Anti-IS-Koalition ist Steigbügel-halter Erdogans und Assads

Die Türkei führt nach dem Abzug der US-Truppen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Kurden in Nordost-Syrien. NATO-Bündnispartner und die EU geben sich handlungsunfähig – zugunsten Erdogans und des syrischen Diktators Baschar al-Assad.

Die Türkei führt nach dem Abzug der US-Truppen einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Kurden in Nordost-Syrien. Über eine Verurteilung der Offensive und Aussetzung neuer Waffendeals kommen die NATO-Bündnispartner und die EU nicht hinaus – auch aufgrund der Blockade durch die Bundesregierung. Mit ihrer Handlungsunfähigkeit leiten sie eine neue Phase des Syrienkriegs ein – zugunsten Erdogans und des syrischen Diktators Baschar al-Assad.

Berlin, 16. Oktober 2019. Die Pläne gab es schon länger, ihre Umsetzung erfolgte aber über Nacht: Die USA zogen ihre Truppen aus Nordost-Syrien zurück und versetzten dem einstigen kurdischen Verbündeten damit den Dolchstoß. Das nützt dem Assad-Regime: Es wird Teile des von der Syrian Democratic Force (SDF) kontrollierten Gebietes unter seine Kontrolle nehmen. Darauf einigten sich die kurdische Selbstverwaltung und das syrische Regime am vergangenen Sonntag. 

Assad ist nicht Freund, sondern Feind der syrischen Kurden

Die Kurden handelten – verlassen von ihren Bündnispartnern – aus Verzweiflung, Assad aus Kalkül: Mit der Übernahme einiger Gebiete in Nordost-Syrien kommt er seinem Ziel die vollständige Kontrolle über Syrien wiederherzustellen näher. Und zwingt die kurdischen Truppen sich als 5. Corps im Kampf in Idlib aufzureiben. Das Projekt der kurdischen Selbstbestimmung und die Hoffnung demokratischen Grundrechte für die Kurd*innen Syriens ist damit zerschlagen. Unter der Herrschaft des Assad-Clans hatten kurdischen Syrer*innen mit massiven Repressionen zu kämpfen: Wesentliche Grundrechte, etwas den Besitz der Staatsbürgerschaft oder das Ausüben ihrer Muttersprache, wurden ihnen verwehrt. Die seit 2013 bestehende freie Zivilgesellschaft Rojavas konnte nicht trotz, sondern wegen der Abwesenheit des syrischen Regimes florieren.

Ende der kurdischen Autonomie und Gefahr für die unabhängige Zivilgesellschaft

Die Einflussnahme des Regimes in Nordost-Syrien bedeutet für die dort lebende Bevölkerung faktisch einen Rückfall in das autoritäre Regime von Syriens Machthaber Baschar al-Assad. Das ist eine Katastrophe für alle zivilgesellschaftlichen Akteur*innen. Sie müssen angesichts der Dominanz der syrischen Armee nicht nur um das Fortbestehen ihrer Arbeit bangen, sondern zudem um ihr Leben fürchten. Denn sollte Assad tatsächlich die völlige Kontrolle über die nordöstlichen Gebiete erhalten, sind sie hier nicht mehr sicher und müssen abermals fliehen. „Wir haben in Daraa gesehen, dass dort Menschen nach dem Deal mit dem Regime und trotz russischer Garantien verschwunden sind und gefoltert wurden“, erklären Partner*innen von Adopt a Revolution vor Ort. „Für uns gibt es unter dem Regime keinen sicheren Ort!“

Bankrotterklärung der Anti-IS-Koalition und EU

Die Westmächte sehen hilflos dem türkischen Angriff auf die syrischen Kurd*innen und ihrer gewaltvollen Vertreibung zu – tatenlos schauen sie auch dem Erstarken Assads und des IS zu“, erklärt Christin Lüttich, Geschäftsführerin von Adopt a Revolution. Die EU zeigt sich handlungsunfähig, weil einzelne Mitgliedsstaaten – darunter an vorderster Front Deutschland – verhindern, dass bestehende Waffenlieferungen ausgesetzt werden. „Keine neuen Waffendeals mit der Türkei zu genehmigen ist ein  Wegducken aus der Verantwortung jetzt die Menschen vor Ort zu schützen. Das ist skandalös“, kritisiert Lüttich.

Dabei sind die USA und die westlichen Staaten der Anti-IS-Koalition nicht ihrer Verantwortung nachgekommen neben dem militärischen Einsatz auch aktiv eine Vermittlerrolle zwischen der Türkei und der YPG einzunehmen, um den schwelenden Konflikt nicht eskalieren zu lassen. „Die Bundesregierung hätte angesichts der engen deutsch-türkischen Verbindung eine Vorreiterrolle einnehmen können. Stattdessen hat sie sich aus ihrer Verantwortung gestohlen, und die kurdische Selbstverwaltung alleingelassen, weil es keine völkerrechtliche Grundlage zu offiziellen Gesprächen oder Verhandlungen mit ihnen gäbe“, kritisiert Lüttich. Währenddessen schafft Erdogan mit aller militärischen Gewalt Fakten und baut eine Zone, in die in der Türkei lebende syrische Geflüchtete ‚freiwillig‘ gehen sollen. „Die EU muss endlich Verantwortung übernehmen und Druck auf Erdogan machen, anstatt sich vor Angst vor weiteren Geflüchteten erpressbar zu machen“, so ihre Forderung.