Straßenszene in Douma, Ost-Ghouta im April 2016. Foto: Sam Lenses

5 Jahre Russland in Syrien: “Die Zerstörungen sind größer geworden”

Fünf Jahre russische Intervention in Syrien – was bedeutet das für Zivilist*innen in dem Land, die sich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einsetzen? Wir haben bei unseren Partner*innen nachgefragt.

Straßenszene in Douma, Ost-Ghouta im April 2016. Foto: Sam Lenses

»Obwohl das Assad-Regime bereits über Jahre schreckliche Massaker an der Zivilbevölkerung verübt hatte, konnte es die Landkarte Syriens nicht wesentlich zu den eigenen Gunsten verschieben. Erst die Brutalität der Bombardierungen der russischen Luftwaffe hat das Blatt gewendet. Es ist fast schon ein Allgemeinplatz, aber das macht es nicht falsch: Russland hat das Assad-Regime gerettet, ohne Putin wäre Assad längst gestürzt.

Souad, Fraueninitiative “Makers of Change”, Kafranbel

Was sich mit dem Kriegseintritt Russlands in Syrien vor fünf Jahren geändert hat ist, dass die Zerstörungen viel größer sind. Das Regime konnte oder wollte unsere Städte nicht vollständig vernichten, aber der russischen Luftwaffe ist egal, ob ein Stein über dem anderen bleibt.

Eins ist nach fünf Jahren russischer Intervention in Syrien klar: Russland wird bleiben. Selbst wenn wir Assad loswerden und die Diktatur abschütteln, dann werden die russischen Militärstützpunkte bleiben und russische Unternehmen weiterhin unsere Rohstoffe ausbeuten, wie das Regime es vertraglich zugesichert hat.«

»Am 19. März 2018 zeigte sich für uns in Erbin, einer damals belagerten Vorstadt von Damaskus, was der Unterschied zwischen russischen und syrischen Bomben ist. An dem Tag wurde unsere “Schule Nr. 3” von einer bunkerbrechenden Bombe zerstört – 23 Menschen starben sofort, 17 Kinder und sechs Frauen. Die Schule im Untergrund wurde da schon lange nicht mehr als Schule genutzt, sondern war Luftschutzkeller für diejenigen, die wegen des Bombardements nicht mehr in ihren Häusern leben konnten.

Video: “Die Schule No. 3”

Schon 2013 hatten wir ein erstes Bildungzentrum im Keller aufgebaut, damit Kinder trotz Beschuss zur Schule gehen konnten. Im Lauf der Jahre sind weitere Schulen dazu gekommen, letztlich konnten wir bis zu 2.400 Schülerinnen und Schüler unterrichten und dabei auf Inhalte aus der Diktatur oder von radikalen Islamisten verzichten. Mehrfach waren Schulen auch vom Assad-Regime angegriffen und getroffen worden, auch dabei gab es Tote und Verletzte, aber erst die russischen Bomben schafften es, bis in die Keller vorzudringen und dort zu töten.

Vor dem Kriegseintritt unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung war Russland in Syrien kein besonders wichtiger Akteur. Zwar hatte Putin mit seinen Vetos schon ab 2011 weitergehende Maßnahmen der UN verhindert. Aber erst seit 2015 ist Russland aus Syrien nicht mehr wegzudenken – und damit aus dem ganzen Nahen Osten. Hier wurden über 200 neue Waffensysteme getestet, es gibt neue riesige Militärbasen…

Dossier zum Jahrestag der russischen Intervention in Syrien

Leider steht Russland unverbrüchlich auf der Seite des Regimes – und damit wird ein politischer Übergang quasi unmöglich, aber auch eine gesellschaftliche Aussöhnung. Denn ohne eine Entschuldigung, ohne Anerkennung für die Opfer, vielleicht auch finanzielle Entschädigung, wird die syrische Gesellschaft nicht mehr friedlich zusammenkommen können.«

Nizar, Untergrundschulen Erbin, Damaskus

»Für mich persönlich ist Russland dafür verantwortlich, dass meine Familie und ich unser Zuhause in Yarmouk, dem palästinensischen Flüchtlingslager im Süden von Damaskus, verloren haben.

Abdallah, Watad-Center Yarmouk & Sard-Dokumentation

Der Krieg war bereits vor der russischen Einmischung in Syrien vor fünf Jahren brutal. Das syrische Regime hat schon immer russische Waffen benutzt, aber alte. Die russische Luftwaffe dagegen hat ihre neuesten Waffen eingesetzt. Deshalb war es auch immer ganz einfach, die beiden auseinander zu halten: Wenn man erst das Flugzeug gesehen hat und dann sind die Bomben gefallen, dann war es das Regime. Wenn man das Flugzeug aber nicht einmal sehen konnte, sondern nur die Raketen eingeschlagen sind, dann war es die russische Luftwaffe, die uns bombardiert hat.

Letztlich hat Russland auch souveräne Entscheidungen in Syrien getroffen. Als wir verhandelt haben, wie wir unseren Stadtteil verlassen können, ob die Belagerung aufgehoben würde, da haben wir immer mit Russen verhandelt.«

»Aleppo, Ghouta, Idlib, überall dort hat Russland mit seinen Bomben dafür gesorgt, dass Millionen Menschen zu Flüchtlingen wurden. Die leben jetzt in Flüchtlingslagern hier im Nordwesten an der Grenze zur Türkei und können nicht weiter. Auch wir mussten schon unsere Stadt verlassen und konnten erst nach dem Waffenstillstand vom März zurückkommen. Mal sehen, wie lange der hält.

Mohamad Shakerdy, Ziviles Zentrum Atareb, Region Idlib

Die russische Luftwaffe hat in den letzten fünf Jahren in Syrien die Infrastruktur zerstört und hat damit die wirtschaftliche Entwicklung Syriens um Jahrzehnte zurückgeworfen. Und jetzt beschwert sich das Regime, dass es die Sanktionen wären, weshalb ein Wiederaufbau nicht gelingen würde.

Aber das eigentlich Erschreckende ist, dass die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft das alles zulässt. Russland tritt seit fünf Jahren unsere Menschenrechte mit Füßen, sie zu verteidigen würde heißen, Russland zu stoppen. Aber stattdessen bekommt Russland auch noch die Macht, uns hier das Leben schwer zu machen und uns per Veto im Sicherheitsrat sogar noch von UN-Hilfslieferungen abzuschneiden.«

Adopt a Revolution unterstützt Aktivist*innen der emanzipatorischen Zivilgesellschaft in Syrien, die vor Ort weiter für ein Leben in Freiheit und Würde, mit Menschen- und Minderheitenrechten streiten. Helfen Sie mit!