“Die Situation ist bedrohlich. Die Syrer*innen hier sind momentan aufgrund der Übergriffe sehr verängstigt. Niemand geht mehr aus dem Haus”, berichtet Mahmoud*, der 2015 aus dem syrischen Homs nach Beirut fliehen musste.
Das, was Mahmoud Angst macht, ist eine neue Eskalation der rassistisch motivierten Gewalt gegenüber Syrer*innen im Libanon. Auslöser war die Entführung und Tötung eines Mitglieds der christlichen Partei Lebanese Forces. Der Politiker Pascal Sleiman wurde am Sonntag, dem 7. April auf einer Landstraße im Norden Libanons entführt. Am Montag darauf tauchte seine Leiche in Syrien auf. Die Lebanese Forces vermuteten sofort ein politisches Attentat und beschuldigten die Hezbollah. Laut libanesischen Behörden aber soll die Tat auf das Konto von syrischen Kriminellen gehen. Das reichte Anhängern der christlichen Partei, um mit Metallstöcken bewaffnete Bürgerwehren zu bilden. Sie griffen Syrer in mehrheitlich christlichen Städten wie Byblos und dem Beiruter Stadtteil Ashrafieh an und errichteten illegale Straßensperren. Gemeinden untersagten Syrer*innen bei Androhung von Abschiebung ihre Wohnungen zu verlassen. Am Mittwoch drohte ein Mob den syrischen Bewohner*innen in einem Viertel von Beirut mit Gewalt, wenn sie ihre Häuser nicht innerhalb von 48 Stunden geräumt hätten.
Online kursieren Videos, die zeigen, wie Gruppen von Männern auf Menschen einschlagen. Die Opfer sind meist syrische Männer, die in prekären Verhältnissen als Tagelöhner oder unterbezahlte Arbeiter leben. Diesen pogromartigen Zuständen geht eine lange Zeit anti-syrischer Stimmungsmache voraus.
Fremdenfeindliche Stimmungsmache
Der Libanon hat in Relation zur Bevölkerung die meisten syrischen Geflüchteten aufgenommen. Jede vierte Person im Land soll mittlerweile aus Syrien stammen. Diese große Zahl stellte das Land seit dem Ausbruch des Kriegs im Nachbarland vor große Herausforderungen. Im Jahr 2019 kam dann noch eine verheerende Wirtschaftskrise hinzu. Mittlerweile leben 80% der Libanes*innen in Armut. Statt den Umgang mit den Geflüchteten nach humanitären Grundsätzen als Gradmesser für die Bewältigung der Herausforderungen zu nehmen, machen politische Parteien und Medien sie als Sündenböcke verantwortlich.
Rassistische Äußerungen von Journalist*innen und Politiker*innen sind seit Jahren die Regel, nicht die Ausnahme. Besonders im Kontext der seit 2019 anhaltenden Wirtschaftskrise und der Hafenexplosion 2020 kommt es der Regierung zugute, unermüdlich Syrer*innen als Schuldige für die Probleme im Land zu benennen. Das lenkt von der eigenen Verantwortung und Rechenschaftspflicht ab. Die fremdenfeindliche Stimmungsmache zeigt Wirkung: Statt ihre Wut gegen die Regierung zu richten, treten einige Libanes*innen nach unten und schlagen wortwörtlich auf die Schwächeren ein – dieser Tage besonders brutal.
Das Credo ist deutlich: Die Syrer*innen müssen weg. Der libanesische Außenminister Abdallah Bou Habib setzte den Mord an Sleiman in Verbindung mit der Flüchtlingskrise. Er warnte, dass die Situation bald außer Kontrolle geraten könne. Eine libanesische Medienkampagne hetzt in mehreren Videos gegen Syrer*innen im Libanon. Darin wird behauptet, dass ein Bevölkerungsaustausch stattfinde.
Pläne für Massenabschiebungen
Verschiedene politische Initiativen hat der Libanon in den letzten Jahren eingeführt, um Syrer*innen zum Verlassen des Landes zu drängen, darunter eine freiwillige Rückkehr-Kampagne, die jedoch wenig Zustimmung bei ihrer Zielgruppe fand. Seit 2022 schiebt der Libanon offiziell nach Syrien ab. Tausende Menschen wurden zwischen April und Mai 2023 deportiert. Die Regierung präsentierte vor kurzem weitere Pläne zur Massenabschiebung. Sie beinhalten eine landesweite Prüfung aller im Libanon lebenden Syrer*innen, um diejenigen zu bestimmen, die die Kriterien einer “tatsächlich vertriebenen Person” erfüllen. Der Prozess, einen legalen Status zu erlangen, ist für syrische Flüchtlinge mühsam bzw. oft unmöglich.
Aufgrund strenger Einwanderungsbestimmungen und eines Stopps der Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen seit 2015, neue Geflüchtete zu registrieren, haben nur 17 Prozent der Syrer*innen im Libanon eine gültige Aufenthaltsgenehmigung. Etwa 1,2 Millionen Syrer*innen haben keinen legalen Status, was sie vor Strafmaßnahmen wie Inhaftierung, Zwangsvertreibung und Abschiebung schützt. Premierminister Najib Mikati betonte kürzlich, dass die meisten Syrer*innen im Libanon abgeschoben werden, sobald die internationale Gemeinschaft sichere Gebiete in Syrien anerkennt.
Den meisten syrischen Geflüchteten im Libanon bleiben als nur menschenunwürdige Alternativen: eine kriminalisierte und zunehmend unsichere Existenz im Libanon, Abschiebung nach Syrien oder die gefährliche Überfahrt über das Meer. In der ersten Aprilwoche kamen auf Zypern fast 800 Migrant*innen an, größtenteils syrische Männer, die meisten Boote starteten vom Libanon aus. Die EU plant deshalb, Druck auf den Libanon auszuüben, um das Auslaufen der Boote zu verhindern. Fest steht: Die Milliarden hohen Finanzhilfen wird die libanesische Regierung sicher nicht ablehnen.
* Name geändert