischer Kontrolle der Diktatur stehen, haben wir gelernt, was das Wort »Freiheit« eigentlich bedeutet.«
Mehrere der Projekte und Kooperationen mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen zielen darauf ab, die Rechte der Frauen zu stärken und sie zu motivieren, sich in die Gesellschaft einzubringen.
„Ob im kulturellen Bereich oder in der Politik: Frauen sind in unserer eher traditionell muslimisch geprägten Gesellschaft stark unterrepräsentiert. Doch seit der Revolution gibt es ein neues Denken und das wollen wir nutzen, um Frauen zu befähigen, sich mehr einzubringen.“
Diskussionsraum für Frauenrechte
Einfach sei das in der konservativ geprägten Gegend allerdings nicht. „Wir können nicht von einen Tag auf den anderen die althergebrachten Traditionen umstoßen.“ Anstatt die Menschen von oben zu belehren will das Center „einen offenen Diskussionsraum zu schaffen, in dem sich Frauen und Männer gleichermaßen austauschen können“.
Mittlerweile ist aus den Aktivitäten des Sila Centers eine eigene Fraueninitiative hervorgegangen. „Für sie und andere neu gegründete Initiativen stehen wir als Unterstützer zur Verfügung, mieten ihnen etwa Räume für Treffen an oder bieten Zugang zum Internet“, sagt Mohammed Fares.
Gefahr gezielter Luftangriffe: Ein Zentrum ohne Zentrum
Organisatiorisch ist das nicht unkompliziert, denn das „Sila-Center“ hat keinen festen Ort.
„Wir haben uns für ein „dezentrales Zentrum“ entschieden, weil die Zivilgesellschaft hier in der Provinz Daraa noch immer sehr im Fokus der Angriffe steht. Die Befürchtung ist, dass ein Zentrum mit einer festen Adresse sofort Ziel der nächsten Luftangriffe würde und die Sicherheit unserer AktivistInnen geht vor.“
Die stets wechselnden Veranstaltungsorte erschwerten es, neue Leute einzubinden, weil sie nicht genau wüssten, wo die nächsten Aktivitäten stattfinden werden. Aber die Dezentralität bringe auch Vorteile. Das „Sila Center“ könne durch seine wechselnden Orte mehr Menschen im ländlichen Raum ansprechen, wo die Zivilgesellschaft sonst kaum präsent ist. „Damit schaffen wir eine weitere Verbindung, nämlich die zwischen der Stadt Daraa und der gleichnamigen Provinz Daraa“, sagt Fares.
Solche Verbindungen zu schaffen ist Mohammed Fares Antrieb. Vor einiger Zeit hatte er die Möglichkeit gehabt, in die Türkei zu fliehen – ein naheliegender Entschluss angesichts der häufgen Bombardements in Daraa. „Aber ich kann nicht gehen“, sagt Mohammed. „Für mich geht es um die Zugehörigkeit und die Identifikation mit meiner Stadt, mit meiner Heimat. Ich will nicht, dass sie zerfällt, dass sie kaputt geht oder wieder von der Diktatur besetzt wird. Das, was ich dazu beitragen kann ist, die Verbindungen in der Gesellschaft zu stärken, dafür zu sogen, dass die Menschen zusammenhalten.“
Zentren der Zivilgesellschaft vernetzen zivile Initiativen, um ihre Kräfte zu bündeln, fördern den Erfahrungsaustausch der Gruppen untereinander und unterstützen die Bevölkerung bei der Selbsthilfe. So schaffen sie vor Ort Strukturen, mit deren Hilfe sich die Menschen mit friedlichen Mitteln gegen Diktatur und Dschihadismus zur Wehr setzen.
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